Die Süddeutsche Zeitung erschien am Mittwoch mit einem Leitartikel und einem ganzseitigen Bericht über Julian Assange, die das Ziel verfolgen, die öffentliche Meinung auf die Auslieferung des WikiLeaks-Gründers an die britische und amerikanische Justiz vorzubereiten.
Die Artikel sind ein Amalgam aus Andeutungen, Verdrehungen, Halbwahrheiten und aufgebauschten Skandalgeschichten. Sie erfüllen die Aufgabe, von der grundsätzlichen Bedeutung des Falles abzulenken und Vorurteile gegen Assange zu schüren. Dieser sitzt seit sechs Jahren wie ein Gefangener in der ecuadorischen Botschaft in London, weil er Kriegsverbrechen der USA im Nahen Osten und internationale Intrigen der US-Geheimdienste aufgedeckt hat.
Verlässt Assange die Botschaft, droht ihm die sofortige Verhaftung durch die britische Polizei und die Auslieferung in die USA, wo ihn Gefängnis, Folter, ein langer Prozess und möglicherweise eine lebenslange Haft- oder Todesstrafe erwarten. US-Justizminister Jeff Sessions hat bei seiner Amtsübernahme ein Prozess gegen Assange wegen Spionage zur „vorrangigen Aufgabe“ erklärt. Und CIA-Chef Mike Pompeo, der inzwischen Außenminister ist, bezeichnete WikiLeaks als „nichtstaatlichen feindlichen Geheimdienst“.
Die Verhaftung von Assange wäre ein massiver Schlag gegen die internationale Pressefreiheit. Sie wäre ein weiteres Signal an jeden kritischen Journalisten, dass er mit der Vernichtung seiner Existenz oder gar seines Lebens rechnen muss, wenn er staatliche Verbrechen aufdeckt. Dass sich die Süddeutsche Zeitung in die Kampagne gegen Assange einreiht, zeigt, wo das Blatt steht, wenn es um die Abwägung von Meinungsfreiheit und Staatsinteresse geht.
Dieselbe Ausgabe der SZ, die gegen Assange hetzt, enthält auch einen Bericht über die „Nacht der Süddeutschen Zeitung“ im Berliner Kulturforum am vorangegangenen Tag. Mehr als tausend „alte Bekannte“ aus Regierung, Parteien, Medien und Kultur plauderten dort „bei Risotto, Krabben-Sandwiches und Aananaseis“ durch die Nacht. „Man begrüßt sich mit Küsschen, ist aber mit den Augen schon immer weiter – weil es da ja Leute gibt, die noch wichtiger sind“, zitiert der Bericht die Schauspielerin Maren Kroyman.
Ein Bild zeigt SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach Schulter an Schulter mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU). Ein anderes FDP-Chef Christian Lindner mit seinem Untermieter, Familienminister Jens Spahn (CDU). Auch Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und die Spitzen der Grünen und der Linkspartei durften in diesem Inzest von Macht, Medien und Prominenz nicht fehlen. Kein Wunder, dass die SZ einen kritischen Geist wie Julian Assange nicht mag.
Die Berichte der SZ stützen sich auf interne Dokumente einer „europäischen Sicherheitsfirma“, die Assange im Auftrag der Regierung Ecuadors „mit einem millionenschweren Überwachungsprogramm geschützt“ habe. „Die aufwendige Geheimdienst-Operation läuft seit mehr als fünf Jahren und kostet Monat für Monat durchschnittlich 66.000 Dollar, allein im ersten Jahr lagen die Kosten bei einer Million Dollar“, berichtet die SZ.
Doch wie sich dann herausstellt, hat diese Firma Assange weniger „geschützt“ als bespitzelt. Sie hat „Assange rund um die Uhr überwacht und akribisch Buch (ge)führt über dessen Besucher und Gewohnheiten“, weiß die SZ zu berichten.
Laut dem britischen Guardian, der zusammen mit der rechten Website Focus Ecuador ebenfalls Einblick in die „geheimen Aufzeichnungen“ hatte, installierte die Sicherheitsfirma CCTV-Kameras in der gesamten Botschaft und beobachtete sechs Jahre lang rund um die Uhr jede Bewegungen von Assange in der winzigen Botschaft. Sie protokollierte seine Stimmung, seine Gewohnheiten und sein Schlafverhalten und erfasste den Zweck des Besuchs, die Reisepassdaten und die Ankunfts- und Abfahrtszeiten jedes einzelnen Besuchers.
„Jeden Monat schickte die Sicherheitsfirma eine vertrauliche Liste von Assanges Besuchern an den ecuadorianischen Präsidenten“, so die Zeitung. „Manchmal fügte die Firma Standbilder von geheimen Videoaufnahmen interessanter Gäste sowie Profile und Analysen bei.“
Gestützt auf diese intimen Beobachtung eines Gefangenen, der sechs Jahre von der Umwelt und selbst vom Sonnenlicht abgeschnitten und entsprechenden psychischen Belastungen ausgesetzt war, unterstellt die SZ Assange, er habe sich „seltsam“ benommen und sich „Auseinandersetzungen mit dem Botschaftspersonal“ und selbst ein „Handgemenge“ geliefert.
Ausgehend von bloßen Vermutungen der Spitzel wirft sie ihm vor, er sei in die Netzwerke der Botschaft eingedrungen und habe versucht, die persönliche Kommunikation der dort Arbeitenden und möglicherweise des Botschafters selbst abzufangen. WikiLeaks hat diesen Vorwurf in einem Tweet nachdrücklich zurückgewiesen: „Das ist eine anonyme Verleumdung, die mit dem gegenwärtigen Angriff der britischen und amerikanischen Regierung auf Mr. Assanges Asyl zusammenhängt – auf den er nicht reagieren kann.“
Zwei seiner Besucher soll Assange heimlich aufgenommen haben – die SZ veröffentlicht dazu mehrere Bilder aus den geheimen Überwachungskameras der Sicherheitsfirma. Dabei soll es sich um die Filmemacherin Laura Poitras gehandelt haben, die entgegen ursprünglicher Zusagen einen Dokumentarfilm so zugeschnitten hatte, dass er Assange gefährdete. Die WSWS hat darüber berichtet.
Der SZ-Artikel ist durchsetzt mit Vorwürfen von Assanges politischen Gegnern. Dem früheren ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa, der das demokratische Rückgrat besaß, Assange in der Botschaft seines Landes Schutz zu bieten, unterstellt sie, es habe sich von Anfang an um „eine gezielte Provokation“ gehandelt, mit der er „sich als Rebell gegen den US-Imperialismus inszenierte“.
Die Veröffentlichung von E-Mails aus dem Lager der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton kommentiert die SZ mit den Worten: „Ist am Ende Julan Assange der Mann, dem die Welt Trump zu verdanken hat?“ Tatsächlich hatte WikiLeaks aufgedeckt, wie das Nationalkomitee der Demokraten die Kandidatur von Clintons Konkurrenten Bernie Sanders sabotierte, der sich als Sozialist bezeichnete und die „Milliardärsklasse“ denunzierte, und welche intimen und lukrativen Beziehungen Clinton zur Wall Street pflegt.
Man kann aus den Bemerkungen der SZ nur schließen, dass sie ähnlich kompromittierende Enthüllungen über Politiker, mit denen sie während der „Nacht der Süddeutschen Zeitung“ den Schulterschluss übte, vor der Öffentlichkeit geheim halten würde.
Die jüngsten Veröffentlichungen der SZ und des Guardian erhöhen die Gefahr, dass Assange in die Hände seiner Verfolger fällt. Andeutungen des Guardian zufolge „interessiert“ sich US-Sonderermittler Robert Müller, der eine Untersuchung der angeblichen Verbindungen der Trump-Administration zu Russland leitet, für die Liste von Assanges Besuchern. Mindestens einer von ihnen soll bereits vom FBI vernommen worden sein, was darauf hindeutet, dass Ecuador seine Unterlagen an die US-Geheimdienste weitergegeben hat.
Die neue Offensive gegen Assange erfolgt sieben Wochen, nachdem die ecuadorianische Regierung unter dem Druck der USA, Großbritanniens und anderer Mächte Assanges gesamten Internet- und Telefonkontakt mit der Außenwelt unterbrochen und seine Freunde und Unterstützer daran gehindert hat, ihn zu besuchen.
Die Absicht der jüngsten Anschuldigungen ist offensichtlich. Guardian-Kommentator James Ball sagt es ganz unverblümt. Der Gründer von WikiLeaks, schreibt er, „sollte seine Hände hochhalten und die Botschaft verlassen“.
Anfang des Jahres hatte der neue ecuadorianische Präsident Lenín Moreno erklärt, Assange sei ein kostspieliges „geerbtes Problem“ und ein „Hacker“, und zu verstehen gegeben, dass er ihn für ein Hindernis für bessere Beziehungen zu den USA betrachtet.
Sein Vorgänger Rafael Correa hatte kürzlich vor Journalisten in Madrid gesagt, Assanges Tage seien gezählt, weil sein ehemaliger Schützling Moreno ihn „beim ersten Druck aus den Vereinigten Staaten aus der Botschaft werfen“ werde. Moreno hat nach seiner Wahl einen scharfen Rechtsruck vollzogen, die Steuern für Großunternehmen gesenkt, Sozialausgaben gekürzt und versucht, die Abhängigkeit Ecuadors von Krediten und Investitionen aus China zugunsten engerer Beziehungen zum US-Imperialismus zu verringern.
Einen Tag bevor sie die Kommunikation mit Assange unterbrach, hatte die ecuadorianische Regierung eine Delegation des US Southern Command (Southcom) unter der Leitung von General Joseph DiSalvo, empfangen, um über eine verstärkte „Sicherheitskooperation“ zu sprechen.
Die Verschwörung gegen Assange geht mit einer Kampagne der amerikanischen Regierung und ihrer Verbündeten einher, das Internet zu zensieren und die Meinungsfreiheit und andere demokratischer Rechte zu unterdrücken. Google, Facebook und andere Konzerne benutzen unbegründete Behauptungen über „fake news“ und „die Einmischung Russlands“, um den Zugang zu Websites – einschließlich WikiLeaks und der World Socialist Web Site – zu beschränken, die kritische Kommentare und Enthüllungen über den Kapitalismus und seine Verteidiger veröffentlichen.
Wir rufen alle Arbeiter und Jugendlichen auf, sich für Assange einzusetzen und seine sofortige Freiheit zu fordern.