Aufschwung des Klassenkampfs in den USA

Bereits mehr Streiks als im gesamten letzten Jahr

Seit Beginn dieses Jahres gab es in den USA bereits mehr Streiks als im ganzen Jahr 2017 zusammengenommen. Lehrer und andere Teile der Arbeiterklasse haben begonnen, sich aus den Fesseln der Gewerkschaften zu befreien und sich zur Wehr zu setzen.

2017 gab es nur sieben Arbeitsniederlegungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern. Dies war die zweitniedrigste Zahl seit 1947 und die niedrigste seit dem Jahr 2009, in dem es fünf solcher größerer Streiks gab. Seit Beginn dieses Jahres jedoch gab es bereits mindestens zehn große Arbeitskämpfe, und viele weitere bahnen sich an.

CBS News berichtete am 8. Mai: „2018 breitet sich eine Welle von Arbeitskämpfen aus. Lehrer verlassen ihre Klassenzimmer, in Kalifornien streikt das Krankenhauspersonal... In den ersten drei Monaten des Jahres 2018 hat sich die Streikbereitschaft deutlich erhöht, und auch im zweiten Quartal dürfte sie nicht nachlassen. Arbeiter streiken u.a. für bessere Bezahlung und Zusatzleistungen, die Lehrkräfte teils auch wegen fehlender Mittel für Ausstattung und Unterrichtsmaterialien.“

Seit Beginn des Jahres gab es folgende Arbeitskämpfe:

  • ein neuntägiger Streik von 33.000 Lehrern und Schulbeschäftigten in West Virginia Ende Februar und Anfang März
  • ein eintägiger Lehrerstreik am 19. März im US-Territorium Puerto Rico
  • ein zwölftägiger Streik von 2.700 graduierten Mitarbeitern und Lehrassistenten der Universität von Illinois-Urbana-Champaign im Februar und März
  • ein dreiwöchiger Streik von 1.400 Beschäftigten des Telekommunikationsunternehmens Frontier in Virginia und West Virginia
  • ein eintägiger Streik von 4.000 Lehrern in Jersey City (New Jersey) am 17. März
  • ein neuntägiger Ausstand von 30.000 Lehrern in Oklahoma im April
  • ein einwöchiger Streik von 3.000 Lehr- und Forschungsassistenten an der Columbia-Universität im April und Mai
  • ein Streik von 60.000 Lehrern in Arizona vom 26. April bis zum 3. Mai
  • ein dreitägiger Streik von 53.000 Kantinenbeschäftigten, Platzwarten, Hausmeistern und Pflegekräften an Instituten und Ärztezentren der Universität von Kalifornien
  • eine noch andauernde Aussperrung von 1.400 Beschäftigten von Charter Communications in New York City

In Pueblo (Colorado) streiken momentan etwa 900 Lehrer. Letzten Monat hatten sich Tausende an geschlossenen Krankschreibungen für höhere Gehälter und eine Heraufsetzung des Bildungsetats beteiligt. Anfang des Jahres hatten in Seattle und Pasadena (Kalifornien) die Schulbusfahrer gestreikt, außerdem 350 Beschäftigte der Loyola-Universität in Chicago. Dazu kamen Arbeitsniederlegungen von 600 Beschäftigten des Luft- und Raumfahrtkonzerns United Launch Alliance in Alabama, Kalifornien und Florida, sowie von Stromnetzelektrikern in New Hampshire.

Die bisherigen Kämpfe sind erst der Anfang. In den nächsten Wochen sind Lehrerproteste in North- und South Carolina geplant, an der Universität von Washington steht ein Streik an; außerdem stimmen 50.000 Beschäftigte von Casinos und Gaststätten über Arbeitsniederlegungen ab. Wenn im September die Schulen in Texas wieder öffnen, könnte es zu einem Streik der Lehrkräfte in Dallas kommen.

In der Belegschaft von United Parcel Service (UPS) gibt es großen Widerstand gegen ein Tarifabkommen für 280.000 Beschäftigte, das die Gewerkschaft Teamsters durchsetzen will, wenn der aktuelle Tarifvertrag am 31. Juli ausläuft. Laut Medienberichten verhandeln die Teamsters und UPS über ein Zwei-Klassen-Lohnsystem, das es dem Unternehmen erlauben würde, für die Zustellung an Wochenenden und Sonntagen schlechter bezahlte Arbeiter einzustellen, um mit dem US Post Office um Lieferungen für Amazon konkurrieren zu können.

In den 1970ern hatten die Teamsters akzeptiert, dass UPS in seinen Logistikzentren unterbezahlte Teilzeitarbeitskräfte beschäftigt. Jetzt will UPS die Stellung des „Hybrid-Fahrers“ schaffen, deren Einstiegs-Stundenlohn nur 15 Dollar betragen soll. Damit will es vermeiden, Überstundenzuschläge für die Arbeit am Wochenende bezahlen zu müssen.

Am 20. September läuft außerdem ein Tarifvertrag für 200.000 Beschäftigte des US Postal Service aus. Es brodelt auch unter den Hunderttausende von Amazon-Arbeitern, die keiner Gewerkschaft angehören und für niedrige Löhne unter Sweatshop-Bedingungen schuften müssen.

In der Autobranche entwickelt sich eine Rebellion gegen die United Auto Workers (UAW), obwohl der Tarifvertrag für 140.000 Beschäftigte von General Motors, Ford und Fiat Chrysler erst in einem Jahr ausläuft. Anfang des Monats legten die Arbeiter im Flat-Rock-Autowerk außerhalb von Detroit die Arbeit nieder, als das Management die Produktion wiederaufnehmen wollte, nachdem einem Arbeiter bei einem Unfall die Beine zerquetscht wurden.

Die UAW wird momentan von einem Korruptionsskandal erschüttert, nachdem herausgekommen ist, dass Gewerkschaftsführer Bestechungsgelder in Millionenhöhe für unternehmensfreundliche Tarifverträge erhalten haben. Durch diese Verträge wurden die Anfangsgehälter für neu eingestellte Arbeiter halbiert, die tägliche Arbeitszeit erhöht und der Einsatz von Teilzeitarbeitern ausgeweitet, die zwar Mitgliedsbeiträge zahlen, aber keine Rechte haben.

Im Zeitraum von 2007 bis 2016 gab es so wenige große Arbeitsniederlegungen wie noch nie, seit das amerikanische Amt für Arbeitsstatistiken 1947 mit der Erhebung von Daten begann: im Durchschnitt nur 14 pro Jahr. Von 1977-1986 waren es durchschnittlich 145, von 1967-1976 durchschnittlich 332, und von 1947-1956 durchschnittlich 344.

Die Unterdrückung des Klassenkampfs durch die Gewerkschaften ermöglichte es der herrschenden Elite Amerikas, nach dem Finanzcrash von 2008 die Klassenverhältnisse umzugestalten. Dank der Unterstützung der Gewerkschaften konnten die Unternehmen durch eine unablässige Senkung der Löhne und Verschiebung der Kosten für Krankenversicherung und Rente auf den Rücken der Arbeiter ihre Profitabilität wiederherstellen. Durch die nahezu kostenlosen Kredite an Finanzspekulanten wurde die Aktienblase wieder aufgeblasen. Die Geldpolitik der „quantitativen Lockerung“ der Obama-Regierung beruhte auf der Eindämmung der „Inflation“, d.h. steigender Löhne.

Die historische Umverteilung des Reichtums von unten nach oben, die unter Obama stattfand, ging unter Trump weiter. Er hat die Körperschaftssteuern gesenkt und versucht, alle Regulierungen für das Großkapital zu beseitigen, u.a. Gesundheits- und Sicherheitsauflagen und Umweltschutzgesetze. Derzeit plant die Regierung die Aufhebung von Vorschriften, die es verbieten, minderjährige Arbeiter für gefährliche Tätigkeiten einzustellen.

Die amerikanischen Konzerne haben Berichten zufolge Kassabestände von insgesamt über 2 Billionen Dollar gehortet und verschwenden Rekordsummen für Dividenden und Aktienrückkäufe im Interesse ihrer reichsten Investoren. Gleichzeitig sind die Löhne trotz der angeblichen „Vollbeschäftigung“ in den USA (die offizielle Arbeitslosenquote ist auf dem niedrigsten Stand seit 1969) laut dem jüngsten Arbeitsmarktbericht im Vergleich zum Vorjahr um nur 2,6 Prozent gestiegen und liegen damit nur knapp über der offiziellen Inflationsrate von 2,1 Prozent.

Die Gewerkschaften haben versucht, Streiks zu verhindern. Wo dies nicht möglich war, haben sie sie isoliert, die Streikenden ausgelaugt und die Streiks dann beendet, bevor sie sich ausbreiten konnten. In West Virginia, Oklahoma und Arizona haben Lehrergewerkschaften Deals abgeschlossen, mit denen die Forderungen der Lehrer übergangen wurden. Geringe Gehaltserhöhungen werden durch Kürzungen bei anderen wichtigen Leistungen und regressive Steuern finanziert, von denen die Arbeiter am meisten getroffen werden.

Die prokapitalistischen Gewerkschaften, ihre begüterten Vorsitzenden und ihre Verbündeten aus der Demokratischen Partei befürchten, dass die einzelnen Kämpfe in verschiedenen Branchen in einer breiteren Bewegung der Arbeiterklasse zusammenfließen könnten. Für die diskreditierten und korrupten Gewerkschaften wird es immer schwieriger, den Widerstand gegen ihre jahrzehntelange Zusammenarbeit mit dem Staat und den Arbeitgebern zu unterdrücken.

Die Streiks, vor allem diejenigen der Lehrer, wurden größtenteils von den einfachen Beschäftigten über soziale Medien initiiert, gegen den Widerstand der Gewerkschaften. Diese Entwicklung versetzte das wirtschaftliche und politische Establishment in Angst und Schrecken. Die Demokraten reagieren auf diese Gefahr von unten, indem sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um die diskreditierten Gewerkschaften zu stärken und ihre Kontrolle über die Arbeiter wiederherzustellen.

Senator Bernie Sanders und eine Gruppe von demokratischen Senatoren, u.a. Elizabeth Warren, Kirsten Gillibrand und Sherrod Brown, legten am Mittwoch den Workplace Democracy Act vor. Dieses Gesetz soll die finanzielle und institutionelle Stellung der Gewerkschaften stärken. Zu diesem Zweck soll die Bildung von Gewerkschaften in einem Betrieb durch einfache Mehrheitsentscheidung der Belegschaft („Card Check“) erleichtert werden. Zudem sollen die „Right to work“-Gesetze aufgehoben werden, unter denen neu eingestellte Arbeiter in gewerkschaftlich organisierten Betrieben den ansonsten zwingenden Beitritt zur Gewerkschaft und die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen ablehnen können.

Sanders erklärte: „Man könnte argumentieren, dass gerade jetzt die Gewerkschaftsbewegung trotz ihrer Schwäche die letzte Verteidigungslinie gegen die Pläne der Konzerne ist, die nicht nur Steuersenkungen für Milliardäre anstreben, sondern auch Social Security, Medicare und Medicaid privatisieren wollen.“

Es stimmt, dass die Gewerkschaften die „letzte Verteidigungslinie“ der Demokratischen Partei und des kapitalistischen Systems sind. Statt die unablässigen Angriffe auf den Lebensstandard und wichtige gesellschaftliche Errungenschaften wie das öffentliche Bildungswesen zu bekämpfen, traten die Gewerkschaften als Partner des Großkapitals auf.

Die wachsende Streikwelle ist nur das erste Stadium einer machtvollen Wiederkehr des Klassenkampfs in den USA und weltweit. Um die bevorstehenden Schlachten zu schlagen, brauchen die Arbeiter neue Formen der Organisation: Basis- und Betriebskomitees, die unabhängig von den nationalistischen und prokapitalistischen Gewerkschaften sind. Alle Einzelkämpfe müssen in einem Generalstreik zusammenlaufen, um für die sozialen Rechte der Arbeiterklasse zu kämpfen: das Recht auf einen gut bezahlten und sicheren Arbeitsplatz, voll finanzierte Krankenversicherung und Renten sowie eine deutliche Erhöhung der Mittel für das öffentliche Bildungswesen und andere unverzichtbare Einrichtungen.

Das Wiederaufleben des Klassenkampfes muss Teil einer politischen Bewegung der Arbeiterklasse in den USA und der ganzen Welt werden, die sich gegen das kapitalistische System und seinen Staat richtet. Die dringend nötigen Sozialreformen können nur durchgesetzt werden, wenn die Vermögen der kapitalistischen Oligarchie enteignet werden und die Diktatur der Banken und Konzerne frontal angegriffen wird. Zu diesem Zweck muss die Arbeiterklasse die politische Macht in die eigenen Hände nehmen und den Kapitalismus durch den Sozialismus ersetzen.

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