Die Bezirksregierung von Oberbayern hat einem Lehreranwärter eine Referendar-Stelle verwehrt, weil er bis zum Frühjahr 2017 Mitglied der Studierenden- und Jugendorganisation der Linkspartei war. Erst nach einer einstweilige Anordnung des Bayrischen Verwaltungsgerichts darf der 34-jährigen Benedikt Glasl seine Ausbildung zum Lehrer vorläufig fortsetzen.
Der Fall ist trotz der Entscheidung des Gerichts eine ernste Warnung. Er zeigt, dass staatliche Stellen bereit sind, gegen noch so harmlose Kritiker des Kapitalismus vorzugehen, und dass die seit dem NSU-Skandal diskreditierten Geheimdienste wieder an Einfluss gewinnen.
Glasl, der Politikwissenschaften sowie Sozialkunde, Deutsch, Geschichte und Sport auf Lehramt studiert hat, bewarb sich vor einem Jahr für ein Referendariat an einer Mittelschule, was Voraussetzung ist, um Lehrer zu werden. Er erhielt eine Stelle zugewiesen. Doch kurz bevor er im September als Beamter auf Wiederruf vereidigt werden sollte, wie dies in Bayern für Referendare üblich ist, teilte ihm die Regierung mit, er könne wegen Zweifel an seiner Verfassungstreue nicht vereidigt werden.
Glasl selbst hatte in einem Fragebogen angegeben, dass er während des Studiums in der Linksjugend Solid und im Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband (SDS) aktiv gewesen sei. Er hatte unter anderem gegen die militärische Forschung an staatlichen Hochschulen und gegen Studiengebühren protestiert.
Die Regierung leitete den Fragebogen zur Überprüfung an das Landesamt für Verfassungsschutz weiter, das sich drei Monate Zeit ließ. In der Zwischenzeit gewährte sie Glasl eine Hospitanz an der ihm zugewiesenen Schule. Er konnte seine Ausbildung zwar fortsetzen, erhielt aber kein Geld und durfte nicht alleine vor einer Klasse unterrichten.
Im Januar kam es schließlich zu einer Anhörung durch die zuständige Regierungsdirektorin. Glasl bestritt, dass es ihm je um eine Umformung der Gesellschaft gegangen sei. Außerdem sei er schon lange vor der formellen Beendigung der Mitgliedschaft in den beiden Organisationen nicht mehr aktiv gewesen. Die Regierung von Oberbayern befürwortete daraufhin „die Einstellung von Herrn Glasl zum nächstmöglichen Zeitpunkt“.
Doch in dem Bescheid, den Glasl am 12. Februar erhielt, stand das Gegenteil. Der Verfassungsschutz hatte sein Veto eingelegt, was ihm gar nicht zusteht. „Letztendlich ist keine glaubwürdige, erkennbare Distanzierung von linksextremistischen Ansichten erfolgt“, urteilte die Regierung plötzlich – und übernahm in der Folge weitgehend die Einwände, die der Verfassungsschutz ihr gegenüber in vertraulichen Schreiben erhoben hatte. Am Ende berief sich die Regierung explizit auf den Verfassungsschutz: Die „beteiligte Fachbehörde“ habe „zum zweiten Mal in überzeugender Weise Bedenken geäußert“, heißt es im Bescheid.
Das von Glasl im Eilverfahren angerufene Verwaltungsgericht entschied am 9. März zunächst für ihn. Er muss seine Hospitation nicht, wie von der Bezirksregierung angeordnet, abbrechen, sondern darf sie bis zum Ende des Schuljahres fortsetzen.
Das Verwaltungsgericht stützte sich in seiner einstweiligen Anordnung weitgehend auf die Argumentation, mit der das Bundesverfassungsgericht 1975 den sogenannten Radikalenerlass bestätigt hatte, der „verfassungsfeindlichen Kräften“ eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst verwehrt. Das höchste deutsche Gericht hatte damals allerdings eingeschränkt, dass Berufsverbote nicht pauschal erfolgen dürfen, sondern dass bei jedem einzelnen Bewerber eine Einzelfallprüfung stattfinden muss, bei der auch der persönliche Eindruck über den Bewerber Berücksichtigung findet.
Das Bayrische Verwaltungsgericht begründete seine Eilentscheidung damit, dass das Grundgesetz jedem Deutschen die freie Berufswahl und den gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Ämtern garantiere. Die Lehrerausbildung sei ein staatliches Monopol; auch wenn er ihn nicht verbeamte, müsse der Freistaat Glasl daher einen „gleichwertigen, nicht diskriminierenden“ Vorbereitungsdienst bereitstellen, gegebenenfalls als Angestellter – und wenn er darauf Anspruch habe, dürfe man ihm auch eine Hospitation nicht verwehren.
Zweitens gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass Glasl die Schüler gegen die Verfassung aufbringe. Und drittens könne der Staat einem Bewerber nicht erst die Hospitation für einen längeren Zeitraum gestatten und diese dann aufheben. Das bisher in der Ausbildung Geleistete werde sonst „weitgehend wertlos“.
Der Radikalenerlass, der im Fall Glasl nun wieder aktiviert wurde, geht auf die erste sozialdemokratisch geführte Regierung der Bundesrepublik zurück. Am 28. Januar 1972 beschlossen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und die Ministerpräsidenten der Länder auf einer Konferenz zu „Fragen der inneren Sicherheit“ eine Vereinbarung über „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“.
Ziel dieses „Ministerpräsidentenbeschlusses“ war es, den öffentlichen Dienst von Bund und Ländern in einem einheitlichen Verfahren von sogenannten „Verfassungsfeinden“ zu säubern. Die Einstellungsbehörden fragten im Normalfall bei den Verfassungsschutzämtern nach („Regelanfrage“), ob „Erkenntnisse“ über den Bewerber vorlägen. Gab es solche, musste der Bewerber in sogenannten Anhörungsgesprächen Stellung dazu nehmen; konnte er die Zweifel nicht ausräumen, erfolgte in der Regel eine Ablehnung. Dagegen konnte geklagt werden, wegen der Berufungsmöglichkeiten erstreckten sich entsprechende Verfahren aber meist über viele Jahre, in denen der Bewerber keine Anstellung erhielt.
Dem Bundesinnenministerium zufolge fanden vom 1. Januar 1973 bis zum 30. Juni 1975 in Bund und Ländern insgesamt 454.000 Sicherheitsüberprüfungen statt; davon wurden 328 Bewerber abgelehnt. Insgesamt wurden von 1972 bis 1991 rund 3,5 Millionen Bewerber für den öffentlichen Dienst in Bund und Ländern nach einer „Regelanfrage“ der Einstellungsbehörden von den Verfassungsschutzämtern überprüft. In etwa 11.000 Fällen kam es zu Verfahren, 1250 Personen wurden nicht eingestellt.
Rund 260 bereits verbeamtete oder angestellte Personen wurden im gleichen Zeitraum entlassen. Zum allergrößten Teil waren Lehrer (rund 80 Prozent) und Hochschullehrer (rund 10 Prozent) betroffen; daneben gab es auch Fälle in der Justiz, bei Bahn und Post. Die meisten Ablehnungen erfolgten von 1973 bis 1979, den Höhepunkt erreichten sie 1975. Trotz der offiziellen Behauptung, der Radikalenerlass richte sich gleichermaßen gegen „Extremisten von rechts wie links“, waren fast ausschließlich Angehörige oder Unterstützer linker Organisationen betroffen.
Eine Untersuchungskommission der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, kam im Februar 1987 zu dem Ergebnis, dass die Durchführung des Erlasses gegen das Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf verstoße. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg vom 26. September 1995 zum Fall einer Lehrerin aus Niedersachsen, die 1986 wegen ihrer Mitgliedschaft in der DKP aus dem Schuldienst entlassen worden war, sah darin einen Verstoß gegen das Recht auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Bayern hat bei der Gesinnungsschnüffelei gegen Linke schon länger eine Vorreiterrolle gespielt. 1991 beendete es als letztes Land das bisherige Verfahren zum Radikalenerlass und damit die „Regelanfrage“ beim Verfassungsschutz, führte aber als bisher einziges Land ein neues Verfahren ein. Am 11. Dezember 1991 verordnete die Staatsregierung in einer Bekanntmachung die „Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst“.
Das „neue“ Verfahren verpflichtet jeden Bewerber für den öffentlichen Dienst in Bayern, auf einem Fragebogen anzugeben, ob er Mitglied oder Unterstützer einer der als verfassungsfeindlich aufgelisteten Organisationen war oder ist; unter den aktuell über 200 genannten in- und ausländischen Gruppen und Parteien befindet sich auch die Partei „Die Linke“ einschließlich ihrer Vorläufer. Aufgrund dieser Angaben erfolgen dann gegebenenfalls Anfragen bei der Verfassungsschutzbehörde, die zu einer Ablehnung des Bewerbers führen können, praktisch eine Neuauflage des „Radikalenerlasses“.
Der jetzige Fall geht jedoch darüber hinaus. Zwischen ihm und der Bekanntmachung von 1991 steht die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte von 1995, der eine derartige Praxis als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention rügt. Die Linkspartei ist in den meisten deutschen Parlamenten und diversen Landesregierungen vertreten. Zudem hat die Behörde dem Geheimdienst eine Art Vetorecht eingeräumt, das ihre eigene Beurteilung, auf die es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ankommt, aushebelt.
Hintergrund sind wachsende soziale Spannungen, auf die das gesamten politischen Establishment mit einem scharfen Rechtsruck reagiert.
Im letzten Juli hat der bayrische Landtag ein neues Sicherheitsgesetz verabschiedet, das es der Polizei erlaubt, Menschen „bei drohender Gefahr“ unbegrenzt in Haft zu nehmen. Horst Seehofer, zu jener Zeit bayrischer Ministerpräsident und heute Bundesinnenminister, hat unmissverständlich erklärt, dass er in ganz Deutschland einen „starken Staat“ nach bayrischem Vorbild errichten will.
Dazu gehören auch Internierungslager für Flüchtlinge und Massenabschiebungen sowie eine „wirksame Videoüberwachung“ sämtlicher „Brennpunkte“ in Deutschland, was auf die systematische Überwachung der gesamten Bevölkerung hinausläuft. Außerdem kündigte Seehofer die Einstellung von 7500 neuen Bundespolizisten sowie eine „Null Toleranz“-Politik an.
Olaf Scholz (SPD), der als Regierender Bürgermeister von Hamburg für die massive Polizeigewalt gegen Demonstranten beim G20-Gipfel und eine damit einhergehende Kampagne gegen „gewalttätige Linksextremisten“ verantwortlich war, hat nun als Vizekanzler und Finanzminister ebenfalls eine Schlüsselposition in der Bundesregierung.