Perspektive

Demos gegen Waffengewalt

Die Bedeutung der Schülerproteste in Amerika

Fast eine Million Schüler protestierten am Mittwoch, einen Monat nach dem Massaker in einer Highschool in Parkland (Florida), gegen Waffengewalt und Amokläufe in Amerika.

In allen US-Bundesstaaten wie auch auf Puerto Rico fanden Bildungsstreiks, Protestversammlungen und Demonstrationen statt. Auch in anderen Ländern kam es zu Schülerprotesten, u.a. in Japan, Tansania, Israel, Island, Mexiko, Kolumbien, Australien, Deutschland und in vielen anderen europäischen Staaten.

Die Proteste vom Mittwoch sind das Vorspiel zu einer Demonstration, die Schüler der Parkland-Highschool für den 24. März geplant haben. Beim Protestmarsch in der Hauptstadt Washington DC werden mindestens eine halbe Million Menschen erwartet, dazu sind fast 800 Demonstrationen in allen Bundesstaaten und in zig Ländern weltweit geplant.

Die unmittelbare Forderung der Demonstrationen ist eine Verschärfung des Waffenrechts. Diese Forderung wird auch von der Demokratischen Partei und den Mainstreammedien stark propagiert. Innerhalb des politischen Establishments erschöpfen sich die angebotenen „Lösungen“ auf eine Bewaffnung der Schulen und mehr Polizeikontrollen bzw. auf Einschränkungen beim Waffenbesitz. In jedem Fall soll die staatliche Macht ausgeweitet werden.

Republikaner und Demokraten ignorieren gleichermaßen die tieferen Ursachen für Gewalt an Schulen: beispiellose soziale Ungleichheit, endlose Kriege, die Militarisierung der Gesellschaft und die Kürzungen im Bildungssystems und bei den Sozialprogramme. Eine ernsthafte Untersuchung mit Blick auf die Wurzeln dieses sozialen Phänomens würde auf die Verantwortung der Republikaner und Demokraten für die soziale Krise verweisen, deren Folge die Gewalt ist.

Genau wie es tiefere Ursachen hinter den häufigen Schulmassaker gibt, so gibt es auch tiefere Ursachen für den Ausbruch von massiven Protesten unter Jugendlichen. Sie spüren, warum es in Amerika so schnell und häufig zu Schulmassakern kommt: Dies ist ein Spiegel der Gleichgültigkeit und Verachtung, die die herrschende Oligarchie dem Leben der Jugendlichen selbst entgegenbringt.

Unsere Jugendorganisation, die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE), stellte bei Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern im ganzen Land fest, dass es den Teilnehmenden an den Demonstrationen um viel mehr geht als nur um ein schärferes Waffenrecht.

In New York sagten Schüler, sie hätten wegen Fragen der Gesundheitsvorsorge an der Demonstration teilgenommen, besonders wegen der Frage nach psychischen Gesundheit. In Washington DC kritisierten Schüler den Militäretat und die Kriegspolitik. In San Diego verurteilten Schüler das gesamte politische Establishment und sagten, die Regierung werde „von Konzernen gesteuert“.

Kenton, ein Schüler aus Flint (Michigan), sprach darüber, wie die sozialen Bedingungen die Perspektive seiner Generation geformt haben: „Irgendwo tief drin wissen die Leute, dass man ihnen übel mitgespielt hat, und sie wollen etwas dagegen tun. Als meine Eltern und Großeltern aus England hierher kamen, konnte man gute Arbeit in einer Fabrik bekommen. Heute braucht man einen College-Abschluss in einem bestimmten Bereich, andernfalls endet man als Verkäufer bei Walmart oder einer Tankstelle.“

Man muss sich vorstellen, was Schüler in der Abschlussklasse einer amerikanischen Highschool bisher erlebt haben. Wenn sie um die Jahrhundertwende geboren wurden, waren sie ein Jahr alt, als die Bush-Regierung den endlosen weltweiten „Krieg gegen den Terror“ ausrief.

Als sie acht Jahre alt waren, begann mit dem Finanzkrach eine soziale Misere, während der der frisch gewählte Demokratische Präsident Barack Obama der Wall Street Billionen Dollar zur Verfügung stellte, um die Banken zu retten. Ihre Eltern gehörten möglicherweise zu den Millionen Menschen, die ihre Häuser durch Zwangsversteigerung verloren, in die Privatinsolvenz getrieben oder arbeitslos wurden.

Mit vierzehn haben erfahren, dass Michael Brown in Ferguson (Missouri) von einem Polizeibeamten auf offener Straße erschossen wurde. Sie haben im Fernsehen gesehen, wie SWAT-Teams in Kampfuniformen, in Panzerfahrzeugen und mit geladenen Sturmgewehren, mit Gummigeschossen und Pfefferspray gegen Demonstranten vorgingen, die ihrerseits gegen Polizeigewalt protestierten. Sie haben in den nächsten paar Jahren ihrer Schullaufbahn immer wieder ähnlich grauenhafte Tode durch Polizeigewalt in Videomitschnitten sehen können. Während ihrer bisherigen Lebenszeit haben Polizeibeamte in den USA insgesamt mehr als 15.000 Menschen getötet.

Jetzt, mit achtzehn Jahren, leben diese jungen Menschen in einer Welt, die gezeichnet ist von Arbeitslosigkeit, endlosen Kriegen, wachsender Ungleichheit und immenser Armut. Wenn sie sich für ein Studium entscheiden, starten sie mit einem Schuldenberg von zehn- oder hunderttausenden Dollar ins Berufsleben. Ihre Generation wird die erste der jüngeren Geschichte sein, die eine kürzere Lebenserwartung hat und weniger Geld verdient als die Generation ihrer Eltern.

Diese Erfahrungen haben das Leben der neuen Generation von Arbeiterjugendlichen im ganzen Land geprägt. Umfragen zeigen, dass in den USA mehr Jugendliche Sozialismus als Kapitalismus unterstützen. Es herrscht ein gesunder Hass auf den derzeitigen Präsidenten Donald Trump, den sie als den oligarchischen, rechtsradikalen Vertreter des politischen Establishments in Amerika betrachten. Millionen sind gleichermaßen von der Demokratischen Partei enttäuscht und betrachten sie als eine Partei, die die Interessen von Großunternehmen, Wall Street, Militär und Geheimdiensten vertritt.

Was hat die Demokratische Partei den Jugendlichen zu bieten? Wenn die Demokraten das Kernelement ihrer Opposition gegen Trump durchsetzen, d.h. eine aggressivere Politik gegenüber Russland, wird es wahrscheinlich zu einem Krieg kommen. Viele der Jugendlichen, die am Mittwoch auf die Straße gingen, würden einem solchen Krieg zum Opfer fallen, für die geopolitischen Vorherrschaft der herrschenden Klasse Amerikas töten müssen und getötet werden.

Die Demokratische Partei hat ihre ganze Wahlkampfstrategie auf Fragen von Herkunft, Geschlecht, Ethnie und anderen Identitäten konzentriert. Bei den Protesten gegen Schulgewalt jedoch kamen Jugendliche aller Hautfarben und Ethnien zusammen, die größtenteils aus der Arbeiterklasse stammen.

Die Proteste sind politisch beschränkt, weil die Gewerkschaften den Klassenkampf lange Zeit über unterdrückt haben. Doch wenn sich ein Klassenkampf entwickelt, wie jüngst beim Lehrerstreik in West Virginia, so reagieren Arbeiter und Jugendliche stark darauf. So gelang es den Schulangestellten in West Virginia für kurze Zeit die Kontrolle der Gewerkschaften abzuschütteln und eine Massendemonstration in Charleston, der Hauptstadt des Bundesstaats zu organisieren

Die IYSSE begrüßt die Politisierung der Jugendlichen in den USA und weltweit als Vorbote auf künftige Entwicklungen. Allerdings fehlt den Protesten eine politische Strategie, ein Programm und eine Perspektive, um die Krise der Arbeiterjugend und der gesamten Arbeiterklasse zu lösen.

Die Ursachen für die endlose massive Gewalt in Amerika und für alle sozialen Probleme, mit denen die Jugend konfrontiert ist, sind das kapitalistische System und die grauenhafte Welt, die es geschaffen hat. Die grundlegenden Bedürfnisse und Forderungen der Jugend und der Schüler können nur durch den Kampf der Arbeiterklasse um die politische Macht und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft erfüllt werden. Allein auf diese Weise lassen sich Ungleichheit und Krieg aus der Welt schaffen.

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