Warnstreiks in der Metallindustrie – Stimmen von Arbeitern

„Eigentlich bräuchten wir einen Generalstreik“

Mit einer Welle von Warnstreiks reagiert die IG Metall auf die wachsende Unzufriedenheit in den Betrieben. Seit Jahren verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen für Millionen Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie immer weiter. Der Arbeitsdruck und die Arbeitshetze nehmen ständig zu.

Die großen Autokonzerne und ihre Zulieferer, aber auch Siemens und andere Großkonzerne haben nach dem Zusammenbruch der DDR und der Sowjetunion Teile ihrer Produktion nach Osteuropa verlagert und nutzen die dortigen Niedriglöhne und extremen Ausbeutungsbedingungen für satte Profite. Gleichzeitig erhöhen sie den Druck in den deutschen Betrieben und drohen mit Produktionsverlagerung in diese Niedriglohnländer, wenn Arbeiter eine stärkere Belastung nicht akzeptieren.

Dazu kommen die Auswirkungen der Hartz-Gesetze, die vor anderthalb Jahrzehnten von der SPD-Grünen-Regierung unter Kanzler Schröder beschlossen wurden. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes wird gnadenlos eingesetzt, um die Ausbeutungsspirale immer weiter anzuziehen. Gleichzeitig steigen die Unternehmensgewinne und die Gehälter in den Chefetagen.

Den Siemens-Arbeitern, die am Dienstag in Berlin am Warnstreik teilnahmen, war bewusst, dass der Unternehmensvorstand in München vor wenigen Wochen einen Rekordgewinn von 6,2 Milliarden Euro bekannt gegeben und am selben Tag die Entlassung von 6900 Beschäftigten und die Schließung mehrerer Werke angekündigt hatte.

Viele Arbeiter sind deshalb der Meinung, dass die Gewerkschaftsforderung von 6 Prozent viel zu niedrig sei. Im Gespräch mit WSWS-Reportern sagten Arbeiter, dass niemand im Betrieb davon ausgehe, dass die Forderung voll durchgesetzt werde. Viele befürchten, dass eine lange Tariflaufzeit vereinbart wird, die dann eine ebenso lange Friedenspflicht, das heißt Streikverbot, zur Folge hat.

Außerdem müsse der Lohnkampf mit einem Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze verbunden werden. Bei Siemens, ThyssenKrupp, Bombardier, aber auch Kaufhof, Air Berlin und vielen anderen Betrieben stehen Massenentlassungen und Werksschließungen an. „Was sollen die Kollegen mit einer Lohnerhöhung anfangen, die vielleicht schon bald entlassen werden?“, fragte ein älterer Arbeiter, der kurz vor der Rente steht.

Ein 62-jähriger Arbeiter vom Siemens Dynamowerk sagte der WSWS: „Eigentlich müssten wir hier viel massiver auftreten. Wenn wir jetzt Arbeitsplätze verteidigen und unsere Tarifforderungen durchsetzen wollen, müssten wir eigentlich zum Generalstreik aufrufen. Das wäre genau das richtige, Generalstreik.“ Seine beiden Kollegen nickten zustimmend. Einer ergänzte: „Die SPD ist schon lange keine Arbeiterpartei mehr. Die hat nur noch die Interessen der Wirtschaft im Sinn.“

Ein weiterer Arbeiter, Mitte 50, ging auf die Überschrift des WSWS-Aufrufs ein, der für ein sozialistisches Programm zur Verteidigung der Arbeitsplätze eintritt. Er habe sich schon stark mit dem Thema Sozialismus beschäftigt, sagte er. „Aber der Sozialismus ist ja damals in Russland nicht erfolgreich gewesen, obwohl die Revolution eigentlich gute Ziele hatte.“

Darauf angesprochen, dass der erste Arbeiterstaat als Folge von Isolation, ausländischen militärischen Invasionen und fehlender Unterstützung durch die Arbeiterbewegung hochindustrialisierter europäischer Länder wegen des Verrats der Sozialdemokratie degenerieren konnte, meinte er: „Eigentlich ist ja auch die Französische Revolution vor über 200 Jahren nicht sofort erfolgreich gewesen. Es dauert wohl immer etwas länger, bis sich solch ein Umschwung durchsetzt.“

Angesichts der aufgeheizten Stimmung in den Betrieben treten die Gewerkschaftsfunktionäre auf allen Warnstreikkundgebungen sehr wortradikal auf und kündigen weitere Kampfmaßnahmen an. „Wir können noch eine Schippe drauf legen, wenn die Herrschaften von Gesamtmetall sich weiter stur stellen“, sagte am Mittwoch Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall auf einer Kundgebung in Brandenburg.

In Berlin beteiligten sich mehrere Hundert Arbeiter und Auszubildende aus dem Mercedes-Benz Werk und GE Energy Power Conversion an zweistündigen Arbeitsniederlegungen. Dort griff Irene Schulz, Mitglied des geschäftsführenden IGM-Vorstands, die Arbeitgeber scharf an und warf ihnen menschenverachtendes Verhalten vor. Doch die radikalen Töne können nicht darüber hinweg täuschen, dass die miserablen Arbeitsbedingungen in den Betrieben immer mit Zustimmung der IG Metall ausgehandelt wurden.

Gegenüber der WSWS schilderte Lutz Berger, wie sich die Zustände in den vergangenen Jahren immer weiter verschlechtert haben. Er ist seit fast acht Jahren Mitglied des Betriebsrats, arbeitet aber nach wie vor in der Produktion. Vor 28 Jahren fing er im Stammwerk in Sindelfingen bei Daimler an und arbeitet nun schon seit vielen Jahren in der Endmontage im Berliner Werk in Marienfelde.

„Seit Jahren nimmt der Arbeitsdruck ständig weiter zu. Das fing schon Mitte der Neunzigerjahre an. Mit jedem neuen Modell wurde die Arbeit intensiver und anstrengender. Ich erinnere mich noch sehr gut daran – damals war ich noch in Sindelfingen – als plötzlich mit einem Modellwechsel eine von drei Endmontage-Bändern komplett gestrichen wurde und die Arbeit auf die beiden anderen Bänder konzentriert wurde. Wer mal am Band gearbeitet hat, weiß was das bedeutet.

Auch hier in Berlin nehmen die Stückzahlen ständig zu. Wir produzieren jetzt pro Schicht und Stunde 57 Motoren. Ich glaube, das sind 513 Motoren täglich. Dabei muss man am Band oft anderthalb oder zwei Arbeitsgänge übernehmen, weil immer wieder Personal abgebaut wird. Dazu kommt noch Samstagsarbeit, die oft verlangt wird und die man nicht immer ablehnen kann.

Insofern wird über die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung im Betrieb recht unterschiedlich diskutiert. Eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich wäre natürlich gut. Aber einige befürchten, dass mit einer Verkürzung, wie sie jetzt verhandelt wird, in Wirklichkeit die Flexibilisierung weiter verstärkt und der Arbeitszeitrahmen nicht nur nach unten, sondern auch nach oben, über die 40 Stunden-Woche ausgeweitet wird.“

Schlimm sei vor allem die Situation für die Leiharbeiter oder die Beschäftigten mit Werksverträgen. „Man muss sich das mal vorstellen, wir arbeiten alle am selben Band, aber der eine bekommt erheblich weniger Lohn und ist von vielen Sozialleistungen ausgeschlossen. Und wenn er aufmuckt, fliegt er raus.“

Auch, dass Beschäftigte in Berlin, beziehungsweise in den früheren Ost-Bundesländern immer noch drei Stunden in der Woche länger arbeiten müssen, stößt unter Arbeitern auf wachsenden Widerstand. „Wir wollen das jetzt einfach nicht mehr länger hinnehmen. Fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es noch immer diese Spaltung hierzulande.“

Auf den Streik der Ford-Arbeiter in Rumänien vor einigen Wochen angesprochen, sagte Lutz Berger, er habe das bisher nicht mitbekommen. „Wenn das stimmt, dass sich der Streik gegen die dortige Gewerkschaft gerichtet hat, weil sie Verschlechterungen zugestimmt hat, ist das ja krass.“ Berger betonte, dass er die internationale Zusammenarbeit der Arbeiter für sehr wichtig halte.

„Die Kollegen dort haben ja noch viel größere Probleme als wir. Wir dürfen uns unter keinen Umständen gegeneinander ausspielen lassen. Gerade in einem Weltkonzern wie Daimler oder anderen großen Autowerken müssen wir auf internationale Solidarität setzen.

Auch im Saarland organisierte die IG Metall gestern einstündige Warnstreiks.

Bei Bosch in Homburg und vor den Ford-Werken in Saarlouis fanden Kundgebungen statt, und um Mitternacht organisierten die Ford-Vertrauensleute einen Fackelzug. Bei den Ford-Werken, die zur Ford Motor Company gehören, sind rund 6000 Arbeiter und zahlreiche Leiharbeiter beschäftigt. Im Ganzen beteiligten sich nach Gewerkschaftsangaben rund 4000 Arbeiter an dem Warnstreik, darunter auch Arbeiter der Saarstahl, aus Dillingen und Völklingen, sowie Beschäftigte von zehn weiteren Zulieferbetrieben der Ford-Werke.

Der Ford-Betriebsratsvorsitzende Markus Thal drohte den Metall-Arbeitgebern mit der Ausweitung der Streiks, falls es nicht bis zum 18. Januar zu einer Einigung komme, und ließ die Arbeiter pro forma über einen weiteren, 24-stündigen Warnstreik abstimmen. Am Rande der Kundgebung erklärten mehrere Arbeiter der World Socialist Web Site, was sie von den Forderungen der IG Metall hielten. Ihre Berichte machten deutlich, warum die aktuelle Forderung nach mehr Geld und mehr Freizeit Unterstützung erhält.

Petra arbeitet in Saarlouis am Band, und sie unterstützt die Forderungen, weil beides, sowohl Lohnerhöhung als auch Arbeitszeitverkürzung, dringend notwendig sei. Besonders ältere Kollegen könnten eine Reduzierung der Arbeitsstunden gut brauchen. „Wenn du die regulären acht Stunden am Band stehst, und vielleicht auch zehn Stunden oder mehr (denn wir machen auch Überstunden), dann ist das schon hart“, sagte sie. Daneben noch irgendwas anderes mit seinem Leben anzufangen, das sei überhaupt nicht drin. Auch andere Kollegen bestätigten, dass die langen Arbeitszeiten am Band zu Stress, Rückenschmerzen und Übermüdung führen.

Was die Lohnerhöhung betreffe, so räumte Petra ein, dass die Löhne bei Ford „im Vergleich zu vielen andern Bereichen nicht schlecht“ seien. Hier im Werk seien viele Kollegen aus Frankreich, die dort noch weniger verdienen würden. „Aber schließlich wird alles teurer“, setzte sie hinzu. Und jeder könne doch sehen, „was sich die Manager für eine goldene Nase verdienen“.

Vor allem Leiharbeiter, die über die Personalvermittlung Adecco im Werk arbeiten, unterstützten die Forderung nach mehr Geld und berichteten, dass sie als Einstiegslohn nur 10 Euro die Stunde bekämen.

„Das ist die Hälfte des regulären Lohnes, den die Festangestellten bekommen“, so Marco, ein junger Arbeiter. Früher seien die Leiharbeiter üblicherweise nach zwei Jahren in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen worden. „Aber seit 2011 sind hier auch viele Leiharbeiter wieder entlassen worden. Das kann jederzeit wieder passieren, und dann sind wir die ersten, die gehen müssen.“

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