Politische Fragen im Tarifkampf der Metall- und Elektroindustrie

In den vergangenen drei Tagen haben sich rund 160.000 Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie an Warnstreiks beteiligt, zu denen die IG Metall aufgerufen hat. Die Gewerkschaft führt Tarifverhandlungen für die knapp vier Millionen Beschäftigten in Deutschlands größtem Industriezweig.

Die Proteste sollen in den kommenden Tagen weiter ausgedehnt werden. Der IGM-Vorsitzende Jörg Hofman hat mit ganztägigen Warnstreiks oder einer Urabstimmung über Flächenstreiks gedroht, falls der Arbeitgeberverband Gesamtmetall bis Ende Januar nicht einlenkt. Es wäre der erste Flächenstreik der IG Metall in diesem Bereich seit 2003, als sie einen Arbeitskampf zur Ausdehnung der 35-Stunden-Woche auf Ostdeutschland nach vier Wochen erfolglos abbrach.

Angesichts der weit verbreiteten Wut über soziale Ungleichheit und drohende Massenentlassungen bei Siemens und anderen profitablen Konzernen sind Arbeiter zunehmend entschlossen, für eine deutliche Verbesserung ihrer Löhne und Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Die IG Metall ist aber offensichtlich bemüht, die Tarifrunde so schnell wie möglich zum Abschluss zu bringen. Sie hat in diesem für die deutsche Exportwirtschaft entscheidenden Bereich eine enge Partnerschaft mit den Konzernleitungen aufgebaut, die sie nicht gefährden will. Zudem unterstützt sie eine Neuauflage der großen Koalition und will vermeiden, dass die geheimen Verhandlungen über ein rechtes Regierungsprogramm durch einen massiven Arbeitskampf gestört werden. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, sprach sich am Wochenende ausdrücklich für eine große Koalition aus, die „eine gute Perspektive für Deutschland und Europa“ sei.

IG Metall-Chef Hofman hatte schon vor zwei Wochen angekündigt, dass seine Gewerkschaft ab dem 8. Januar in allen Regionen in Warnstreiks gehen werde, und mit größeren Streiks ab Februar gedroht. Er rechne wegen der starken Konjunktur und der rekordverdächtigen Auftragslage mit einem starken Interesse des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall an einer schnellen Lösung, fügte er hinzu. „Eine kurze und heftige Auseinandersetzung wäre möglicherweise für beide Seiten besser. Wir wollen unsere Forderungen durchsetzen und die Arbeitgeber ihre Produktionsausfälle überschaubar halten.“

Es gibt eine enorme Kluft zwischen dem Manövrieren des Gewerkschaftsapparats und den Bestrebungen von Millionen von Industriearbeitern, die unzufrieden, wütend und kampfbereit sind. Seit Jahren erleben Arbeiter, wie die Profite, die Managergehälter und die Vermögen der Reichen explodieren, während ihr eigenes Einkommen stagniert oder sinkt. Vor allem explodierende Mieten und Gesundheitskosten, die sich in der offiziellen Inflationsrate kaum wiederspiegeln, sind für viele existenzgefährdend.

In der Metall- und Elektroindustrie stieg die durchschnittliche Dividende pro Aktie 2014 um 11, 2015 um 9 und 2016 um 12 Prozent, während die Nominallöhne jährlich lediglich um 2 bis 3 Prozent und die inflationsbereinigten Einkommen nicht zunahmen. Von den 43,5 Milliarden Gewinn vor Steuern, die die Branche 2015 erzielte, schüttete sie 10,8 Milliarden oder 24,8 Prozent an die Aktionäre aus. 2016 waren es sogar 28 Prozent.

Hinzu kommt eine enorme Steigerung von Arbeitsbelastung und Stress. „Wir haben in den letzten zehn, zwanzig Jahren eine unglaubliche Produktivitätsentwicklung. Auf der anderen Seite ist der Druck am Arbeitsplatz enorm gestiegen. Das gilt sowohl in der Produktion als auch in den Büros“, sagte der Frankfurter IGM-Vorsitzende Michael Erhardt der Frankfurter Rundschau.

Laut einer Umfrage, die die IG Metall unter 680.000 Beschäftigten des Industriezweigs durchführte, machen 57,3 Prozent Überstunden, fast die Hälfte arbeitet samstags, ein Viertel auch sonntags und ein Drittel leistet Schichtarbeit. Hinzu kommt, dass mittlerweile Hunderttausende Leiharbeiter und Werkverträgler in den Betrieben arbeiten und Teile der Produktion nach Osteuropa ausgelagert wurden, wo die Lohnkosten nur ein Drittel bis ein Zehntel der deutschen betragen. Dies dient als zusätzliches Druckmittel gegen die Belegschaften.

Die Gewerkschaften und die eng mit ihnen verbundene SPD tragen die Hauptverantwortung für diese Zustände. Die Hartz-Gesetze, die 2003 von der letzten SPD-geführten Bundesregierung erlassen wurden, haben die Grundlage für die massive Ausdehnung von Leih- und Niedriglohnarbeit geschaffen. Die IG Metall und ihre Betriebsräte haben die Rationalisierungsmaßnahmen in den Betrieben mit ausgearbeitet und gegen die Belegschaften durchgesetzt.

Als Folge hat die SPD in der Bundestagswahl vom September 2017 das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt. Unter Arbeitern erhielt sie kaum mehr Unterstützung. Auch der IG Metall begegnen die meisten Arbeiter mit Misstrauen und Ablehnung. Auf den Kundgebungen im Rahmen der Warnstreiks, die in der Regel keine Stunde dauern und ökonomisch wirkungslos sind, finden sich vorwiegend Funktionäre und gewerkschaftliche Vertrauensleute ein.

Ein 62-jähriger Arbeiter des Dynamowerks von Siemens in Berlin drückte die Stimmung vieler Arbeiter gegenüber der WSWS mit den Worten aus: „Eigentlich müssten wir hier viel massiver auftreten. Wenn wir jetzt Arbeitsplätze verteidigen und unsere Tarifforderungen durchsetzen wollen, müssten wir eigentlich zum Generalstreik aufrufen. Das wäre genau das richtige, Generalstreik.“

Die IG Metall ist sich dieser Stimmung bewusst und versucht sie zu unterdrücken. Sie hat ihre Tarifforderungen darauf abgestimmt, die Empörung aufzufangen und gleichzeitig einen weiteren Ausverkauf vorzubereiten

Zum einen verlangt sie 6 Prozent mehr Lohn. Was auf den ersten Blick als beträchtliche Erhöhung erscheint, ist in Wirklichkeit Betrug und deckt nicht annähernd den wirklichen Bedarf. Bisher hat die IG Metall stets deutlich unter der ursprünglichen Forderung abgeschlossen und den Abschluss „gestreckt“, indem sie eine lange Laufzeit vereinbarte. Das strebt sie auch jetzt wieder an.

So geht der Tagesspiegel davon aus, dass sie die 6 Prozent „in Stufen“ bekommen wird, „was bei einer langen Vertragslaufzeit über 20 Monate oder mehr kein Problem ist“. Allein schon weil IG Metall-Chef Jörg Hofmann vor dem Gewerkschaftstag im Oktober 2019 keinen weiteren Tarifkonflikt gebrauchen könne, werde der Vertrag „bis in den Spätherbst nächsten Jahres“ laufen. Aufs Jahr umgerechnet läge die Steigerung dann deutlich unter den 3,5 Prozent, die das unternehmerfreundliche Ifo-Institut für dieses Jahr als durchschnittliche Lohnerhöhung für ganz Deutschland prognostiziert hat.

Zum anderen fordert die IG Metall unter dem Motto „Mein Leben – Meine Zeit“ für jeden Beschäftigten das Recht, seine Arbeitszeit bis zu zwei Jahre lang von 35 auf 28 Stunden pro Woche zu verkürzen – bei entsprechender Lohnsenkung. Lediglich Schichtarbeiter, Eltern, die Kinder unter 14 Jahren betreuen, sowie Arbeiter, die Angehörige pflegen, sollen einen geringen Lohnausgleich erhalten.

Diese Forderung genießt vor allem unter jüngeren Arbeitern Unterstützung, aus dem einfachen Grund, weil es unmöglich ist, die Gründung einer Familie oder die Pflege von Angehörigen mit dem enormen Stress eines Vollzeitjobs zu verbinden. Glaubt man einer Umfrage der IG Metall, so würden 82 Prozent gerne vorübergehend kürzer arbeiten, während 89 Prozent wünschen, dass sie ihre Arbeitszeit kurzfristig an ihre Bedürfnisse anpassen können.

Aber auch hier droht eine Falle. Die Unternehmer widersetzen sich der Forderung mit dem zynischen Argument, dadurch würden Arbeiter, die bereits jetzt Teilzeit arbeiten, ungleich behandelt. Außerdem seien die Kosten der Maßnahme nicht abzusehen. Beobachter gehen aber davon aus, dass sie sich mit der IGM einigen werden, wenn diese im Gegenzug dem Ausstieg aus der 35-Stunden-Woche und der Flexibilisierung der Arbeitszeit nach oben zustimmt.

„Den Anspruch auf Teilzeit sowie das Rückkehrrecht auf Vollzeit machen die Arbeitgeber mit – sofern sich das Arbeitsvolumen insgesamt nicht verringert“, kommentiert der Tagesspiegel. „Konkret bedeutet das in der Folge eine weitere Entfernung von der einst ruhmreich erkämpften 35-Stunden-Woche. Bislang ist es so, dass bis zu 18 Prozent der Metaller länger als die tariflich festgelegten 35 Stunden arbeiten dürfen. Diese Quote könnte verschwinden und stattdessen ein Korridor zwischen 28 und 40 Stunden vereinbart werden.“

Ohne Zweifel schwebt auch der IG Metall eine solche Lösung vor. Um ihre berechtigten Forderungen durchzusetzen, müssen die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie den Kampf in die eigenen Hände nehmen. Neue Kampforganisationen und Aktionskomitees, die von den Arbeitern selbst kontrolliert werden, sind nötig, um für die breiteste Mobilisierung der Arbeiterklasse in Deutschland, in Europa und international zu kämpfen.

Der Tarifkampf in der deutschen Metall- und Elektroindustrie ist Bestandteil des wachsenden Widerstands von Arbeitern auf der ganzen Welt. In Frankreich wächst die Opposition gegen die Arbeitsgesetze der Regierung Macron. Im Laufe des vergangenen Jahres streikten Fiat-Arbeiter in Serbien und VW-Arbeiter in der Slowakai gegen Sklavenarbeitslöhne und unerträgliche Bedingungen. In den letzten Jahren haben Autoarbeiter in China und Indien heftige Kämpfe geführt, und 2015 rebellierten Autoarbeiter in den Vereinigten Staaten gegen die korrupte Autogewerkschaft UAW. Im Dezember führten Ford-Arbeiter in Rumänien einen wilden Streik gegen die vom Unternehmen kontrollierte Gewerkschaft.

Überall sind die Arbeiter mit Gewerkschaften und Parteien konfrontiert, die die Angriffe der Konzerne mittragen, Nationalismus schüren und die Arbeiter in einem Land oder Betrieb gegen die aller anderen ausspielen. Die Verteidigung von Löhnen, Arbeitsplätzen und sozialen Errungenschaften erfordert eine internationale Perspektive. Die transnationalen Konzerne und Banken verfolgen in ihrem Krieg gegen die Arbeiterklasse eine internationale Strategie. Deshalb müssen die Arbeiter ebenfalls eine internationale Strategie für den Klassenkampf entwickeln, um ihre Interessen zu verteidigen. Die Aktionskomitees müssen Verbindung zu den Arbeitern in ganz Deutschland, Europa und weltweit aufnehmen, um sich gegenseitig zu unterstützen.

Vor allem fordert die Verteidigung der Errungenschaften der Arbeiterklasse ein sozialistisches Programm. Kapitalistische Regierungen auf der ganzen Welt, angefangen mit der Trump-Aministration in den USA, bereiten neue Kriege und Angriffe auf die Arbeiterklasse vor. In Berlin verhandelt eine politische Verschwörung hinter dem Rücken der Bevölkerung über die rechteste Regierung in Deutschland seit dem Untergang des Dritten Reichs. Das Programm, dass Union und SPD diskutieren, ist derart arbeiterfeindlich, militaristisch und reaktionär, dass sie striktes Stillschweigen darüber vereinbart haben.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) fordert deshalb Neuwahlen. Es darf nicht zugelassen werden, dass eine Clique von rechten Verschwörern ohne jedes Mandat der Bevölkerung ihren Willen bekommt. Die SGP baut eine sozialistische Alternative zu Kapitalismus, Krieg und Staatsaufrüstung auf. Die sozialen Rechte von Arbeitern, die den Reichtum der Gesellschaft produzieren, müssen höher stehen als die Anhäufung grotesker persönlicher Vermögen durch Konzernbosse und der Finanzoligarchen.

Als deutsche Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale arbeitet die SGP eng mit ihren Schwesterorganisationen auf der ganzen Welt zusammen. Auf der World Socialist Web Site analysiert sie täglich politische Entwicklungen, kämpft für eine sozialistische Perspektive und unterstützt die Kämpfe von Arbeitern.

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