Mehr als tausend Beschäftigte der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin, teilweise mit Familien und Unterstützern aus der ganzen Bundesrepublik, versammelten sich am Mittwoch vor dem Berliner Hauptbahnhof zu einer Protestdemonstration gegen die bevorstehenden Massenentlassungen.
Das Insolvenzverfahren war offiziell am 1. November eröffnet worden, nachdem sich die Lufthansa in einem Bieterverfahren 81 Flugzeuge, die Filetstücke der Air-Berlin-Flotte, mitsamt den Landerechten (Slots) an verschiedenen Flughäfen gesichert hatte. Die britische Fluggesellschaft Easyjet sicherte sich etwa 20 Flugzeuge. Konkurrierende Bieter, die in ihrem Angebot die Übernahme der Belegschaften eingeschlossen hatten, wurden vom Insolvenzverwalter und der Bundesregierung nicht berücksichtigt.
Die Demonstranten erhoben massive Kritik gegen die Art und Weise, wie diese Transaktion hinter dem Rücken der Beschäftigten über lange Zeit im Zusammenspiel von Bundesregierung, Lufthansa-Chef Carsten Spohr und Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann vorbereitet worden war.
Sowohl Lufthansa wie auch Easyjet weigern sich, das Personal von Air Berlin anteilig zu übernehmen. Die Beschäftigten sollen sich bei Eurowings-Europe, einer Lufthansa-Tochtergesellschaft mit Sitz in Wien, zu Bedingungen neu bewerben, die weit unter den bisherigen Gehältern liegen.
Organisiert hatte die Demonstration ein engagiertes Team unter der Leitung einer Stewardess aus Düsseldorf, Chantal Meyer, die seit 2004 dem Unternehmen angehörte. Sie sprach vor der Kundgebung am Kanzleramt in Berlin mit der World Socialist Web Site.
„Wir befinden uns gerade in einer widerruflichen Freistellung, das bedeutet, dass wir alle keine Arbeit haben, ganz viel Zeit, aber leider auch keinen Lohn, da aus der Insolvenzmasse nichts übrig geblieben ist.“ Es geht um Tausende der ehemaligen Air Berlin Belegschaft. Nur die etwa 1.700 Beschäftigten der Air Berlin-Tochter Niki mit Sitz in Wien wurden übernommen.
Mit der Demonstration wolle sie ein Zeichen für die Zukunft setzen, „dass wir uns nicht erpressen lassen und auf die eigenen Jobs neu bewerben müssen“. Bei Eurowings, wo sich einige Air Berliner aus existenziellen Ängsten inzwischen beworben haben, mussten sie Lohnsenkungen von etwa 40 Prozent hinnehmen, bei Piloten sogar von 50 bis 60 Prozent, je nach Berufserfahrung.
Um ein Umdenken bei Lufthansa und Etihad zu bewirken und die Übernahme des Flugpersonals mitsamt ihrer Maschinen durchzusetzen, hatte das Aktionsteam mit einer Petition eine Unterschriftensammlung in Gang gesetzt. Bis zur Kundgebung hatten sich bereits 46.123 Unterstützer eingetragen.
Ihre Hoffnungen stützen sich auf Paragraph 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der die Belegschaften bei Betriebsübernahmen zumindest für eine beschränkte Zeit schützt. Lufthansa begründete bisher die Ablehnung dieser Forderung damit, dass das Gesetz nur die Übernahme von ganzen Betrieben, nicht aber den Transfer von Betriebsteilen betreffe, wie es mit den 81 Flugzeugen der Fall sei.
Die Petition wurde während der Kundgebung ausgerechnet an Gregor Gysi, den Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, übergeben, der sie mit einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel weiterreichen soll.
Auf die Frage der WSWS, warum sie Hoffnungen in Gregor Gysi setze, der doch vor etwa zehn Jahren als führendes Mitglied der Linkspartei die Privatisierung der Flughafen-Bodendienste in Berlin mit unterstützt habe, wonach deren Lohnniveau und Arbeitsbedingungen drastisch gesenkt wurden, antwortete Chantal Meyer: „Der Gysi von heute ist nicht der Gysi von damals.“
Gysis las seinen Brief an Frau Merkel während der Kundgebung vor. Er bestand aus einem flehenden Appell an die Kanzlerin, auch an die betroffenen Menschen zu denken, „ihre Empörung, ihre Verzweiflung ernst zu nehmen“.
Dass die Bundeskanzlerin in dieser Sache eine Änderung herbeiführen wird, darf – gelinde gesagt – bezweifelt werden. Sie war noch im Sommer mit Lufthansachef Spohr und Air-Berlin-Vorstand Winkelmann nach Abu Dhabi geflogen, um das Prozedere einer Übernahme durch die Lufthansa mit der Fluggesellschaft Etihad zu besprechen.
Gespräche mit Teilnehmern der Demonstration brachten Klarheit darüber, warum sich nicht schon mehr Air Berliner bei der Bundesanstalt für Arbeit als arbeitslos registriert haben, was in Zeitungsberichten immer wieder auf Verwunderung stößt.
Sabine, die seit 17 Jahren bei Air Berlin als Flugbegleiterin tätig war, kam mit ihrem Mann zur Demonstration. Sie beschrieb die paradoxe Situation, in der sich die Belegschaft befindet: „Wir sind widerruflich freigestellt, dass heißt, wir können theoretisch wieder zur Arbeit ‚gerufen’ werden, wurden aber schon angewiesen, unsere Uniformen zu vernichten.“
Bei einer unwiderruflichen Freistellung oder einer Kündigung könnte sie sich schon anderswo bewerben oder sich arbeitslos melden. Selbst kündigen wolle sie nicht. „Dann würde ich alle Ansprüche an Air Berlin aufgeben“, erklärte sie.
Außerdem böten andere Fluglinien keine Teilzeitbeschäftigung an. Sie habe zwei kleine Kinder und könne keine Vollzeitbeschäftigung annehmen, bei Air Berlin sei das seit einigen Jahren möglich gewesen.
„Von der Gewerkschaft haben wir seit der Insolvenz wenig gesehen“, erwiderte sie auf die Frage, ob Verdi den Arbeitskampf unterstützt habe. „Die hätten viel früher aktiv werden müssen, aber Christine Behle [Vorstandsmitglied von Verdi] sitzt ja auch im Aufsichtsrat der Lufthansa“, ergänzte sie unter Lachen. „Das scheint alles ein bisschen korrupt zu sein, Herr Winkelmann war ja auch lange bei der Lufthansa, bevor er unser Vorstandsvorsitzender wurde und sich sein Geschäftsführergehalt durch Bankbürgschaft mit 4,5 Millionen Euro garantieren liess. Er ist auch ein guter Kumpel von Carsten Spohr, dem Lufthansachef.“
Daniela, eine Flugbegleiterin seit 15 Jahren, gab ihrer Enttäuschung Ausdruck: „Wir haben die letzten drei Monate seit August alles getan, um die Fluggesellschaft zu retten, haben unseren ganzen Einsatz gegeben. Wir wussten, es geht bergab, haben aber ständig gedacht, dass sich schon jemand um uns kümmert und dass wir bei den neuen Erwerbern der Flugzeuge gut und sicher unterkommen.“ Nun sei sie eines Besseren belehrt worden: „Nach den drei Monaten folgte die sogenannte ‚widerrufliche Freistellung’ und nun sitzen wir alle auf der Straße.“
Außer Gregor Gysi sprach auch der stellvertretende Landesbezirksleiter von Verdi Berlin-Brandenburg, Roland Tremper. „Unser Gesellschaftssystem definiert sich darüber, dass wir Menschen Lebensperspektiven geben, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, ihren Familien die Möglichkeit geben, ein sozial gesichertes und friedliches Leben zu führen“, begann er seine Rede.
Nach vielen Vorwürfen gegen die Politik der Bundesregierung und die Verantwortungslosigkeit der Unternehmensführer Spohr und Winkelmann eröffnete er den Demonstranten, er sei auch Vorsitzender eines Verwaltungsausschusses bei der Arbeitsagentur in Berlin. Vor einer Woche habe er einen Antrag auf Massenentlassungen der Beschäftigten des Bodenpersonals bekommen.
Er habe den Vorschlag, die Entlassungen durch schriftliches Umlaufverfahren oder in einer Telefonkonferenz kurzfristig abzusegnen, zurückgewiesen und stattdessen eine Präsenzsitzung verlangt, bei der man anderen in die Augen schauen und am Ende sehen könne, wer wirklich bereit sei, der Entlassung von Hunderten Beschäftigten zuzustimmen. In ein paar Wochen, beim gleichen Antrag für das Kabinenpersonal, werde man sich genauso verhalten. „Ich weiß nicht, ob es viel hilft. Aber egal, ob es hilft oder nicht, wir machen das nicht einfach so am Telefon oder am warmen Schreibtisch, definitiv nicht.“
Ob am Telefon, am Schreibtisch oder mit Blick in die Augen, die Entscheidung läuft für die Beschäftigten auf das gleiche Ergebnis hinaus.