Schäuble wirbt für die Fortsetzung seiner Austeritätspolitik

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble nutzt seine letzten Tage im Amt, um für die Festschreibung seiner Austeritätspolitik zu werben. Der 75-jährige CDU-Politiker wird in den nächsten Tagen zurücktreten, da er sich am 24. Oktober zum Präsidenten des Bundestags wählen lässt. Doch in dieser Woche trifft sich Schäuble noch einmal mit allen, die in der internationalen Geld- und Finanzpolitik etwas zu sagen haben.

Schäuble, der wie kein anderer Politiker für deutsche Arroganz und eine rücksichtslose Sparpolitik im Interesse der Reichen steht, die das Leben von Millionen ruiniert hat, will sicherstellen, dass dieser Kurs auch nach seinem Ausscheiden fortgesetzt wird. Und er findet dafür viel Unterstützung.

Am Montag traf sich Schäuble mit den Finanzministern der Euro-Zone in Luxemburg und am Mittwoch fährt er zur Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds in Washington, wo neben Ministern und Notenbankchefs aus 189 Mitgliedsländern auch viele Mächtige aus der Banken- und Finanzbranche zusammenkommen. Dort sind zwei Pressekonferenzen sowie eine Unzahl bilateraler Treffen geplant.

In Luxemburg wurde Schäuble von seinen 18 Amtskollegen in den höchsten Tönen gelobt. „Wir werden ihn vermissen“, sagte Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem. „Er war ein großartiger Kollege für jeden von uns, er gab Ratschläge, mal gefragt, mal ungefragt.“ Dabei habe er das langfristige Interesse einer stabilen Euro-Zone stets an erste Stelle gestellt.

Der italienische Finanzminister Pier Carlo Padoan bezeichnete Schäuble als „großartigen Finanzminister“. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire nannte ihn „einen großen Europäer“, der „eine Hauptrolle für die Weiterentwicklung der europäischen Gemeinschaft“ gespielt habe.

Auch wenn in dem überschwänglichen Lob Erleichung darüber mitklang, dass Schäuble, der als überheblich und zynisch gilt, nach acht Jahren im Amt endlich abtritt, ist die Bewunderung für seine harte Haltung bei der Durchsetzung unpopulärer Sparmaßnahmen echt. Die brutalen Angriffe auf die Arbeiterklasse, für die Schäubles Namen vor allem in Griechenland zum Synonym wurde, werden auch nach seinem Rückzug die europäische Agenda bestimmen.

Der 1942 in Süddeutschland geborene Schäuble war 1961 in einer Zeit, in der sich die meisten Jugendlichen nach links orientierten, in die stockreaktionäre Junge Union eingetreten. 1972 wurde er für die CDU in den Bundestag gewählt. 1984 wurde er Minister und leitete Helmut Kohls Bundeskanzleramt.

1990 handelte Schäuble als Innenminister den Einigungsvertrag zur Auflösung der DDR aus, oder besser, er diktierte ihn, da auf DDR-Seite Marionetten der CDU am Verhandlungstisch saßen. Die verheerenden Folgen der Wiedervereinigung – die Verschleuderung und Stilllegung der ostdeutschen Industrie, die daraus resultierende Massenarbeitslosigkeit – waren maßgeblich auf Schäubles Verantwortung zurückzuführen.

Als Innenminister – ein Amt, das er von 1989 bis 1991 unter Helmut Kohl und von 2005 bis 2009 unter Angela Merkel ausübte – vertrat Schäuble eine repressive Politik des starken Staats. Er wollte die Bundeswehr im Innern einsetzen und forderte eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes; unter anderem sollte die Bundeswehr die Befugnis erhalten, im Terrorfall Zivilflugzeuge abzuschießen. Er wandte sich gegen die parlamentarische Überwachung der Geheimdienste und trat für die Abschaffung von Grundrechten für „Terroristen“ ein. Unter anderem schlug er vor, Aussagen von Gefolterten bei der Ermittlungsarbeit der Sicherheitsbehörden zu verwenden

Juristische Fachverbände warfen ihm vor, er opfere Grundrechte auf dem Altar vermeintlicher Sicherheitsinteressen, führe einen „Frontalangriff auf das Grundgesetz“ und schüre Ängste in der Bevölkerung, „um eine gesellschaftliche Akzeptanz für weit reichende Kompetenzen der Sicherheitsbehörden zu schaffen“.

Seine eigentliche Bestimmung fand Schäuble dann, als er 2009 ins Amt des Finanzministers wechselte. Im Jahr davor hatten die Banken das Weltfinanzsystem mit kriminellen Spekulationsgeschäften an den Rand des Zusammenbruchs getrieben und sein Vorgänger, der Sozialdemokrat Peer Steinbrück, hatte sie mit Milliarden an Steuergeldern „gerettet“. Schäuble machte sich nun daran, diese Milliarden von der Arbeiterklasse wieder einzutreiben. Vor allem in Griechenland, Portugal, Spanien und anderen hochverschuldeten Ländern erzwang er einen sozialen Kahlschlag, wie ihn Europa bisher nur in Kriegszeiten erlebt hatte.

Schäuble schien eine geradezu sadistische Lust dabei zu empfinden, der griechischen Regierung in nächtelangen Verhandlungen ein Sparpaket nach dem anderen zu diktieren, die den Lebensstandard der Bevölkerung dezimierten, Millionen Rentner ihrer hartverdienten Altersversorgung beraubten und einer Generation von Jugendlichen jede Zukunftsperspektive nahmen, während die sogenannten „Hilfskredite“ direkt in die Kassen der internationalen Banken flossen.

In Deutschland versteifte sich Schäuble auf einen ausgeglichenen Haushalt. Während die Infrastruktur zerfiel, Gesundheitsversorgung und Alterspflege ausbluteten, der Lehrermangel unerträgliche Ausmaße annahm und Löhne und Renten sanken, brüstete er sich vier Jahre lang mit der sogenannten „Schwarzen Null“.

Das Lob, dass Schäuble nun im internationalen und nationalen Rahmen zuteilwird, zeigt, dass die große Mehrheit der herrschenden Klasse diese Politik unterstützt. Schäuble selbst hat in einem langen Interview mit der Financial Times auf eine Verschärfung der Austeritätspolitik gedrängt.

Zu seinem letzten Treffen mit den Euro-Finanzministern am Montag brachte Schäuble ein „böses Geschenk“ (Die Welt) mit, ein Arbeitspapier aus seinem Ministerium, das vorschlägt, den Euro-Rettungsfonds (ESM) zu einem Europäischen Währungsfonds auszubauen, der die Haushaltspolitik und die Einhaltung der Verschuldungsgrenzen durch die Mitglieder der Eurozone überwacht und über weitreichende Kontrollerechte verfügt.

Schäuble will damit die EU-Kommission entmachten, die seiner Meinung nach zu sehr politischen Einflüssen unterliegt, und durch eine Institution ersetzen, die gegenüber sozialem Druck immun ist und ganz Europa dem Finanzdiktat Deutschlands unterwirft.

Sein Papier richtet sich auch gegen die Europapläne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Dieser hat zwar Schäubles Unterstützung, wenn er in Frankreich mithilfe des Ausnahmezustands die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse angreift, nicht aber, wenn er einen europäischen Finanzminister und einen eigenen Haushalt für die Euro-Zone fordert.

„Weniger Nationalstaat, mehr Europa, so seine [Macrons] Vorstellungen“, schreibt Die Welt. „Schäuble will zwar mehr Macht für ein europäisches Kontrollgremium nach deutschen Vorstellungen. Dafür soll es aber weniger der ungeliebten Kommission unterstehen als den nationalen Regierungen.“

Diese Gegensätze dürften sich noch verschärfen, falls es in Deutschland zu einer Regierungskoalition der CDU/CSU mit den Grünen und den Liberalen kommt und die FDP den neuen Finanzminister stellt. Die FDP lehnt nicht nur Macrons, sondern auch Schäubles Pläne ab. Sie will den Euro-Rettungsfonds, der 2012 zur Überwindung der Finanzkrise gegründet wurde, wieder abschaffen und jeden Finanzausgleich unter den Euro-Ländern unterbinden.

Wie die zukünftige deutsche Regierung letztlich aussehen wird, steht noch nicht fest. Eines zeichnet sich aber ab: Sie wird nicht nur Schäubles Austeritätskurs fortsetzen, sondern auch verstärkt dem Motto „Deutschland first“ folgen und die nationalen Gegensätze in Europa verschärfen.

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