Bei der Zerlegung der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin stehen Piloten, Flugbegleiter und Bodenbeschäftigte einem Komplott gegenüber, an dem sich neben Lufthansa, Air Berlin und Bundesregierung auch die Gewerkschaften beteiligen. Es verfolgt das Ziel, die Bedingungen in der deutschen Luftfahrt insgesamt zu knacken.
Am Montag und Dienstag nach der Bundestagswahl wurden die Belegschaften von Air Berlin auf sogenannten Informationsveranstaltungen in Berlin, Düsseldorf und Ratingen über den aktuellen Stand der Verkaufsverhandlungen informiert. Wie es hieß, bestehe „Hoffnung“, dass „etwa 80 Prozent“ der über 8000 Arbeitsplätze bei Air Berlin gerettet werden könnten – mit andern Worten: dass mindestens 1600 Arbeitsplätze vernichtet werden.
Seit Bekanntwerden der Air-Berlin-Pleite am 15. August haben sich zahlreiche Interessenten an einer wochenlangen Bieterschlacht beteiligt. Zurzeit werden die Verhandlungen aber nur noch mit den zwei potenziellen Käufern Lufthansa und Easyjet fortgesetzt.
Bei den Informationsveranstaltungen trat Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann gemeinsam mit dem Generalbevollmächtigten Frank Kebekus und dem Sachwalter Lucas Flöther auf. Winkelmann war Top-Manager bei Lufthansa, bevor er im Februar 2017 an die Spitze von Air Berlin wechselte; Flöther tritt als Kontrolleur im Namen des Insolvenzgerichts auf; und Kebekus ist Konkursverwalter und hat die Interessen der Gläubiger zu wahren. Zu den Gläubigern gehört auch die Bundesregierung, denn sie hat Air Berlin einen Übergangskredit in Höhe von 150 Millionen Euro gewährt.
Von den 1600 Stellenstreichungen werden besonders die Arbeitsplätze außerhalb des unmittelbaren Flugbetriebs betroffen sein. Das bedeutet, dass in erster Linie die Beschäftigten bei Air Berlin Technik und in den IT- und Verwaltungsbereichen den Arbeitsplatz verlieren werden.
„Schwierig ist die Zukunft für die Verwaltungsmitarbeiter“, sagte dazu Gewerkschaftssekretärin Christine Behle (SPD), die nicht nur Mitglied im Verdi-Bundesvorstand, sondern auch im Aufsichtsrat der Lufthansa Group ist. „Da machen wir uns große Sorgen“, setzte sie in paternalistischem Unternehmerton hinzu.
Dem Lufthansa-Aufsichtsrat kann es jetzt nicht schnell genug gehen, an die Beute heranzukommen. Am 26. September hat er eine Milliarde Euro für den Kauf von 61 Air-Berlin-Flugzeugen gebilligt. Die Milliarde bekommt aber nicht Air Berlin, die diese Flugzeuge gar nicht besitzt, sondern ihre derzeitige Leasingfirma. Von den 38 Flugzeugen, die Air Berlin samt Personal an den Lufthansa-Konzern vermietet, hatte Lufthansa zuvor schon 20 gekauft.
Gleichzeitig kündigte Lufthansa Ende September neue Langstreckenflüge in die USA an, die Air Berlin bisher angeboten hatte und nun streichen musste.
Über den Kaufpreis von Air Berlin selbst wird noch gepokert. Die Rede ist von 100 bis 200 Millionen Euro. Angesichts der künftigen Gewinnaussichten frohlockte Lufthansa-Chef Carsten Spohr bereits über die „großen Chance, mit Eurowings in Europa einen entscheidenden Schritt voranzukommen“.
Dem Vernehmen nach sollen die Verhandlungen mit den „ausgewählten Bietern“ mindestens bis zum 12. Oktober dauern, es ist sogar von bis zu drei Monaten die Rede, bedingt durch Klagen und der Prüfung der Wettbewerbsbehörden.
Fest steht, dass die Beschäftigten für die Pleite von Air Berlin in vielerlei Hinsicht bluten müssen. Das gilt nicht nur für diejenigen, die ihre Arbeit ganz verlieren, weil Lufthansa und Easyjet keine Verwendung für sie haben. Auch die Crew, also das gesamte Flugpersonal, wird nicht etwa übernommen, sondern muss sich neu und zu den Bedingungen der Lufthansa-Billigtochter Eurowings bewerben. Der Lufthansa-Vorstand hat kollektive Besitzstandsregelungen für das Air-Berlin-Personal kategorisch abgelehnt.
Parallel zu den Verkaufsverhandlungen hat Air-Berlin-Chef Winkelmann am 29. September Gespräche mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aufgenommen. Die Gewerkschaft hat gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit und dem Land Berlin einen Sozialplan und die Schaffung einer Transfergesellschaft für Air-Berlin-Mitarbeiter ins Gespräch gebracht.
Wie sich erweist, sind die Gewerkschaften Teil des Komplotts. Bei der Zerlegung von Air Berlin wie in ihrer ganzen Arbeit geht es den Gewerkschaften darum, eine schlagkräftige Lufthansa Group und konkurrenzfähige deutschen Standorte zu schaffen, um die Rivalen an den europäischen und weltweiten Flughäfen aus dem Feld zu schlagen.
Die drei Gewerkschaften Verdi, Vereinigung Cockpit (VC) und Ufo mögen eine unterschiedliche Geschichte haben und gelegentlich taktische Meinungsverschiedenheiten austragen. Sie teilen jedoch alle die nationalistische und profitorientierte Politik, die die Betriebsräte der deutschen Verkehrsflughäfen im April 2016 in die Worte fassten: „Wir wollen uns erfolgreich dem Wettbewerb im internationalen Luftverkehrsmarkt stellen … Es darf nicht sein, dass die Politik Gesetze fortführt oder neu beschließt, die dazu führen, dass unsere Unternehmen Marktanteile, Standorte und Arbeitsplätze an unsere internationalen Wettbewerber verlieren.“
Bei der Zerlegung von Air Berlin ziehen sie alle an einem Strang. Sie tragen aktiv dazu bei, die Last des Konkurrenzkampfs auf die Schultern der Beschäftigten abzuwälzen, und bereiten so den Weg dafür vor, dass die Verschlechterungen, welche die Air-Berlin-Beschäftigten heute schlucken müssen, schon morgen für alle Beschäftigten in der Branche gelten.
Das ganze Gerede der drei Gewerkschaften, man kämpfe bis zuletzt um möglichst viele Arbeitsplätze und Besitzstandsregelungen, ist nichts weiter als ablenkende Begleitmusik.
Die Gewerkschaften haben seit August, als die Insolvenz von Air Berlin bekannt wurde, alles in ihrer Macht Stehende getan, um jeden möglichen Widerstand im Keim zu ersticken. Einem spontanen Sick-Out-Streik der Piloten fielen sie geschlossen in den Rücken und setzten die krankgemeldeten Piloten unter Druck, sich schnellstmöglich wieder zur Verfügung zu stellen.
Innerhalb der Lufthansa Group haben sie längst akzeptiert, dass mit dem Ausbau der Billigtochter Eurowings die Löhne unterlaufen und jahrzehntealte Errungenschaften zerstört wurden, wie zum Beispiel die Ruhestands- und Übergangsregelungen für Piloten und Crews.
In den vergangen Jahren haben die Gewerkschaften im gesamten Flugbereich zahlreiche Arbeitskämpfe ausverkauft. Zuletzt haben sie mit Lufthansa einen Manteltarifvertrag abgeschlossen, der nicht nur gravierende Verschlechterungen beinhaltet, sondern bis zum Jahr 2022 läuft: In dieser Zeit ist es den 5400 Piloten verboten, zu streiken.
Obwohl offiziell noch gar nicht bekannt war, welche Bieter zum Zuge kommen, haben die drei Gewerkschaften bereits am 8. September mit der Lufthansa Billigtochter Eurowings spezielle Tarifverträge geschlossen. Die Bedingungen in diesen Tarifverträgen (die bei Verdi „Tarifvertrag Wachstum“ und bei Ufo „Tarifvertrag der Zukunft“ heißen) werden nun den ehemaligen Air-Berlin-Kollegen aufs Auge gedrückt, wenn sie bei Eurowings anheuern müssen.
Die Lufthansa-Tochter Eurowings hat bereits 1000 Stellen ausgeschrieben. Sie will kurzfristig 300 Piloten, 500 Flugbegleiter und 200 Mitarbeiter am Boden einstellen. Der Personalchef hat bekannt gegeben, das Air-Berlin-Personal könne sich ab sofort zu „fairen und wettbewerbsfähigen Vergütungsbedingungen“ bewerben. Über das genaue Lohnniveau und die Einzelheiten herrscht noch Stillschweigen. Aber die Air-Berlin-Crew muss davon ausgehen, dass das Niveau deutlich – voraussichtlich bis zu 30 Prozent – unter ihren bisherigen Tarifvertragsbedingungen liegt.