Macron präsentiert Dekrete zur Zerstörung des französischen Arbeitsrechts

Am Donnerstag stellten Frankreichs Premierminister Edouard Philippe und Arbeitsministerin Muriel Pénicaud die Dekrete zur Arbeitsmarktreform vor, die von Präsident Emmanuel Macron erlassen werden und einen Generalangriff auf das französische Arbeitsrecht einleiten. Ein Jahr nachdem die Regierung unter der Parti socialiste (PS, Sozialistische Partei) ein neues Arbeitsgesetz gegen den Widerstand der großen Mehrheit der französischen Bevölkerung eingeführt hatte, setzt Macron all die unpopulären Maßnahmen, die die PS angesichts von Massenprotesten noch zurückziehen musste, im Alleingang gesetzlich um.

Die Dekrete, die von Macrons Regierung, den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften ausgehandelt wurden, rufen breiten Widerstand unter Arbeitern hervor. Laut einer Meinungsumfrage sind über Zweidrittel (68 Prozent) der französischen Bevölkerung der Ansicht, dass ihre Arbeitgeber die Dekrete ausnutzen werden, um Verträge auf Betriebsebene zu verhandeln und so die Löhne und Zusatzleistungen zu senken. Vier von fünf Befragten erwarten soziale Proteste gegen Macrons Dekrete.

Die herrschende Elite in Frankreich und weltweit fürchtet zwar die breite Opposition, doch sie betrachtet die Dekrete als entscheidenden Schritt zur Zerstörung der sozialen Rechte, die von der Arbeiterklasse über Generationen hinweg erkämpft wurden. Macron will das durchsetzen, was die herrschende Klasse in Deutschland mit den Hartz-Gesetzen der SPD und die Europäische Union (EU) in Griechenland mit den Spardiktaten bereits geschafft hat. Da die Wettbewerbsfähigkeit des französischen Kapitals einbricht und die EU eine weitgehende Militarisierung ihrer Außenpolitik vorbereitet, rüstet sich die herrschende Klasse zu einer Konfrontation mit der Arbeiterklasse.

Die Welt zitierte Jérôme Fourquet vom Umfrageinstitut Ifop: „Es herrscht eine Stimmung wie am Vorabend einer großen Schlacht.“ Der Autor des Artikels kommentierte: „Niemand weiß, wer sie gewinnen wird. Sicher ist nur eins: Die Septemberwochen werden eine Bewährungsprobe sein. Macron, der als komplett chancenloser Kandidat angetreten war und den die fantastische Dramaturgie eines von Anfang bis Ende unberechenbaren Wahlkampfs zum Präsidenten machte, hat eine historische Chance. Eine zweite wird es nicht geben.“

Die New York Daily News schrieb, die Dekrete seien für Macron „der erste große Test seiner Pläne zur Reform der zweitgrößten Wirtschaft der Eurozone. Seit Jahrzehnten versuchten linke und rechte Regierungen, Frankreichs strikte Arbeitsgesetze zu reformieren, doch diese Absichten wurden angesichts der Straßenproteste stets abgeschwächt.“

Premierminister Edouard Philippe machte dasselbe Argument, indem er erklärte, die zentrale Frage bei der Umsetzung der Dekrete sei es, „die verlorenen Jahre aufzuholen, Jahre der Gelegenheiten, die verpasst wurden, vielleicht wurden [die Reformen] falsch ausgehandelt, falsch erklärt, falsch verstanden, doch jedes Mal wurden sie verschoben oder abgeschwächt.“

Die Methoden, die Macron anwendet, um seine Dekrete durchzusetzen, sind Ausdruck der tiefen Krise der Demokratie in Frankreich unter dem Diktat der Finanzaristokratie. Die Nationalversammlung – dominiert von Macron-Unterstützern, die in einer Parlamentswahl gewählt wurden, an der sich nur eine Minderheit der französischen Bevölkerung beteiligte – stimmte einem Ermächtigungsgesetz zu, das es Macron gestattet, diese Dekrete sogar ohne die Formalität einer Parlamentsabstimmung durchzusetzen.

Die Dekrete erleichtern Massenentlassungen, indem sie die Beschränkungen für die Wirtschaft aufheben. So werden Abfindungszahlungen, die Arbeitsgerichte für unbegründete Entlassungen erheben können, künftig gedeckelt und die Frist, in welcher ein Fall vor das Arbeitsgericht gebracht werden kann, von 24 auf maximal 12 Monate verkürzt. Wenn ein internationales Unternehmen aufgrund von angeblichen finanziellen Schwierigkeiten Massenentlassungen ankündigt, wird künftig ausschließlich dessen finanzielle Situation in Frankreich berücksichtigt. Komplexe Finanztransaktionen, um eine Insolvenz herbeizuführen oder die Bilanzen französischer Tochtergesellschaften zu schwärzen, können somit Entlassungen von Mitarbeitern erleichtern.

Außerdem bekommen Unternehmen durch die neuen Regelungen die Möglichkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse auszuweiten und sich sowohl den Bestimmungen des Arbeitsrechts wie der Branchentarifverträge zu entziehen. Unternehmenschefs können Verträge ausschließlich für ihr Unternehmen aushandeln, die gegen die Tarifverträge und den Code de travail, das französische Arbeitsrecht, verstoßen, womit letzteres praktisch obsolet wird. Tarifverträge können herangezogen werden, um Zeitverträge zu regulieren, und insbesondere Werkverträge zu fördern, die Macron eingeführt hat.

Bei der Umsetzung der Dekrete verlässt sich Macron auf die Gewerkschaften, die sich in bürokratische Apparate verwandelt haben, die den Großunternehmen absolut loyal sind. Ebenso kann er auf die Unterstützung der PS und kleinbürgerlicher „linker“ Kräfte wie Jean-Luc Mélenchon und der Neuen Antikapitalistischen Partei zählen.

Mit den Dekreten wird die Integration der Gewerkschaften in das Management verstärkt, indem verschiedene Formen der Arbeitnehmervertretung zusammengefasst werden. Die bisher vier Gremien werden zu zweien zusammengefasst: auf der einen Seite Gewerkschaftsdelegierte, auf der anderen Arbeiterdelegierte, der Betriebsrat und der Ausschuss für Hygiene, Arbeitssicherheit und Arbeitsbedingungen.

Ein gewerkschaftlich organisierter Arbeiter oder einer, der es werden will, wird mehr Schulungen auf diesem Gebiet erhalten. Der Staat wird eine Organisation schaffen, die die Tarifverhandlungen beaufsichtigt. Damit folgt Frankreich dem deutschen Modell, um von den regionalen Gewerkschaftsvertretern absolute Loyalität zu erkaufen. Die Gewerkschaften werden eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung von Verträgen auf Unternehmensebene sowie der beabsichtigten Senkung der Überstundenzulage von 25 auf 10 Prozent spielen.

Die horrenden Summen, die durch die Steigerung der Ausbeutung aus den Arbeitern herausgepresst werden, sollen die Profite der Milliardäre Europas erhöhen und in die Verteidigungsausgaben fließen, mit denen der europäische Kontinent militarisiert werden soll. Macron stellte seine Dekrete nur zwei Tage nach einer Konferenz französischer Diplomaten vor. Dort erläuterte er Pläne für eine aggressive und militaristische Weltpolitik, die vor dem Hintergrund zunehmender Konflikte unter den Großmächten, auch innerhalb Europas, die französischen Interessen sicherstellen soll.

Macron erklärte auf der Konferenz: „Wir haben vergessen, dass die letzten 70 Jahre Frieden auf dem europäischen Kontinent eine Ausnahme in unserer kollektiven Geschichte sind. (…) Doch die Gefahr lauert auf unserer Türschwelle, auf unserem Kontinent könnte ein Krieg ausbrechen.“ Er forderte, das französische Militär zu „einem der besten der Welt“ zu machen.

Offenkundig vertraut Macron auf die drakonischen Vollmachten der Polizei, die diese unter dem in Frankreich geltenden Ausnahmezustand hat, sowie auf die Komplizenschaft der Gewerkschaftsbürokratien, die es ihm ermöglichen sollen, seine Dekrete trotz Massenopposition durchzusetzen. Die nationalen Gewerkschaftsverbände, die diese Maßnahmen mit Macron ausgehandelt haben, werden keinen ernsthaften Kampf gegen die Regierung führen.

Laurent Berger von der Confédération française démocratique du travail (CFDT – Sozialdemokratischer Gewerkschaftsbund) sagte, er sei „enttäuscht“. Doch seine Gewerkschaft wird ebenso wie Force Ouvrière (FO – Arbeitermacht) nicht einmal einen symbolischen Protest organisieren. Die stalinistische Gewerkschaft Confédération générale du travail (CGT), die sich ebenfalls an den Gesprächen mit Macron beteiligt hatte, erklärte scheinheilig: „Alle unsere Befürchtungen haben sich bewahrheitet, und eine weitere Befürchtung ist offensichtlich und heißt: Dies ist das Ende des Arbeitsvertrages.“ Die CGT hat für den 12. September zu Demonstrationen aufgerufen.

Die Parti de l’égalité socialiste (Sozialistische Gleichheitspartei) betont, dass sich Arbeiter nicht auf diese symbolischen Proteste verlassen dürfen, die von den Gewerkschaften auf der Grundlage einer beschränkten, nationalistischen Perspektive organisiert werden. Der wahre Verbündete der französischen Arbeiter im Kampf gegen die Dekrete, den Militarismus und die Polizeirepression ist die europäische und internationale Arbeiterklasse. Das ist die objektive soziale Kraft, auf die sich ein sozialistischer Kampf gegen die Austeritätspolitik und den Militarismus der EU stützen muss.

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