Am Mittwoch verabschiedete das amerikanische Repräsentantenhaus einen Gesetzesentwurf, der die Sanktionen gegen Russland, den Iran und Nordkorea verschärft. Die europäischen Mächte reagierten empört: für die europäische Wirtschaft sei der Entwurf inakzeptabel. Die EU bereitet offenbar Gegenmaßnahmen vor.
Die neugeplanten US-Sanktionen gegen Russland und die Reaktion der EU darauf zeigen, dass hinter der merklichen Abkühlung der Beziehungen zu Amerika seit Donald Trumps Amtsantritt handfeste Konflikte stehen. Obwohl seit der US-Präsidentschaftswahl Trump selbst im Fokus europäischer Kritik steht, ist der Anstoß zum jüngsten Konflikt ein Gesetzesentwurf, den auch Trumps Gegner bei den Demokraten unterstützen (und fast einstimmig angenommen haben), um Trumps Handlungsfreiheit gegenüber Russland einzuschränken. Dies zeigt, dass zwischen den europäischen Mächten und der gesamten herrschenden Klasse Amerikas tiefe finanzielle und strategische Interessenskonflikte bestehen.
Vertreter der EU, Deutschlands und Frankreichs kritisieren den Gesetzesentwurf, dessen weitreichende Vorgaben es Washington ermöglichen, Sanktionen gegen europäische Großkonzerne zu verhängen, die mit Russland oder dem Iran Geschäfte machen. Dies gefährdet die wesentlichen strategischen und energiepolitischen Interessen Europas.
Die Europäische Kommission veröffentlichte am Mittwoch ein Pressekommuniqué, in dem die Sorge über die Bedrohung der „europäischen Energieunabhängigkeit“ zum Ausdruck kommt. Dort heißt es, zwar seien „einige der Bedenken der EU … in den US-Gesetzesentwurf eingeflossen“, aber „dennoch könnten die US-Strafmaßnahmen auch europäische Unternehmen beeinträchtigen, die mit Russland im Energiesektor Geschäfte betreiben“. Von den Sanktionen wären auch „der Energietransport und die Wartung von Leitungssystemen in Russland“ betroffen, heißt es dort. Dies könnte möglicherweise „die Infrastruktur betreffen, über die Energieressourcen nach Europa transportiert werden“.
Der amerikanische Plan zielt darauf ab, ein ganzes Netzwerk wichtiger Pipelines zwischen Ost und West zu durchschneiden, durch welches russisches Gas auf die europäischen Märkte gelangt. Der französische ENGIE-Konzern (Gaz de France–Suez), die britisch-niederländische Royal Dutch Shell, die österreichische OMV und die deutschen Konzerne Wintershall und Uniper müssten wegen ihrer Beteiligung an dem Pipelineprojekt Nordstream2 Baltic mit Geldstrafen rechnen. Auch mehrere Unternehmen, die sich am Transport von Gas vom Shah-Deniz-Feld in Aserbaidschan und der Russland-Türkei-Pipeline TurkishStream beteiligen, wären betroffen.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wiederholte seine Drohung von Anfang der Woche, er werde schnell Vergeltungsmaßnahmen gegen amerikanische Firmen vorbereiten. Juncker bezeichnete das Sanktionsgesetz als Beispiel für Trumps „America First“-Politik und erklärte: „Die Kommission [hat] heute beschlossen, innerhalb weniger Tage angemessene Maßnahmen zu ergreifen, falls unsere Bedenken nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt werden. ‚America First‘ darf nicht bedeuten, dass die Interessen Europas unter den Tisch fallen.“
Der Chefökonom der deutschen Industrie- und Handelskammern, Volker Treier, erklärte im Gespräch mit Russia Today, das Gesetz könne der deutschen Wirtschaft beträchtlichen Schaden zufügen. Er sagte, wenn deutsche Firmen nicht an Gaspipelinegeschäften teilnehmen dürften, könnten sehr wichtige Projekte im Energieversorgungssektor zum Erliegen kommen. Damit wäre die deutsche Wirtschaft merklich beeinträchtigt.
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat bereits eine frühere Version des Gesetzesentwurfs kritisiert, weil dieser Europa zum Kauf des teureren flüssigen Erdgases aus den USA als Ersatz für russisches Gas zwingt. Er erklärte offen, bei dem Gesetz gehe es eigentlich „um den Verkauf amerikanischen Flüssiggases und die Verdrängung russischer Erdgaslieferungen vom europäischen Markt“. Ziel sei es offenbar, „Arbeitsplätze in der Erdgas- und Erdölindustrie der USA zu sichern“.
Auch das französische Außenministerium veröffentlichte am Mittwoch eine scharf formulierte Stellungnahme, in der es das Sanktionsgesetz als völkerrechtswidrig bezeichnete. Die Sprecherin des Ministeriums, Agnes Romatet, erklärte: „Um uns vor den extraterritorialen Folgen der Gesetze der USA oder anderer Länder zu schützen, werden wir unsere nationale Politik anpassen und die europäische Politik modernisieren müssen.“
Die Wirtschaftszeitung Les Echos veröffentlichte eine Liste von französischen Firmen, denen wegen ihrer Tätigkeiten in Russland und/oder dem Iran Sanktionen drohen. Darunter befinden sich viele führende Konzerne des Landes.
Der Ausbruch von Handelskonflikten zwischen den USA und der Europäischen Union zeigt einmal mehr, welche enormen Gefahren der Weltbevölkerung durch den internationalen Kapitalismus drohen. In dem Vierteljahrhundert seit der Auflösung der Sowjetunion 1991 haben Washington und seine europäischen imperialistischen Verbündeten immer neue Kriege und Interventionen im Nahen Osten und in Osteuropa geführt.
Obwohl sie vor der breiten Bevölkerung zynisch als Kriege für Demokratie oder gegen Terrorismus oder „Massenvernichtungswaffen“ dargestellt werden, sind die tieferen materiellen Interessen die gleichen, die im 20. Jahrhundert schon zu zwei Weltkriegen zwischen den imperialistischen Mächten geführt haben. Weil die Globalisierung die Widersprüche zwischen Weltwirtschaft und Nationalstaatensystem verschärft, versuchen die großen kapitalistischen Konzerne und Regierungen, die Ressourcen der Welt durch Krieg unter sich aufzuteilen.
Heute drohen führende Politiker in Washington mit Krieg gegen Großmächte auf der eurasischen Landmasse. Vor diesem Hintergrund tritt auch die tiefe Rivalität zwischen den USA und der EU hervor. Drei Jahre, nachdem Deutschland die Remilitarisierung seiner Außenpolitik angekündigt hat, stützen sich die EU-Staaten auf die von China ins Leben gerufene Asiatische Entwicklungsbank für Infrastruktur und auf die teilweise Normalisierung der Beziehungen zum Iran in der Atomfrage, um ihre Investitionen in Eurasien und dem Nahen Osten auszubauen. Die USA und die europäischen Großmächte geraten mit ihrer Außenpolitik zunehmend auf Kollisionskurs.
Die amerikanischen und europäischen Politiker machen sich kaum mehr die Mühe, ihre tiefen Handelskonflikte zu verbergen. Nachdem die USA im Jahr 2014 die französische Bank BNP Paribas wegen ihrer Geschäfte mit dem Iran zu einer Geldstrafe von 8,9 Milliarden Dollar verurteilt hatten, brachen Vertreter der EU letztes Jahr die Gespräche über ein transatlantisches Handelsabkommen ab und verhängten gegen Apple eine Geldstrafe von dreizehn Milliarden Dollar.
Die wütenden Kommentare in der deutschen Presse über die Sanktionen verdeutlichen, dass wichtige Vertreter der herrschenden Klasse die Sanktionen als weiteren Beleg für die Feindschaft der USA gegenüber Deutschland und Europa sehen.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt: „Fatal ist, dass es einigen Anhängern von Russland-Sanktionen in Washington nicht nur darum geht, Putin und Trump gemeinsam in die Schranken zu weisen, sondern auch, der amerikanischen Wirtschaft gegen ausländische Konkurrenz zu helfen.“ Mit dem Gesetzesentwurf sollten „[d]ie Europäer … gedrängt werden, weniger russisches Erdgas und dafür mehr amerikanisches Flüssiggas zu verbrennen. Es war ein unfreundlicher Akt besonders gegen Deutschland“.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt: „Doch bei allem Verständnis für den Senat und sein Bestreben, dem Präsidenten Donald Trump in der Russland-Politik die Hände zu fesseln, ist der Gesetzesentwurf nicht hinnehmbar aus europäischer Perspektive. Zunächst bricht er mit der diplomatischen Allianz zwischen Europa und den Vereinigten Staaten bei der Festlegung der Russland-Sanktionen … Das Argument, Amerika fördere damit die Energiesicherheit Europas, ist auch ziemlich frech. Denn dafür ist Europa zuständig. So verliert man Freunde.“
Daraus ergibt sich die Frage, ob die Rivalität und die erbitterten Handelskonflikte zum katastrophalen Zusammenbruch der amerikanisch-europäischen Beziehungen führt und einen Handelskrieg vom Zaun brechen, der die Weltwirtschaft in die Knie zwingen wird – oder ob sie gar in einen offenen militärischen Konflikt münden.