Nur einen Tag, nachdem die serbischen Fiat-Arbeiter mit großer Mehrheit für die Fortsetzung des Streiks gestimmt hatten, verkündete die Leitung des Streikkomitees Dienstagabend überraschend den Stopp des Streiks.
Nach einem zweistündigen Gespräch hinter verschlossenen Türen mit Ministerpräsidentin Ana Brnabić wies Streikleiter Zoran Marković die Arbeiter ohne große Erklärung an, am nächsten Tag wieder zu arbeiten. In einer Facebook-Nachricht kurz nach 22 Uhr schrieb er lapidar: „Nach 16 Tagen Streik sind wir heute mit der Ministerpräsidentin der Regierung der Republik Serbien übereingekommen, Verhandlungen mit dem FCA-Management unter aktiver Beteiligung der Ministerpräsidentin ab morgen Mittag 12 Uhr zu beginnen. Das Streikkomitee und die Vertretung der Unabhängigen Gewerkschaften haben darauf die Beendigung des Streiks und die Arbeitsaufnahme am 19. Juli beschlossen.“
Montagabend hatte derselbe Marković noch eine große Kundgebung vor dem Rathaus von Kragujevac angekündigt. Die Demonstration, die für Mittwoch geplant war und auch Arbeiter aus anderen Betrieben umfassen sollte, wurde jetzt ebenfalls abgesagt. Auf Facebook erklärt Marković stattdessen im Befehlston: „Wenn ihr morgen die Arbeit aufnehmt, erwarte ich von euch, dass ihr ohne Ausnahme die Normen und Regeln der Firma einhaltet und eure Arbeit mit höchster Qualität und Arbeitsmoral durchführt.“ Zudem sollen die Arbeiter dem Gewerkschaftsbürokrat zufolge keinerlei „Uneinigkeit“ untereinander, also keine Kritik an dieser Entscheidung zulassen.
Die größte Gewerkschaft Serbiens, die Samostalni Sindikat (SSSS), der auch die Streikleitung angehört, hat damit den dreiwöchigen Streik, gegen den ausdrücklichen Willen der Mehrheit der Beschäftigten und ohne jedes Zugeständnis seitens der Unternehmensleitung von Fiat-Chrysler (FCA) von einem auf den anderen Tag abgewürgt. Auch die Regierung, die 33 Prozent Anteile des Konzerne hält, machte keinerlei Angebot.
Marković selbst erklärte auf der Pressekonferenz nach dem Gespräch mit der Premierministerin: „Dies ist ein Präzedenzfall im Kampf von Gewerkschaften: Der Streik wird ohne einen Abschluss beendet.“
Unter Arbeitern hat die Entscheidung des Streikkomitees, den Streik zu stoppen, Wut und Protest ausgelöst. Arbeiter hätten den Streikleitern vorgeworfen, „keine echten Gewerkschaften“ zu sein, berichtete die Webseite Insider am Donnerstag. Aber Marković habe auf entsprechende Fragen von Pressevertretern nur achselzuckend erklärt: „Das ist eben Serbien“.
Die Gewerkschaft kam damit der Forderungen der Regierung am Montag nach, den Streik innerhalb von 72 Stunden zu beenden. Andernfalls werde Fiat-Chrysler das Werk in ein anderes Land, eventuell nach Polen verlagern, drohten Regierungsmitglieder. Das polnische Autowerk von Fiat-Chrysler in Tychy zahlt allerdings das Doppelte der Löhne in Serbien.
Über die beiden ersten Verhandlungsrunden, an denen neben der Regierungschefin auch Wirtschaftsminister Goran Knezevic und Arbeitsminister Zoran Djordjevic teilnahmen, gab es nur spärliche Informationen. Man habe vereinbart, schreibt Insider, dass ein Vertreter des Streikkomitees künftig an einer speziellen Kommission von Geschäftsleitung und Regierung teilnehmen soll, die „die Arbeitsprozesse optimiert“. Hinter diesem Schlagwort steht die stärkere Einbindung der Gewerkschaft in das Management, wie dies in westeuropäischen Ländern seit einiger Zeit praktiziert wird.
Einen Vorschlag für eine Lohnerhöhung machten Geschäftsleitung und Regierung offensichtlich bisher nicht. Es gibt nur eine vage Erklärung, man wolle über einen Überstundenausgleich für die Nacht reden. Für ihren minimalen Lohn müssen die Fiat-Arbeiter derzeit bis zu 60 Stunden ohne Mehrarbeitszuschläge arbeiten, und viele Überstunden fallen nachts an.
In der Lohnfrage lehnt die Regierung sogar den Kompromissvorschlag der Gewerkschaft ab, wenigstens 45.000 Dinar (etwa 370 Euro monatlich) als Grundgehalt zu garantieren. Die Gewerkschaft hatte ursprünglich eine Erhöhung von 38.000 (316 Euro) auf 50.000 Dinar (416 Dinar) gefordert, ein Lohn, der niedriger als in allen anderen europäischen Ländern und immer noch unter dem von Autoarbeitern in China liegt.
45.000 Dinar seien „wirtschaftlich unmöglich“, ließ Brnabić erklären, und ergänzte zynisch: „Diese Kosten müssten wir dann bei allen anderen Arbeitern, das heißt, den Steuerzahlern Serbiens einsparen.“
Die Ministerpräsidentin, die in den Medien als erste lesbische Regierungschefin in einem früher von Russland dominierten Land gefeiert wird, steht einer Regierung von schwerreichen Aufsteigern vor. Während sie den Arbeitern Hunger und Elend verordnet, schwelgen ihre Minister ebenso wie Spitzenpolitiker der Opposition im Luxus.
Symptomatisch für das Regierungspersonal ist Wirtschaftsminister Goran Knezevic, der nach der Auflösung Jugoslawiens eine Karriere vom Basketballspieler zum Minister hinlegte. Dies, obwohl er als ehemaliger Bürgermeister von Zrenjanin wegen seiner Verwicklung in die Baumafia und Veruntreuung von öffentlichen Geldern ins Gefängnis musste. Ana Brnabić selbst kam dank der Protektion des früheren Regierungschefs Aleksandar Vučić ins Amt, nachdem sie 2015 dessen Vertrauten Nikola Petrović, Direktor des staatlichen Energieversorgers Elektromreža Srbije, gegen Korruptionsvorwürfe verteidigt hatte.
Im April demonstrierten Zehntausende Menschen in serbischen Städten gegen die manipulierte Wahl von Vučić zum Staatspräsidenten. Auf ihren Schildern stand „Vučić, du Dieb“ und „Wir hungern, die Elite freut sich“.
Serbiens Wirtschaft liegt am Boden und die Armut grassiert, seit der NATO-Krieg Ende der 90er Jahre wichtige Infrastruktur und Produktionsanlagen zerstört hat. Die Schocktherapie, die die verschiedenen serbischen Regierungen dem Land seit der Auflösung Jugoslawiens verpasst haben, hat ihr Übriges getan, um die letzten Reste sozialstaatlicher Wirtschaftsstrukturen zu zerschlagen und die Industriearbeiter in einen Pool von Billiglöhnern zu verwandeln. In Vorbereitung auf den EU-Beitritt will die Regierung diese paradiesischen Ausbeutungsbedingungen für ausländische Investoren unbedingt aufrechterhalten.
Mithilfe der prokapitalistischen und EU-freundlichen Gewerkschaften hat die Regierung den Streik der Fiat-Arbeiter in einem Moment unterdrückt, als er Arbeiter auch in anderen Betrieben zu Arbeitskämpfen inspirierte und in der Bevölkerung als Ganzes Unterstützung erhielt. Solidarisiert habesn sich auch Studenten, die am vergangenen Sonntag in Novi Sad, der zweitgrößten serbischen Stadt, auf die Straße gingen.
In ihrem Aufruf zur Versammlung vor dem Rathaus schreiben sie: „Wenn die Flamme des Kampfes für ein besseres Leben sich unter Arbeitern und anderen unterdrückten Bevölkerungsteilen Serbiens ausbreitet, sehen wir es als unsere Pflicht, uns mit ihnen zusammenzuschließen und sie zu unterstützen.“
Die Kampfbereitschaft der Arbeiter bei Fiat und in anderen Betrieben gegen die zunehmende Verarmung wird sich erneut Bahn brechen und mehr und mehr auch gegen die bestehenden Gewerkschaftsverbände richten. Für die Arbeiter kann es nur einen Weg vorwärts geben, wenn sie sich mit den Arbeitern in allen Balkan-Ländern und ganz Europa verbünden und eine politische Offensive gegen Kapitalismus, soziale Ungleichheit und Nationalismus beginnen. Dazu ist es dringend notwendig, eine neue politische Arbeiterpartei als Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale aufzubauen.