Die Londoner Polizeibehörde Metropolitan Police (Met) gab am Montag bekannt, dass „etwa 80“ Menschen beim Brand im Grenfell Tower umgekommen seien. Die Polizei gibt an, dass der erste Teil ihrer Strafermittlungen über den Brand ergeben habe, dass in der Nacht vom 13. auf den 14. Juni 350 Menschen in dem Block wohnhaft gewesen seien.
Die Met erklärte, 255 Menschen seien dem Feuer, das in den frühen Morgenstunden begonnen hatte, entkommen. Weitere 14 Bewohner hätten sich nicht in den Wohnungen aufgehalten, als das Feuer ausbrach. Auf dieser Grundlage schließt sie, dass wahrscheinlich 81 Menschen umgekommen seien.
Diese Zahl widerspricht den Schätzungen von anderen, darunter Demographen, Bewohnern und Anwohnern aus der Nachbarschaft. Die Zahlen der Demographen bewegen sich von über 90 bis 123. Die Polizei erklärt, ihre Zahlen seien aus einer Reihe von Unterlagen, u.a. aus Volkszählungen, gewonnen worden. Viele gehen jedoch davon aus, dass die Gesamtzahl der Bewohner des Häuserblocks eher nahe 500 lag.
Die Verlautbarung der Polizei ist eine Kehrtwende gegenüber ihren früheren Äußerungen, in denen sie darauf bestanden hatte, es würde bis Ende des Jahres dauern, um alle Toten zu identifizieren. Mit 15 Tonnen Schutt und Asche, die auf jedem Stockwerk durchsucht werden müssten, sei die Verwüstung einfach zu groß.
Die geschätzte Zahl der Toten war Teil einer umfassenderen Verlautbarung. Darin wurde deutlich, dass die polizeiliche Untersuchung dazu dienen soll, die Vertuschungsaktion fortzuführen. Die Polizei gab eindeutig zu verstehen, dass ihre angebliche Untersuchung, mit der festgestellt werden soll, wer für den Brand verantwortlich ist, Jahre dauern kann.
Die Met hat 140 Zeugen vernommen, erklärt jedoch, man müsse noch Hunderte weiterer Zeugen vernehmen, darunter die fast 1.000 Feuerwehrleute und Polizisten, die bei dem Brand vor Ort waren. Die 255 Überlebenden werden ebenfalls vernommen, außerdem die Ortsansässige, die Zeugen des Brands waren. Die Met erklärte, sie habe Unterlagen von 60 Firmen beschlagnahmt, die mit der Verwaltung, der Renovierung und dem Bau des Hochhauses zu tun hatten. Das entspreche zwei Millionen Schachteln A4-Papier. Weitere 20 Terabyte Videoüberwachungsmaterial, was 5.000 abendfüllenden Filmen entspricht, müssten ebenfalls ausgewertet werden.
Das ist nichts anderes als der Versuch der Polizei, die auf der Hand liegende Wahrheit zu vertuschen, indem man die wichtigsten Fakten in einem Berg völlig zweitrangiger Informationen begräbt.
Tatsache ist, dass ein ganzer Monat seit dem Brand vergangen ist und noch niemand für diese fahrlässige, von den Unternehmen verschuldete Tötung von mindestens 80 Menschen verhaftet oder angeklagt wurde.
Es werden zwar 60 Firmen untersucht und Hunderte von Menschen vernommen, aber die Hauptverantwortlichen dafür, dass der Grenfell Tower zur Todesfalle wurde, bleiben unantastbar. Dazu gehören die führenden Vertreter der konservativ-geführten Stadtverwaltung von Kensington und Chelsea, die Kensington and Chelsea Tenant Management Organisation, die den Wohnblock im Auftrag der Stadtverwaltung betrieben hat und die Besitzer der Privatfirmen, die die gefährliche, leicht entzündbare Verkleidung am Grenfell Tower angebracht haben, Rydon und Harley Facades. Von dieser Verkleidung gingen die hochgiftigen Dämpfe aus.
Dann sind da natürlich noch diejenigen, die „zu groß sind, um sie ins Gefängnis zu bringen“ und die nicht einmal von der Met vernommen werden. Dazu gehören der ehemalige Bürgermeister von London, Boris Johnson, der massive Kürzungen bei der Feuerwehr durchgesetzt hat, sowie die Premierministerin Theresa May und ihre Vorgänger David Cameron, Gordon Brown and Tony Blair. Sie alle standen an der Spitze von Regierungen, die massiv Sicherheitsvorschriften abgeschafft und brutale Kürzungen bei lebenswichtigen öffentlichen Dienstleistungen durchgesetzt haben, darunter auch bei der Feuerwehr.
Die polizeiliche Untersuchung hat einen derart großen Umfang angenommen, damit sichergestellt ist, dass niemand rechtzeitig verurteilt wird. In markantem Kontrast dazu, bezieht sich die öffentliche Untersuchung der Regierung auf den kleinstmöglichen Bereich. Laut ihrem Vorsitzenden Sir Martin Moore-Bick soll sie nur „die Ursache des Feuers“ klären und „wie es möglich war, dass es sich so schnell auf das gesamte Gebäude ausgebreitet hat“.
Das bedeutet, dass gegen die politisch Verantwortlichen weder von der Polizei ermittelt wird noch dass sie von Mays verlogener Untersuchungskommission vernommen werden.
Es gibt mittlerweile eine riesige Menge an öffentlich zugänglichen Informationen, die darauf hinweisen, dass das kriminelle Verhalten der Unternehmen und der Regierung dafür verantwortlich ist, dass ein kleines Feuer in einer Wohnung im vierten Stock innerhalb von Minuten das gesamte Gebäude verschlingen konnte.
Am Freitag hat die Sendung der BBC Newsnight aufgedeckt, dass die Londoner Feuerwehr, die nach Jahren massiver Kürzungen schlecht ausgerüstet und unterbesetzt ist, auf fatale Weise auf den Brand vom 14. Juni unvorbereitet war.
Auf der Grundlage des offiziellen Protokolls der Londoner Feuerwehr und den Aussagen von Feuerwehrleuten, die sich anonym äußerten, berichtete Newsnight, dass wichtige Gerätschaften entweder fehlten oder erst ankamen, nachdem sich das Feuer bereits in ein Inferno verwandelt hatte, das das gesamte 24stöckige Bauwerk zerstörte. Die Feuerwehrleute erklärten außerdem gegenüber Newsnight, es habe große Probleme mit dem niedrigen Wasserdruck und dem Funkverkehr gegeben.
Zwei Feuerwehrfahrzeuge wurden um 12.59 von der Feuerwache North Kensington losgeschickt und waren in vier Minuten vor Ort. Ihnen folgten „kurz danach“ zwei weitere Fahrzeuge von den Wachen Kensington und Hammersmith. Die Gerätschaften, die diesen Feuerwehrleuten zur Verfügung standen, stellten sich als absolut unzureichend heraus. Nachdem sie in das Gebäude eingedrungen waren, um das Feuer im vierten Stock zu löschen, wurden die Feuerwehrleute durch Funksprüche verwirrt, die ihnen mitteilten, es würden noch mehr Feuerwehrfahrzeuge benötigt. Der Reporter John Sweeney berichtete, die Feuerwehrleute hätten zunächst gehört: „Es ist Vier-Pumpen-Feuer. Das heißt vier Feuerwehrfahrzeuge. Dann, es ist ein 10-Pumpen-Feuer. Das ist schlimm. Dann, es ist ein 20-Pumpen-Feuer. Das ist eine Katastrophe. Und sie kommen nicht dran, weil sie über dem Feuer sind [in der Küche der Wohnung].“ Sweeney fügt hinzu: „Und dann stellen sie fest, dass das Feuer draußen immer größer wird.“
Die schnelle Ausbreitung des Feuers ist darauf zurückzuführen, dass der Grenfell Tower mit leicht entzündbarem Material verkleidet war, das letztes Jahr als die billigste Möglichkeit für eine „Modernisierung“ angebracht wurde. Newsnight zeigte einiges von den Aufnahmen, die ein Anwohner, Jake Patton, mit seinem Handy geschossen hatte. Die Aufnahmen, die um 1.12 Uhr morgens beginnen und fünf Minuten dauern, zeigen Feuerwehrleute vor dem Gebäude, die verzweifelt versuchen, die aufsteigenden Flammen mit einem Schlauch zu löschen, der kaum bis zum vierten Stock reicht. Am Ende von Pattons Aufnahmen hat das Feuer bereits mehrere darüberliegende Stockwerke erreicht.
Die Protokolle, die Newsnight vorlagen, zeigen, dass der 30-Meter-Turm auch „Luft-Kran“ genannt, der bis zum 10. Stock des Grenfell Tower gereicht hätte, nicht vor 1:19 Uhr losgeschickt wurde. Um 1:32 Uhr kam er dann schließlich an. Das war 24 Minuten nachdem die ersten Einheiten zur Brandbekämpfung losgeschickt worden waren. Zu dieser Zeit war das Feuer innerhalb und außerhalb des Gebäudes bereits außer Kontrolle und der Kran konnte nichts mehr bewirken.
Erst Stunden später wurde ein 67 Meter hoher Kran den ganzen Weg von Surrey aus losgeschickt, weil die Londoner Feuerwehr, die 1,37 Millionen Menschen in der Hauptstadt beschützen soll, eine derart wichtige Gerätschaft nicht besitzt.
Die Feuerwehrleute mussten unter Bedingungen arbeiten, in denen die Treppenhäuser, die in einem Hochhaus eigentlich rauchfrei sein müssten, voller dichter giftiger Rauchwolken waren, wodurch viele von ihnen nichts sehen konnten. Zusätzlich funktionierte der Funkverkehr der Feuerwehrleute nicht richtig und ab dem 10. Stockwerk gar nicht. Ein Problem, das noch durch die Tatsache verschlimmert wurde, dass viele Informationen nicht weitergeleitet wurden. Sweeney bemerkte dazu, die Feuerwehrleute hätten „nicht nur blind, sondern auch taub gekämpft“.
Auch Probleme mit dem Wasserdruck beeinträchtigten sie erheblich. Einer der Feuerwehrleute erklärte: „Die Stockwerke, in denen es brannte, waren schutzhelm-schmelzend heiß ... als wir die Wohnungen räumten, konnten wir nur einen schnellen Blick hineinwerfen und mussten die Türen wieder schließen, weil der Wasserdruck keine Brandbekämpfung zuließ.“
Die Feuerwehrleute waren nicht ausreichend mit den Atemschutzgeräten für „verlängerten Einsatz“ ausgerüstet, die vor allem in den oberen Stockwerken des Grenfell Tower nötig gewesen wären.
Newsnight enthüllte, dass es gängige Praxis der Londoner Feuerwehr ist, keine Feuerwehrleitern zu Bränden in Wohnhochhäusern zu schicken. Eine solche Entscheidung kann nur die Folge von jahrelangen Haushaltskürzungen und kaltschnäuziger Missachtung der zentralen Regierung und der Kommunalbehörden gegenüber der arbeitenden Bevölkerung sein.