Die Belegschaft des traditionellen Schienenfahrzeugbaus in Hennigsdorf war letzten Freitag mit einer geschlossenen Front von Unternehmensleitung, Betriebsrat, IG Metall und SPD konfrontiert. Bei einer Betriebsversammlung erklärten diese in nahezu gleicher Wortwahl, warum sie den Aufsichtsratsbeschluss vom 29. Juni unterstützen, der die Vernichtung jedes vierten Arbeitsplatzes bei Bombardier bedeutet.
Effizienz, Wirtschaftlichkeit, Kompetenzzentrum, Industrie 4.0 – dergleichen Schlagworte bekamen die nahezu tausend Arbeiter und Angestellten von Bombardier Hennigsdorf, die sich in der Stadtsporthalle versammelt hatten, eineinhalb Stunden lang zu hören.
Über ein Jahr lang hatten Gewerkschaft und Betriebsrat auf Protestkundgebungen versprochen, einen Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu führen. Am Eingang zur Stadtsporthalle, dem Ort der Versammlung, hatte die IG Metall erneut ihr Transparent mit dem Spruch aufgestellt: „Wir lassen uns nicht ausrangieren!“
Doch genau das hat sie gemacht. Die Betriebsversammlung diente dazu, die Arbeiter darauf einzustimmen, dass der traditionsreiche Schienenfahrzeugbau in Hennigsdorf mit heute noch 2300 Beschäftigten auf Raten stillgelegt wird. Der Aufsichtsratsbeschluss trifft die Standorte Görlitz und Hennigsdorf besonders hart. In Hennigsdorf soll letztlich nur noch ein sogenanntes globales Kompetenzzentrum für die Entwicklung von Zügen übrigbleiben, mit Arbeitsplätzen für „Hochqualifizierte“, wie die Unternehmensleitung erklärte.
Der Betriebsratsvorsitzende und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Michael Wobst versuchte in einer Power Point Präsentation, den Abbau von 400 der noch 2300 Arbeitsplätzen in Hennigsdorf bis Ende 2019 und die weitgehende Stilllegung der Produktion von Zügen schönzureden. Der Aufsichtsratsbeschluss sei noch kein Verhandlungsergebnis, sondern ein Eckpunktepapier, behauptete er. Man wolle jetzt erst in harte „Detailverhandlungen“ gehen.
Es ist das alte Spiel, aber dieses Mal kaum verhüllt: Wobst nannte den Abbau von 316 Stellen in Hennigsdorf plus 44 Stellen beim internen Zulieferer Bombardier PPC sowie weitere durch Zuarbeitung betroffene Stellen, und 747 Stellen in Görlitz. Die Entlassung von 700 Leiharbeitern erwähnte er nicht. Dieser Arbeitsplatzabbau sei „schmerzhaft“. Hinzu käme, dass die Geschäftsleitung sogenannte Reserven und damit einen möglichen weiteren Arbeitsplatzabbau definiert habe, der durch Outsourcing und die Verlagerung von Aktivitäten im Bereich elektrische Vormontagen und den Bereich Train Control Management System (TCMS) eintreten könnte.
Aber, so Wobst, die Konzernleitung hätte weitergehende Pläne gehabt, die sie, die IG Metall und der Betriebsrat durch ihren Einsatz abmildern konnten. Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hätten erreicht, sagte er mit nationalistischem Unterton, dass das Unternehmen sich zu Investitionen in Deutschland verpflichtet hat, und eben nicht in den „Best-Cost-Countries“, womit Tschechien, Polen und China gemeint sind.
Um vor allem Arbeitern der Produktion, deren Arbeitsplätze unmittelbar betroffen sind, Sand in die Augen zu streuen, sagte er, man hätte die komplette Schließung der Zugproduktion verhindert und die Herstellung eines Zuges „im industriellen Maßstab“ und Kapazitäten für Kleinserien vereinbart. Auf Nachfragen konnte der Betriebsrat allerdings dazu keine konkreten Projekte oder Aufträge nennen.
Als Erfolg feierte Wobst auch den „Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis Ende 2019“. In der Aussprache zeigte sich dies jedoch als hohles Versprechen. Die Vertreter des Unternehmens, Daniel Perlzweig, und ebenso der Deutschland-Chef von Bombardier, Michael Fohrer, erklärten, der Aufsichtsrat habe in dieser Hinsicht lediglich eine „Erwartungshaltung“ formuliert, falls die vorgeschlagenen Sparmaßnahmen des „unabhängigen Beraters“ greifen, mehr nicht. Ende 2019 müsse man noch einmal die Wirtschaftlichkeit prüfen.
„Bombardier ist nichts anderes“, dozierte Daniel Perlzweig schon zu Beginn der Stellungnahme des Unternehmensvorstands, „als das durch Menschen generierte Plus oder Minus nach der Abwicklung von Aufträgen.“ Anders gesagt: Der Profit des Konzerns steht über Allem.
Alle Werke des Unternehmens, das in 26 Ländern über 61 Standorte verfügt, müssten sich einem internationalen Benchmarking stellen, so Perlzweig weiter. Die Verluste der deutschen Standorte, die sich von 2012 bis 2016 auf etwa 900 Millionen Euro kumuliert hätten, ständen im Gegensatz zum profitables Ergebnis von Bombardier Transportation weltweit.
Mit unverhohlenem Zynismus machte er dafür die Arbeiter der deutschen Standorte verantwortlich., indem er behauptete, ihre Kollegen außerhalb Deutschlands hätten in den letzten fünf Jahren ein Auftragsvolumen von 20 Milliarden Euro abwickeln müssen, „nur um unsere Verluste auszugleichen.“ In der Aussprache verwies er mit Nachdruck auf die Niedriglöhne in den Werken außerhalb Deutschlands, die solche Gewinne möglich machten.
Eine ältere Angestellte hatte der WSWS zuvor am Tor berichtet, dass aus der Chefetage schon Vorschläge gekommen waren, die Wochenarbeitszeiten anders als im geltenden Tarifvertrag zu erhöhen und die Löhne zu kürzen. In den angekündigten „Detailverhandlungen“ mit dem Betriebsrat in den kommenden Wochen könnten derartige Forderungen wieder auf den Tisch kommen.
Die Ausführungen des Betriebsrats lieferten nur das Echo für das Credo der Chefetage zum kapitalistischen Wettbewerb. Es war schließlich die IG Metall, die die externe Beraterfirma Validated Advice aus Dinslaken engagieren ließ und als angebliche unabhängige Experten empfahl.
Der IG Metall-Chef von Brandenburg-Berlin-Sachsen Olivier Höbel, zugleich Aufsichtsratsmitglied bei Bombardier, ließ sich auf der Betriebsversammlung nicht blicken. Die anwesende Leiterin der IG Metall Potsdam und Oranienburg Stefanie Jahns gab keine Stellungnahme ab. In einer Presseerklärung hatte Höbel den Aufsichtsratsbeschluss in den höchsten Tönen gelobt. Die „eigenen Vorschläge und Konzepte zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit“ seien in diese Vereinbarung eingeflossen.
Auf einer Betriebsversammlung im Werk Görlitz am Vortag, auf der Deutschland-Chef Fohrer den Abbau von 800 Arbeitsplätzen begründete, nahm die IG Metall die Unternehmensführung in Schutz. „Wir sind mit den Verhandlungen ja noch nicht am Ende, müssen den Verhandlungspartnern aber auch mal ein bisschen Luft lassen“, beruhigte der Erste Sekretär der IG Metall Ostsachsen, Jan Otto, die versammelte Belegschaft.
Seit vergangenem Jahr haben Gewerkschaft und Betriebsrat geheime Verhandlungen hinter dem Rücken der Belegschaften geführt, während sie auf Protestkundgebungen lauthals einen Kampf um die Verteidigung der Arbeitsplätze versprachen. Auch jetzt geht es ihnen nur darum, die Arbeiter über ihre wirklichen Abmachungen zu täuschen.
Dass die Pläne für Hennigsdorf in Wirklichkeit der Anfang vom Ende der gesamten Produktion ist, unterstrich die Rede des brandenburgische SPD-Wirtschaftsminister Albrecht Gerber, den der Betriebsrat zur Belegschaftsversammlung eingeladen hatte. Mit jammervoller Miene erklärte er seine „tiefe Betroffenheit“ und sein Mitgefühl mit den Arbeitern. Er wolle dafür sorgen, andere Arbeitsplätze nach Hennigsdorf zu locken, versprach Gerber und gab gleich bekannt, dass er dafür schon eine spezielle Arbeitsgruppe im Landtag installiert habe. Sie werde Anfang August die Arbeit aufnehmen.
Die rot-rote Landesregierung Brandenburgs war in die Abbaupläne Bombardiers seit langem einbezogen. Nach der Aufsichtsratssitzung bezeichnete SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke, ebenfalls SPD, den Aufsichtsratsbeschluss als Teilerfolg.
Das Zusammenspiel von Unternehmen, Gewerkschaft und Politik war auf der Betriebsversammlung so offensichtlich, dass viele Arbeiter nur noch mit versteinerten Mienen das Ende der Versammlung abwarteten. Ein Arbeiter, der vorzeitig den Raum verließ, erklärte WSWS-Reportern vor dem Eingang: „Es ist doch klar. Sie haben einen Tod auf Raten beschlossen.“ Ein anderer schimpfte auf den Betriebsrat: „Für viel Geld lassen sie Unternehmensberater über uns entscheiden.“
Ein Flugblatt, das WSWS-Reporter und Mitglieder der Sozialistischen Gleichheitspartei vor der Sporthalle verteilten, stieß auf großes Interesse. Die WSWS hatte bereits im Frühjahr gewarnt, dass die Verteidigung der Arbeitsplätze nicht mit, sondern nur gegen IG Metall und Betriebsrat möglich ist. Sie tritt für neue, von den bestehenden Gewerkschaften unabhängige Organisationen ein, die Arbeiter aller Standorte, national und international, vereinen und einen gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus organisieren. Auch Arbeiter in den Schweizer, den belgischen, italienischen und französischen Bombardier-Werken und in Osteuropa sind mit massiven Angriffen konfrontiert.