Am 1. April 2017 verstarb in Tulsa (Oklahoma) im Alter von 83 Jahren Jewgeni Jewtuschenko. Er war der bekannteste sowjetische Dichter der 1960er bis 1980er Jahre.
Jewtuschenko kam 1932 in der Kleinstadt Sima in der sibirischen Region Irkutsk zur Welt. In der „Tauwetterperiode“ unter dem sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow wurde er zu einem der führenden sowjetischen Dichter. Diese Jahre waren verbunden mit der offiziellen Verurteilung des „Personenkultes“ um Stalin sowie der weitverbreiteten Hoffnung unter den sowjetischen Massen, dass das Land auf sozialistischer Grundlage erneuert werden könnte.
In einem seiner bekanntesten Gedichte, „Die Erben Stalins“, welches 1962 im Zusammenhang mit der Entfernung von Stalins Leiche aus dem Mausoleum auf dem Moskauer Roten Platz verfasst wurde, schrieb Jewtuschenko:
Und möge so mancher auch sagen: „Ach gebt doch Ruhe!“
Aber die Ruhe bleibt mir versagt.
Solange die Erben Stalins noch unter uns weilen,
wird mir so sein,
als sei Stalin noch immer im Mausoleum.
[Übersetzt von Leonid Olschwang]
Jewtuschenkos Vater war ein Geologe mit deutsch-baltischen Wurzeln. Seine Eltern ließen sich scheiden, als er sieben Jahre alt war. Den ursprünglichen Nachnamen des Jungen – Gangnus – änderte seine Mutter auf ihren Mädchennamen, nachdem sie nach Beendigung des Krieges nach Moskau gezogen waren.
Jewtuschenko hatte in seiner Schul- und Universitätszeit keine guten Leistungen erzielt und fiel durch Verhaltensschwierigkeiten auf, doch sehr frühzeitig zeigte er großes dichterisches Talent. Als er 17 Jahre alt war, erschienenen seine ersten Dichtungen in der Zeitschrift Sowetski Sport (Sowjetischer Sport). Sein erster Gedichtband Razvedchiki Griadushchego (Kundschafter der Zukunft) erschien im Jahr 1952.
Internationale Bekanntheit erlangte er durch sein Gedicht „Babi Jar“, verfasst im Jahr 1961 zur Erinnerung an die jüdischen Opfer des von den Nazi-Besatzern verübten Massakers im Herbst 1941 in einem Städtchen nahe Kiew. In dem Gedicht, das in 72 Sprachen übersetzt wurde, schrieb der Dichter:
Jeder hier erschossene Greis -:
ich.
Jedes hier erschossene Kind -:
ich.
Nichts, keine Faser in mir,
vergisst das je!
Die Internationale —
ertönen, erdröhnen soll sie,
wenn der letzte Antisemit, den sie trägt, diese Erde,
im Grab ist, für immer.
Ich habe kein jüdisches Blut in den Adern.
Aber verhasst bin ich allen Antisemiten.
Mit wütigem, schwieligem Hass,
so hassen sie mich –
wie einen Juden.
Und deshalb bin ich
ein wirklicher Russe.
[Übersetzt von Paul Celan]
„Babi Jar“ ist zu Recht Jewtuschenkos bekanntestes Gedicht. Es ist zutiefst bewegend und übte enormen Einfluss aus, nachdem es erstmals im September 1961 in der sowjetischen Zeitschrift Liternaturnaja Gaseta veröffentlicht wurde.
Das Gedicht unterstreicht die Tatsache, dass in der Sowjetunion, sowohl unter Stalin als auch seinen Nachfolgern, der staatlich-inoffizielle Antisemitismus blühte und sein zersetzender Einfluss auch in den Alltag vordrang. Selbst als die Kriegsberichterstatter der Roten Armee, darunter Wassili Grossman, bei Öffnung der Konzentrationslager der Nazis erste Zeugen des Holocaust wurden und darüber schrieben, wurde die Wahrheit über die Grauen, die der Nationalsozialismus verübt hatte, noch lange von der stalinistischen Bürokratie geheim gehalten. Die Bürokratie leugnete, dass die Nazis den Genozid am jüdischen Volk verübt hätten, und behauptete stattdessen, der Massenmord habe „sowjetischen Bürgern“ gegolten.
Der Komponist Dmitri Schostakowitsch nahm Teile des Gedichts in seine dreizehnte Symphonie (1962) auf. Später sagte er: „Das Gedicht hat mich erschüttert. Tausende hat es erschüttert. Viele wussten zwar von Babij Jar. Aber es bedurfte dieses Gedichts, um Babij Jar ins Bewusstsein zu heben. Die Erinnerung an Babij Jar hatte getilgt werden sollen. Erst versuchten es die deutschen Okkupanten, später die ukrainischen Funktionäre. Doch Jewtuschenkos Gedicht hat bewiesen, dass Babij Jar nie vergessen werden wird. Das hat die Kraft der Kunst vermocht.“ [Solomon Volkow (Hg.): Zeugenaussage. Die Memoiren des Dmitrij Schostakowitsch, Hamburg 1979, S. 178]
Der große Enthusiasmus junger Menschen für Dichtung in der Sowjetunion Anfang der 1960er Jahre führte zu dem Phänomen der Lesungen in Großveranstaltungen. Legendär waren die Dichterabende im Moskauer Polytechnischen Museum, die Tausende anzogen. Außer Jewgeni Jewtuschenko lasen auch die drei bekanntesten jungen Dichter Andrei Wosnessenski, Robert Roschdestwenski und Bella Achmadulina (Jewtuschenkos spätere erste Ehefrau) hier ihre Verse vor.
Dokumentaraufnahmen der Lesungen am Polytechnischen Museum wurden in den Spielfilm Ich bin zwanzig Jahre alt (Marlen Chuzijew, 1965) aufgenommen. Er gilt als eines der Symbole der „Tauwetter“-Periode und zeugt von dem Versuch der besten Schichten der sowjetischen Intelligenz dieser Zeit, eine Verbindung von der Epoche von 1917 zur Gegenwart zu ziehen.
Die jungen Dichter ahmten oftmals die führenden Figuren der 1920er Jahre nach, wie Sergei Jessenin und insbesondere Waldimir Majakowski. Der Einfluss des letztgenannten war stark in den Werken von Roschdestwenski und Jewtuschenko selbst spürbar.
Die grundlegende Besonderheit im poetischen Stil von Jewtuschenko war die Kombination einer tiefen Lyrik mit Selbstreflexion – oft an der Grenze zu Selbstverliebtheit und Egozentrik –, begleitet von staatsbürgerlichem Pathos sowie dem Verlangen, die aktuellsten Fragen des politischen Lebens zu kommentieren.
Jewtuschenkos Auffassung von Dichtung war, dass die Selbstdarstellung des Individuums sich nicht auf den „Elfenbeinturm“ der „reinen Kunst“ beschränken dürfe. Vielmehr sei diese Selbstdarstellung nicht von dem Streben nach einer bestimmten sozialen Haltung zu trennen. In seinem Gedicht „Wasserkraftwerk von Bratsk“ (1965) drückte er diese Perspektive aus. Das Gedicht war konzipiert als Hymne auf den Erfolg, eine sowjetische Gesellschaft errichtet zu haben, die alles überschritt, was bisher in der Weltgeschichte bekannt gewesen war:
In Russland Dichter sein heißt mehr als dichten.
Poet ist hier, wer fähig, wer bereit,
sich an der Heimat Würde aufzurichten,
nicht zu verharren in Bequemlichkeit.
[Übersetzt von Klaus Möckel]
Gleichzeitig bestand die ungelöste Hauptfrage, die Jewtuschenkos künstlerisches Schicksal ebenso bestimmte wie dasjenige der gesamten sowjetischen „Sechziger-Generation“, in dem Unvermögen, wirklich mit der stalinistischen Bürokratie zu brechen und damit einen direkten Weg zur authentischen Geschichte sowie dem inspirierenden Pathos der Oktoberrevolution von 1917 zu finden.
Dieses Unvermögen war letztendlich ein objektives sozio-ökonomisches Phänomen, nicht einfach ein persönliches Versagen Einzelner. Der Stalinismus vernichtete die besten Elemente der Arbeiterklasse und der Intelligenz – jeden, der eine Bedrohung für die Bürokratie darstellte. Infolge dieser physischen und intellektuellen Vernichtung blieb die sowjetische Bevölkerung im Wesentlichen von lebendiger Berührung mit dem authentischen Marxismus abgeschnitten. Das verhinderte auch eine Kritik des konterrevolutionären Regimes von links.
Zweifellos empfanden die Künstler und Kulturschaffenden aufrichtigen Abscheu und Feindschaft gegenüber Stalin. Doch die schrecklichen Taten und das Erbe des sowjetischen Stalinismus können nicht auf die persönlichen Marotten und Bosheiten eines einzelnen Individuums reduziert werden. Sie waren vielmehr in der nationalistischen und reaktionären Theorie des „Sozialismus in einem Land“ verwurzelt, welche vollkommen im Gegensatz zu den internationalistischen und revolutionären Perspektiven des Oktobers stand.
Die Generation der „Sechziger“ durchlebte eine romantische Schwärmerei für die Revolution und den Bürgerkrieg. Ein Zeugnis hiervon, neben anderen, sind die Zeilen, welche Bulat Okudschawa, Sohn des bekannten Altbolschewiken Schalwa Okudschawa aus Georgien schrieb, der des „Trotzkismus“ beschuldigt und von Stalin im Großen Terror der 1930er Jahre erschossen wurde, im Jahr 1957 niedergeschrieben hatte:
Welches neue Gefecht auch den Erdball erschüttern sollte,
Fallen werde ich sowieso in dem einen, dem einen Bürgerkrieg,
Und Kommissare in staubigen Helmen werden sich schweigend über mich beugen.
Um jedoch die authentische Begeisterung der ersten Jahre der Sowjetmacht wiederzubeleben und eine Brücke zwischen den beiden Epochen zu schlagen, die durch den Abgrund einer schrecklichen Tragödie getrennt sind – dem politischen Genozid an mehreren Generationen der Bolschewistischen Partei und einer gesamten Kultur des russischen Sozialismus –, ist allein die Verdammung Stalins nicht ausreichend. Vielmehr wäre es notwendig gewesen, sich ernsthaft dem Erbe Leo Trotzkis und der Linken Opposition zuzuwenden, die die besten Traditionen des Oktobers verkörpern und die sozialistische Alternative zum sowjetischen Stalinismus repräsentieren. Die Umstände allerdings gestatteten es den Künstlern und Kulturschaffenden nicht ohne weiteres, solch einen Weg einzuschlagen.
Diese bewusste Hinwendung zur Geschichte der Linken Opposition, die die Traditionen des Bolschewismus fortführte, musste gemacht werden, um Lenin neu – und authentisch – „wiederzuentdecken“, denn der offizielle sowjetische „Marxismus-Leninismus“ hatte Lenin zu einer einbalsamierte Mumie gemacht, ihn in ein totes Standbild mit dem Antlitz eines „Staatsmannes“ verwandelt.
Da die sowjetische Intellektuellengeneration der 1960er Jahre dieses hauptsächlichste und wichtigste Problem für sich nicht gelöst hatte, war sie zu Degeneration und moralischem Verfall verurteilt, und damit einhergehend zu fortschreitendem kreativem Unvermögen.
In Jewtuschenkos Werk und seinem exzentrischen Verhalten spiegelten sich Ambivalenz, zunehmende Heuchelei und Zynismus.
Mitte der 1960er Jahre verurteilte er die Verfolgung des Dichters Joseph Brodsky und des Schriftstellers Juli Daniel, und 1968 antwortete er auf die gnadenlose Unterdrückung des Prager Frühlings durch die Breschnew-Führung: „Panzer fahren über Prag, Panzer fahren über die Wahrheit“. Er schrieb außerdem eine Reihe von Gedichten zum Vietnam-Krieg. In den 1970er Jahren verwandelte sich Jewtuschenko indessen immer mehr in den schablonenhaften Typus eines „Repräsentanten der sowjetischen Kultur“ im Ausland.
Der Dichter bereiste über hundert Länder, traf sich nicht nur mit Fidel Castro und Che Guevara, sondern auch mit solchen abstoßenden Repräsentanten des Weltimperialismus wie Richard Nixon.
Die Notwendigkeit, regelmäßig auf aktuelle politische Fragen im Sinne der Kreml-Führung zu „reagieren“, erzeugte rasch zusammengeschusterte, oftmals stümperhafte Verse. Der Journalist und Autor Denis Dragunski bemerkte: „Jewtuschenko ist protzig, farbenfroh und bisweilen geschmacklos. Ganz wie seine Kleidung – diese knallig bunten Sakkos, Fingerringe und Hemden in verrücktem Zuschnitten.“
Dragunski kam auf Jewtuschenkos Geschick zu sprechen, Beziehungen zu Machthabern anzuknüpfen und „voranzukommen“. Er führte die Geschichte eines Journalisten der Zeitung Komsomolskaja Prawda [dt. Komsomol-Wahrheit – Organ des Zentralkomitees des Komsomol, des Jugendflügels der Kommunistischen Partei der Sowjetunion] an, der Jewtuschenko Mitte der 1970er Jahre „zwei Mal an demselben Tag beobachten konnte. Morgens ging der Dichter in die ‘Komsomolka’ [die in der damaligen Zeit als Mittelpunkt des „freien Denkens“ innerhalb der von den Behörden gestatteten Grenzen galt] und war sehr modisch, auffällig angezogen, augenscheinlich trug er Import-Bekleidung. Um drei Uhr nachmittags traf er Jewtuschenko erneut im Zentralkomitee des Komsomol und konnte ihn kaum wiedererkennen: jetzt trug er einen bescheidenen sowjetischen Anzug mit Krawatte […] Offenbar ist er nachhause gegangen um sich umzuziehen.“
Der Degenerationsprozess der sowjetischen Intellektuellen erfolgte nicht auf einen Schlag, sondern zog sich über einen längeren Zeitraum hin, mindestens über zwei Jahrzehnte, wenn nicht länger. Auch in den Jahren des sogenannten „Stillstandes“ unter Leonid Breschnew und seinen Nachfolgern setzte er sich kontinuierlich fort. Dessen ungeachtet konnte die sowjetische Kultur, nachdem sie mit der „Tauwetter“-Periode einen kräftigen Anstoß erhalten hatte, noch eine Zeitlang einige bemerkenswerte Früchte hervorbringen. Die Blüte des Kinos beispielsweise setzte sich von den späten 1960er noch bis in die 1980er Jahre fort.
Wie dem auch sei, der Machterhalt der konterrevolutionären stalinistischen Bürokratie, welcher auf fortschrittliche Weise nur mittels einer politischen Revolution der Arbeiterklasse hätte beendet werden können, trieb die Sowjetunion in den Untergang.
Michail Gorbatschows Politik der Perestroika brachte den verdeckten langanhaltenden Verfallsprozess zum Vorschein sowie die reale Gefahr einer kapitalistischen Restauration. Zugleich entdeckten führende Schichten der sowjetischen Intelligenz „auf einmal“, dass sie im Namen der demokratischen „Werte“ der bürgerlichen Gesellschaft bereit waren, die Revolution, den Sozialismus und ihre eigene jüngste Vergangenheit zu verdammen.
Die anerkannten Führer der sowjetischen „Sechziger Generation” – in verschiedenen Bereichen von Wissenschaft und Kultur – dienten als intellektuelle Hauptstützen für die Restauration des Kapitalismus, welche die stalinistische Bürokratie während des Übergangs der 1980er in die 1990er Jahre betrieb und in dem sie die Sowjetunion zerstörte.
Auf diesem Wege des Antikommunismus fortschreitend, unterstützte ein beträchtlicher Teil dieser Schicht das autoritäre Regime von Boris Jelzin. Der von diesem angeordnete Beschuss des Parlaments durch Panzer im Oktober 1993 wurde von diesen Schichten begeistert befürwortet, darunter auch vom bereits erwähnten Bulat Okudschawa. Einige Jahre später unterstützen sie – in voller Übereinstimmung mit den Positionen der einflussreichsten Gruppen der seit kurzem emporgekommenen „Oligarchen“ – Wladimir Putin als Nachfolger Jelzins im Amt des russischen Präsidenten.
In der postsowjetischen Periode bemühte Jewtuschenko sich um neuen Boden unter den Füßen, doch ohne großen Erfolg. Seine gemäßigt-kritische Position gegenüber Jelzins Russland gestattete ihm, eine gewisse Popularität aufrechtzuerhalten, doch all dies erinnerte bereits an eine Art Leben nach dem Tod.
Im Jahr 1991 siedelte er gemeinsam mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten um, wo er eine Anstellung an der Universität Tulsa (Oklahoma) erhielt. Von diesem Zeitpunkt an kehrte er nur auf kurze Besuche nach Russland zurück, wo er von Zeit zu Zeit Lesungen machte, Interviews gab und an der Herausgabe einer fünfbändigen Anthologie russischer Dichtung in „zehn Jahrhunderten“ der Landesgeschichte arbeitete.
2014 unterstützte Jewtuschenko den pro-westlichen Putsch in Kiew, der von äußerst rechten und faschistischen Kräften durchgeführt wurde. Wenige Tage vor dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch schrieb er das Gedicht „Staat, sei Mensch!“, in welchem er erklärte: „unsichtbar auf dem Majdan, zusammen mit Puschkin und Brüllow stehen wir“. [Karl Brüllow (1799-1852) war ein russischer Maler, der den Verkaufserlös eines seiner Bilder dazu aufwandte, den bekannten ukrainischen Lyriker Taras Schewtschenko (1814-1861), einen Sohn von Leibeigenen, aus der Unfreiheit loszukaufen.]
Die letzte Verwandlung Jewtuschenkos von einem „Mitläufer“ und „Freund“ der sowjetischen Bürokratie in einen ergebenen Unterstützer des Imperialismus garantierte ihm die Sympathien der pro-westlichen liberalen Opposition, die ihn so vollständig „rehabilitierte“, wie es in ihren Augen möglich war.
Der Dichter und Schriftsteller Dmitri Bykow spricht heute vom „Drama und Triumph Jewtuschenkos“ und behauptet, Jewtuschenko sei „ein mit übermenschlichen Fähigkeiten begabter Mann“ gewesen. Gleichzeitig habe auch der jahrelange „Konflikt“ zwischen Joseph Brodsky und Jewtuschenko endlich sein Ende gefunden. Brodsky, der 1987, auf dem Höhepunkt von Gorbatschows Perestroika, den Literaturnobelpreis erhalten hatte, übernahm bereits Ende der 1960er Jahre extrem rechte und antikommunistischen Positionen. Seine persönliche Abneigung gegen offiziell anerkannte sowjetische Autoren und Dichter fand ihren charakteristischsten Ausdruck in seiner negativen Haltung gegenüber Jewtuschenko. Diese ging so weit, dass Brodsky angeblich erklärt haben soll: „Wenn Jewtuschenko gegen die Kolchosen ist, dann bin ich für sie.“
Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, wirkt dieser Kleinkrieg bloß wie eine triviale Episode, der indessen für die Literaturgeschichte nicht unwichtig sein mag.
Es wäre eine krasse Vereinfachung und ein großer Fehler, das Schicksal der sowjetischen Generation der „Sechziger“ lediglich als kolossale Niederlage im moralischen und kreativen Sinne zu verstehen. Sie hinterlässt uns vieles, was lebendig und frisch ist und in der Erinnerung nachfolgender Generationen fortleben wird.
Im gegenwärtigen Augenblick betreibt die herrschende amerikanische Elite eine bösartige antirussische Kampagne, mit der zu offenem Hass auf Russen als Volk aufgewiegelt wird. Damit will sie ihre Pläne zu globaler Hegemonie rechtfertigen. Unter solchen Umständen will man sich gern eines der besten Gedichte Jewgeni Jewtuschenkos ins Gedächtnis rufen, welches er im Jahr 1961 verfasst hatte. Zu einem der schwierigsten Zeitpunkte während des „Kalten Krieges“ und kurz vor Ausbruch der Kubakrise, schrieb er in Erinnerung an die Lehren aus den Zweiten Weltkrieg:
Meinst du, die Russen wollen Krieg?
Befrag die Stille, die da schwieg
im weiten Feld, im Pappelhain,
Befrag die Birken an dem Rain. (…)
Der Kampf hat uns nicht schwach gesehn
doch nie mehr möge es geschehn,
dass Menschenblut, so rot und heiß,
der bitt’ren Erde werd’ zum Preis.
Frag Mütter, die seit damals grau,
befrag doch bitte meine Frau.
Die Antwort in der Frage liegt:
Meinst du, die Russen wollen Krieg?
[Übersetzung: Siegrid Siemund]