Wenige Tage vor Beginn des G20-Gipfel in Hamburg hat die EU-Kommission eine Rekordstrafe gegen den US-Internetkonzern Google verhängt und damit die Spannungen mit den USA deutlich verschärft.
Das US-Unternehmen soll 2,42 Milliarden Euro Strafe zahlen, weil es fortlaufend gegen EU-Wettbewerbsbedingungen verstößt. Die EU-Strafforderung ist mehr als doppelt so hoch wie die bisherige Höchststrafe in Wettbewerbsangelegenheiten. Die EU-Kommission begründet die Strafe damit, dass Google seine Marktmacht als Suchmaschinenbetreiber missbraucht habe, um eigene Anzeigen besser zu platzieren.
Das Unternehmen habe in 13 Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums seine marktbeherrschende Stellung als Suchmaschine wettbewerbswidrig eingesetzt, indem es den eigenen Preisvergleichsdienst bevorzugt habe. Dieser sei in den Suchergebnissen ganz oben platziert worden, dadurch seien Vergleichsdienste der Konkurrenz herabgestuft worden.
Die Ermittlungen gegen Google dauern schon mehrere Jahre. Die EU-Kommission hat seit 2010 drei Verfahren eröffnet, in allen drohen dem Internetkonzern empfindliche Strafen. Nun hat EU-Kommissarin Margrethe Vestager im ersten eine Entscheidung verkündet und die mit Abstand höchste Strafe verhängt.
Den Vorwurf, Google verschaffe sich „unrechtmäßige Vorteile“, begründet die EU-Kommission folgendermaßen: Das US-Unternehmen nutze seine Marktmacht als Suchmaschinenbetreiber, um Millionen Nutzer auf die Preisvergleichsplattform Google Shopping zu lenken. Bei den Google-Suchergebnissen würden die eigenen Anzeigen ganz oder sehr weit oben angezeigt, auch wenn diese nicht unbedingt die größte Auswahl oder die niedrigsten Preise böten. Der am besten platzierte Wettbewerber werde demnach im Schnitt erst auf der vierten Seite angezeigt.
Auf Seite eins der Ergebnisse entfielen aber etwa 95 Prozent aller Klicks der Nutzer. Dieser Effekt sei auf Mobilgeräten noch ausgeprägter, da das Display kleiner sei, erläutert die Süddeutsche Zeitung in einem Hintergrundbericht. Dieses Verfahren wende Google in 13 Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums an, darunter in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien, und verstoße damit gegen EU-Recht.
Der US-Konzern habe anderen Unternehmen die Möglichkeit genommen, im Wettbewerb durch Leistung zu überzeugen, so Vestager. „Vor allem aber hat es verhindert, dass die europäischen Verbraucher wirklich zwischen verschiedenen Diensten wählen und die Vorteile der Innovation voll nutzen können.“
Die EU-Kommission verlangt, dass Google das beanstandete Verhalten innerhalb von 90 Tagen abstellt. Sonst drohen Zwangsgelder von bis zu 5 Prozent des durchschnittlichen weltweiten Tagesumsatzes seiner Muttergesellschaft Alphabet.
Google erklärte in einer ersten Reaktion, man sei in dem Fall nach wie vor anderer Meinung und prüfe eine Berufung. „Wenn man online einkauft, will man die Produkte, die man sucht, schnell und einfach finden.“ Sollte Google Berufung gegen die Kommissionsentscheidung einlegen, wovon auszugehen ist, kann sich das Verfahren mehrere Jahre hinziehen.
In einem weiteren Verfahren der Kommission geht es um Googles Umgang mit dem Smartphone-Betriebssystem Android. Hier bemängelt die Kommission, dass Hersteller von Android-Geräten mit integrierten Diensten des Konzerns zwingend auch die Google-Suche und den Web-Browser Google Chrome vorinstallieren müssen.
Die Strafe gegen Google ist das bisher letzte Glied in einer Kette eskalierender Handels- und Wirtschaftskonflikte. Gleichzeitig verschärfen sich die außenpolitischen Differenzen zwischen den atlantischen Verbündeten.
Während die Trump-Administration Europa und insbesondere Deutschland wegen seiner hohen Exportüberschüsse mit Strafmaßnahmen droht, wendet sich die EU gegen die Marktmacht amerikanischer IT-Konzerne. So hatte die EU-Kommission erst im Mai eine Strafe von 110 Millionen Euro gegen Facebook verhängt, weil der Konzern bei der Übernahme des Messenger-Dienstes WhatsApp falsche Angaben zum Datenschutz gemacht hatte.
Einen Tag bevor die Milliarden-Strafe gegen Google angekündigt wurde, hatte US-Handelsminister Wilbur Ross überraschend ein seit langem geplantes Treffen mit Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) abgesagt. Dabei spielte offenbar der wachsende Streit über Stahlimporte eine Rolle. Die USA haben mit Strafen gegen europäische und deutsche Stahlproduzenten gedroht.
Im März hatten die USA Dumping-Vorwürfe erhoben. Noch im Juni wollte Ross einen Bericht zur Frage vorlegen, ob Stahlimporte aus der EU als Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA eingestuft werden können. Kommt die Analyse zu dem Ergebnis, dass die Sicherheit der Vereinigten Staaten bedroht ist, könnte Trump massive Schutzzölle verhängen.
Die Bundesregierung weist die Vorwürfe scharf zurück. Am Mittwoch erklärte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums in Berlin, „natürlich würden US-Schutzzölle unsere Stahlunternehmen vor große Probleme stellen“. Sie dürften deshalb nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Vor zwei Wochen erhob Wirtschaftsministerin Zypries in einem Schreiben an US-Handelsminister Wilbur Ross Einspruch gegen die US-Pläne. Sie erklärte, es gebe „keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass europäische oder deutsche Stahlimporte die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten bedrohen oder beeinträchtigen könnten“. Das Problem der „Überkapazitäten im Bereich Stahl“ gehe nicht von Deutschland oder der EU aus, sondern eher von China, und betreffe „europäische und amerikanische Unternehmen gleichermaßen“, schrieb Zypries.
Die Financial Times berichtet, hochrangige Militärs aus Deutschland und den Niederlanden hätten in „einem höchst ungewöhnlichen Schritt“ bei US-Verteidigungsminister James Mattis vorgesprochen, um ihn zu einer Intervention bei Präsident Trump zu gewinnen. Mattis wird als vergleichsweise kooperationsbereit eingestuft. Gleichzeitig droht EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström der US-Regierung mit Gegenmaßnahmen, sollte sie tatsächlich Strafzölle einführen. „Natürlich werden wir Vergeltung üben“, sagte sie der FT am 19. Juni.
Der transatlantische Konflikt nimmt seit der Machtübernahme der Trump-Regierung zunehmend explosive Form an. Schon Anfang März hatte der Wirtschaftsprofessor und ehemalige Finanzminister Sachsen-Anhalts, Karl-Heinz Paqué, in einem Gastkommentar in der Süddeutsche Zeitung auf das „enormen Zerstörungspotential“ der Trumpschen „America first“-Politik hingewiesen. Europa müsse „notfalls bereit sein, gegen Trumps Amerika einen Handelskrieg zu führen“.
Diese Entwicklung droht in eine Katastrophe zu münden, denn Handelskrieg ist das Vorstadium zum Krieg. Dabei gehen Washington, Berlin und Brüssel gleichermaßen aggressiv vor. Erst vor wenigen Wochen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Regierungserklärung verkündet, Europa müsse „seine Interessen entschlossen verteidigen, wann und wo immer das nötig ist“.
Weil sich der Charakter der transatlantischen Beziehungen verändere, habe sich Europa „dazu entschlossen, in Zukunft mehr Verantwortung als in der Vergangenheit zu übernehmen, und zwar sowohl in unserer eigenen Nachbarschaft als auch darüber hinaus“, fuhr Merkel fort. Deutschland sei „darauf angewiesen, nicht nur den Zugang zum Binnenmarkt zu haben, sondern auch zu globalen Märkten“.
Um seine geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen notfalls auch militärisch gegen die USA durchzusetzen und die wachsenden Konflikte innerhalb der EU unter Kontrolle zu halten, strebt Berlin ein Kerneuropa unter deutscher Führung an. Als Reaktion auf die wachsenden transatlantischen Spannungen rüsten Deutschland und Europa massiv militärisch auf.