Am Dienstag ließ die Bundesanwaltschaft einen weiteren Bundeswehroffizier wegen des Verdachts auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat festnehmen. Damit wird deutlich, dass im Offizierskorps der Bundeswehr ein neonazistisches Terrornetzwerk existiert, das weit größer ist, als bisher bekannt. Die Pläne für Terroranschläge waren bereits weit fortgeschritten und nahmen konkrete Formen an.
Bei dem Verhafteten handelt es sich laut Bundesstaatsanwaltschaft um den Oberleutnant Maximilian T. Ihm wird vorgeworfen, zusammen mit den beiden vor knapp zwei Wochen verhafteten Männern Franco A. und Mathias F. „einen Angriff auf das Leben hochrangiger Politiker und Personen des öffentlichen Lebens“ vorbereitet zu haben.
Gegen Franco A. wurde ermittelt, nachdem er im Februar versucht hatte, eine zuvor am Wiener Flughafen versteckte, geladene Pistole an sich zu nehmen. Es stellte sich heraus, dass sich der Oberleutnant der Bundeswehr eine fiktive Identität als syrischer Flüchtling zugelegt und sich als Asylsuchender registriert hatte. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass dies mit dem Ziel geschehen ist, die geplanten Terroranschläge einem vermeintlichen Flüchtling unterzuschieben.
Den Ermittlungen zufolge betrieben die drei Inhaftierten einen erheblichen Aufwand, um A.s fiktive Identität aufrecht zu erhalten. So ging er selbst zu den örtlichen Behörden, um die Geldleistungen abzuholen, die er als registrierter Flüchtling erhielt. „Die dadurch entstandenen Abwesenheiten deckte zumindest zum Teil Maximilian T., in dem er Franco A. gegenüber Vorgesetzten mit entschuldigte“, erklärt die Staatsanwaltschaft. Der 27-jährige T. war wie A. als Oberleutnant beim Jägerbataillon 291 im französischen Illkirch stationiert.
Auch die Beschaffung von Waffen war bereits weit fortgeschritten. Neben der Pistole am Wiener Flughafen hatten die rechtsextremen Offiziere bereits 1000 Schuss Munition zur Seite geschafft, die sie vermutlich bei Schießübungen abgezweigt hatten. Darunter befanden sich Patronen für die Sturmgewehre G36 und G3 sowie für die Truppenpistole P8. Informationen des Spiegel zufolge fanden die Ermittler bei Franco A. Notizen zu verschiedenen Gewehrtypen und ihren Preisen auf dem Schwarzmarkt.
Schließlich hatte die Terrorzelle konkrete Ziele ins Auge gefasst und begonnen, diese auszuspionieren. Schon in der letzten Woche war in Medien von einer Liste mit potentiellen Opfern berichtet worden, auf der sich hochrangige Politiker wie der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck, der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow und Justizminister Heiko Maas befanden. Auch linke Aktivisten sowie jüdische und islamische Institutionen standen im Visier der Rechtsterroristen.
Die Bundesanwaltschaft bestätigte nun die Existenz dieser Liste, die insgesamt 25 Einträge umfasse. Die einzelnen Namen sind den Kategorien A, B, C und D zugeordnet, die offenbar eine Priorisierung darstellen. Gauck und Maas befinden sich in Kategorie A.
Der Spiegel berichtet außerdem, zu bestimmten Personen seien schon umfangreiche Recherchen durchgeführt worden. So notierten die Neonazis Geburtsdatum und Dienstanschriften diverser Politiker. Besonders detailliert wurde demnach die Amadeu Antonio Stiftung beschrieben, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert. Hier fanden die Ermittler eine Skizze des Berliner Büros.
Der Aufwand, der für die fiktive Identität betrieben wurde, die Anhäufung illegaler Waffenbestände und schließlich die detaillierte Ausspähung von Terrorzielen zeigen, dass hier eine Terrorzelle operierte, die sehr weitgehende Pläne hatte.
Noch ist nicht abzuschätzen, wie groß die Terrorzelle um Franco A. tatsächlich war. Der Spiegel hatte schon am Wochenende davon berichtet, dass neben den drei jetzt Inhaftierten noch ein weiterer Soldat des Jägerbataillons 291 und ein in Österreich lebender Reservist eine Whatsapp-Gruppe gebildet hatten, in der insgesamt 36.000 Nachrichten ausgetauscht wurden. Der Inhalt sei unter anderem rassistisch und gewaltverherrlichend gewesen. Nun bestätigte ein Fahnder gegenüber dem Nachrichtenmagazin, dass die Teilnehmer auch die Bereitschaft bekundet hatten, für ihre Sache zu töten.
Es gibt auch Hinweise auf weitere Verbindungen der Neonazis in andere Kasernen. Die Süddeutsche Zeitung berichtet über die Zeugenaussage eines Soldaten aus Augustdorf. Dieser habe gehört, wie ein Offizier sagte, er wisse von einer Gruppe Soldaten, die Waffen und Munition beiseite schaffen, um im Fall eines Bürgerkriegs auf der richtigen Seite zu kämpfen. Ob der Offizier Franco A. meinte, soll noch ermittelt werden.
Während offen bleibt, wie groß die entdeckte Terrorzelle tatsächlich ist, gibt es Hinweise, dass sie in ein umfassenderes neonazistisches Netzwerk innerhalb der Bundeswehr eingebettet ist, die höhere Stellen umfasst. Obwohl die neonazistische Gesinnung der beiden verhafteten Oberleutnants bekannt war, wurde sie ein ums andere Mal von den Vorgesetzten vertuscht oder verheimlicht.
Nachdem A. im Dezember 2013 eine Abschlussarbeit abgeliefert hatte, die ein beauftragter Gutachter als „einen radikalnationalistischen, rassistischen Appell“ bezeichnete, stellte sich nicht nur sein Vorgesetzter hinter ihn. Auch der zuständige Wehrdisziplinaranwalt, eine Art Staatsanwalt der Bundeswehr, der solche schwerwiegenden Verstöße eigentlich ahnden sollte, vertuschte die Affäre. In seinem Bericht schloss er bei A. „Zweifel an der erforderlichen Einstellung zur Werteordnung“ aus.
Als A. dann im Februar dieses Jahres in Wien verhaftet wurde, kontaktierte er den gleichen Wehrdisziplinaranwalt und erhoffte sich Hilfe in seiner prekären Lage. Der Anwalt gibt an, den angefallenen Emailverkehr „unwiderruflich gelöscht“ zu haben. Als A. dann vor zwei Wochen in Deutschland verhaftet wurde, versuchte der Vize-Kommandeur des Standorts Illkirch ihn unter Vorwänden in der Haft zu sprechen. Ermittler erklärten gegenüber dem Spiegel, dass dies nur ein Beispiel für Verbindungen sei, denen sie nun nachgingen.
Auch die neonazistische Gesinnung Maximilian T.s war kein Geheimnis. Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) bereits 2015 gegen den Soldaten ermittelt hatte, weil er einen Kameraden zu Aktivitäten gegen Flüchtlinge angestiftet haben soll. Der MAD will damals keine Anhaltspunkte für Rechtsextremismus gefunden haben und stellte das Verfahren ein.
Das Muster der Zusammenarbeit von Teilen des Staatsapparats mit terroristischen Zirkeln ist nicht neu. Schon Uwe Mundlos, der später als Teil des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) mutmaßlich zehn Menschen ermordete, war vom MAD gedeckt worden, als in den 1990er Jahren in der Bundeswehr seine neonazistische Gesinnung auffiel.