Der Spiegel-Erbe und Freitag-Verleger Jakob Augstein bekennt sich in seiner Spiegel-Kolumne vom 30. März zu den Schlagwörtern der Rechten: Identität und Heimat.
An den neuen SPD-Vorsitzenden Martin Schulz gewandt schreibt Augstein: „Zum würdigen Leben gehört mehr als nur soziale Gerechtigkeit. Eine andere Bedingung ist die Identität. Die soziale Gerechtigkeit muss gegen Kapital und Konzerne errungen werden – aber die Identität gegen die Migration.“ Zur Aufgabe einer „linken Regierung“ gehöre auch „der Schutz der Heimat“.
Die „Identität“, die gegen Flüchtlinge und Migranten errungen werden müsse, ist das Schlagwort der sogenannten Identitären Bewegung, einer modernen Variante des Rechtsextremismus, die das „Volk“ nicht biologisch, sondern kulturell definiert. Sie geht von einer geschlossenen Nationalkultur aus, deren „Identität“ insbesondere durch die „Islamisierung“ bedroht sei.
Augstein weiß das, er schreibt: „Das Thema ist für die Linken gefährlich.“ Denn „in der Theorie soll doch der Ausländer ein Freund sein. Aber in der Wirklichkeit ist die Einwanderung ein Quell der Sorge.“
Dann erklärt er „Heimat“ – ein weiterer Lieblingsbegriff der äußersten Rechten, den bereits die Nazis für sich reklamierten – unvermittelt zum „Menschenrecht“: „Und es sind weiß Gott nicht nur AfD-Demagogen, die sich angesichts des großen Zustroms von Migranten Sorgen um ihre Heimat machen.“ Migranten seien „Konkurrenten um Wohnraum und Arbeitsplätze“. Und sie seien zusätzlich „Konkurrenten im Lebensstil“.
Augstein, der seine Kolumne „Im Zweifel links“ überschreibt und im Freitag das rot-rot-grüne Milieu kultiviert, beruft sich als Kronzeugen für seine völkischen Standpunkte auf zwei führende Vertreter der Linkspartei und der Grünen: die Vorsitzende der Linken-Fraktion im Bundestag, Sahra Wagenknecht, und den grünen Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, die sich wiederholt mit Flüchtlingshetze hervorgetan haben.
Es sei Unsinn Wagenknecht AfD-Rassismus vorzuwerfen, wenn sie korrekt sage: „Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht verwirkt“, schreibt Augstein. Es sei eine Tatsache, dass „viel Zuwanderung“ viele Probleme schaffe.
Mit seinem Lob für Wagenknecht begibt sich Augstein in die Gesellschaft des stellvertretenden AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland, der die Äußerung der Fraktionschefin der Linken ebenfalls gelobt hatte: „Frau Wagenknecht hat die Situation sehr schön auf den Punkt gebracht. Wer freiwillig zu uns kommt, hat sich wie ein Gast zu benehmen, oder muss Deutschland verlassen“, sagte Gauland, der sogar innerhalb der AfD am rechten Rand steht.
Ganz im Sinne der AfD schreibt Augstein: „In Migrantenklassen wachsen die Probleme von morgen heran.“ Er leitet daraus die Forderung ab: „In keiner deutschen Schulklasse soll der Anteil der Kinder, für die Deutsch keine Muttersprache ist, höher als 25 Prozent liegen.“
Diese ekelhaften rassistischen Standpunkte stoßen selbst im Spiegel auf Empörung. Die aus Polen stammende Margarete Stokowski, eine andere regelmäßige Kolumnistin, lässt ihrer Wut freien Lauf. „Natürlich bin ich angepisst“, schreibt sie. „Ich bin in einem Migrantenbezirk in einer Migrantenklasse zu eben jenem Problem herangewachsen“, das Augstein beschreibe und auf 25 Prozent beschränken möchte.
Tatsächlich kann man Augsteins Übernahme rechtsradikaler Parolen nicht ohne Empörung und Ekel lesen. Man möchte dem millionenschweren Spiegel-Erben, der gerne durch die Talkshows tingelt und über Gott und die Welt schwadroniert, ein paar deftige Schimpfworte hinterherschicken.
Doch es ist notwendig, Augsteins rassistische Tiraden in einem größerem politischen Zusammenhang zu verstehen. Seine Rechtswende ist kein Einzelfall. Sie ist symptomatisch für ein soziales und politisches Milieu, das sich im Umfeld von SPD, Grünen und Linkspartei bewegt und sich früher gerne links und liberal gab. Dazu gehören viele Kulturschaffende und Sozialstaats-Funktionäre, die sich in Kommunal- und Landesverwaltungen, Partei- und Gewerkschaftsapparaten gut dotierte Posten gesichert haben.
Nicht jeder dieser Besserverdienenden, die sich vorwiegend in den Speckgürteln der Großstädte angesiedelt haben, ist Millionär wie Jakob Augstein. Aber viele haben vom Aktienboom der vergangenen Jahre profitiert und sind darauf bedacht, ihren gehobenen Lebensstil zu pflegen und zu verteidigen.
Sie reagieren auf die weltweite Krise des Kapitalismus und die Verschärfung des Klassenkampfs mit einem scharfen Rechtsruck. Denn sie sehen in der Zunahme sozialer Konflikte, dem wachsenden Widerstand gegen Ausbeutung, Militarismus und Kriegsvorbereitung eine Bedrohung ihrer privilegierten gesellschaftlichen Stellung. Sie rufen nach einem starken Staat und entwickeln Sympathien für rechte Parolen.
Die Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten hat diese Entwicklung beschleunigt. Sie hat die tiefe Krise und die Fäulnis des Kapitalismus an die Oberfläche gebracht und weiter verschärft. Die Bundesregierung ihrerseits antwortet auf die amerikanischen Handelskriegsmaßnahmen und Kriegsvorbereitungen mit Wirtschaftskrieg und Militarismus.
Die relative Stabilität der Nachkriegsordnung ist zu Ende. Siebzig Jahre nach dem Zusammenbruch des Hitler-Faschismus erhebt die herrschende Klasse in Deutschland wieder den Anspruch, Hegemon Europas und Weltmacht zu sein.
So lange der deutsche Imperialismus in den vergangenen Jahrzehnten gezwungen war, sich zurückzuhalten und seine Außen- und Wirtschaftspolitik im Windschatten der USA gewissermaßen auf Samtpfoten zu betreiben, waren auch bürgerliche und kleinbürgerliche Ideologen und Propagandisten wie Augstein bekennende Humanisten und schwärmten für Multikulti.
Doch kaum meldet sich der deutsche Imperialismus auf der Weltbühne zurück, kommt auch der Kern des deutschen Klein- und Bildungsbürgers wieder zum Vorschein, der im Kaiserreich für Bismarck schwärmte, in der Weimarer Republik Brünings Notverordnungen unterstützte und sich schließlich reibungslos ins Dritte Reich einfügte. Schlagartig verwandeln sich die Humanismus-Reden in giftige Hetzreden gegen Flüchtlinge und Migranten.
Als hätte es Joseph Goebbels‘ Hass-Reden über die „Reinhaltung des Deutschtums“ nie gegeben, wirft Augstein Flüchtlingen vor, sie gefährdeten die deutsche Identität und zerstörten „unsere Heimat“. Im Stil rechter Demagogen schürt er ausländerfeindliche Stimmungen und verbindet das mit Deutschtümelei.
Schon im letzten Sommer hatte Augstein auf eine Demonstration von 40.000 türkischen Migranten in Köln, die den gescheiterten Militärputsch in der Türkei verurteilten, reagiert, indem er die Abschaffung des „Doppelpasses für Deutschtürken“ forderte. Die Solidarisierung mit dem türkischen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sei nicht hinnehmbar, begründete er diese Forderung, jeder Staatsbürger könne sich nur „einem Staat verpflichtet fühlen“.
Inhaltlich unterschied sich dieses Argument schon damals nicht von der rechten Forderung nach Anerkennung einer „deutschen Leitkultur“. Die Auffassung, der Staatsbürger sei dem Staat verpflichtet und schulde der Regierung Loyalität, ist zudem zutiefst undemokratisch und autoritär. Sie steht in der unheilvollen Tradition des deutschen Obrigkeitsstaats. Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Gebot der Vaterlandstreue und dem damit verbundenen Vorwurf des Vaterlandsverrats, mit dem in Deutschland zahlreiche Sozialisten, Kriegsgegner und kritische Geister verfolgt wurden.
Auch Wagenknecht und die Linkspartei bewegen sich immer weiter nach rechts. Als Regierungschef Mark Rutte im niederländischen Wahlkampf antitürkische und antimuslimische Stimmungen schürte, um den Rechtsextremen Geert Wilders rechts zu überholen, klatschte Wagenknecht Beifall. Sie lobte Ruttes Entscheidung, türkischen Regierungsmitgliedern die Einreise zu verweigern, und warf Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Gabriel vor, dass sie nicht „so viel Rückgrat“ zeigten.
Augstein und Wagenknecht machen deutlich, was von einer rot-rot-grünen Regierung zu erwarten wäre. Anders als immer wieder behauptet, wäre das kein „Linksbündnis“, sondern eine rechte Regierung, die sich direkt gegen die Arbeiterklasse richtet.
Augsteins Attacken auf Flüchtlinge, die versuchen, der Hölle der imperialistischen Kriege in Syrien und anderen Ländern zu entkommen, zeigen seine Verachtung für die Arbeiterklasse insgesamt. Und sein Aufruf zur Verteidigung „unserer Heimat“ ist Teil der Fanfarenklänge, die die Wiederkehr des deutschen Militarismus angekündigen.
Im vergangenen Jahr lief im Kino die Hitler-Parodie „Er ist wieder da“. Sie wird zunehmend aktuell. Vor allem sind jene wieder da, auf die Hitler seinen Aufstieg stützen konnte: die typischen Vertreter des deutschen Kleinbürgertums mit ihrer bornierten Deutschtümelei, Ausländerfeindschaft, Obrigkeits- und Staatshörigkeit und Rückgratlosigkeit.