Nach dem angeblichen Giftgasangriff in Idlib befinden sich deutsche Politiker und Medien im Kriegsmodus. Obwohl die Hintergründe nach wie vor ungeklärt sind und alles auf eine imperialistische Provokation hindeutet, wirbt die Bundesregierung gemeinsam mit den anderen europäischen Mächten für den Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und eine Konfrontation mit Russland.
Am Rande der Syrienkonferenz in Brüssel am Mittwoch nannte der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel den Giftgasangriff in Syrien „ein barbarisches Kriegsverbrechen“ und forderte Vergeltung. „Die Verantwortlichen des Assad-Regimes für diese Barbarei müssen zur Verantwortung gezogen werden. Und es darf keine Kumpanei mit dem Assad-Regime geben – auch nicht im Kampf gegen die Terroristen des sogenannten ‘Islamischen Staates’“, erklärte er. Russland trage „als Verbündeter des Assad-Regimes […] eine besondere Verantwortung“.
Gabriel ließ keinen Zweifel daran, dass das vorrangige Kriegsziel der imperialistischen Mächte in Syrien der Sturz von Assad sei. Der Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) sei „wichtig“, aber er dürfe „den Kampf gegen die Verbrechen des Bürgerkriegs in Syrien, die Folter und die Giftgasangriffe deshalb nicht nachrangig machen“. Der „politische Prozess für eine neue Verfassung, freie Wahlen und eine demokratische Beendigung des Assad-Regimes“ seien „die Voraussetzung für eine dauerhafte Befriedung der Region“.
Dass es der Bundesregierung um „Demokratie“, „Frieden“ oder „Menschenrechte“ im Nahen und Mittleren Osten geht, ist eine zynische Lüge. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die deutsche Luftwaffe die Zielkoordinaten für ein Massaker an Zivilisten in Syrien lieferte, dem mindestens 33 Menschen, darunter Frauen und Kinder, zum Opfer fielen.
Anders als noch im Libyen-Krieg 2011 war Deutschland bei der imperialistischen Offensive gegen Syrien von Anfang an Kriegspartei mit dem Ziel, seine wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen im Nahen und Mittleren Osten durchzusetzen. Bereits 2012 hatte das Auswärtige Amt gemeinsam mit der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Teilen der syrischen Opposition das Projekt „The Day After“ ins Leben gerufen und eine „Vision für eine Nach-Assad-Ordnung“ erarbeitet. Ende 2015 griff die Bundeswehr dann mit Tornados, einem Kriegsschiff und bis zu 1200 Soldaten direkt in den Syrienkrieg ein.
Nun versucht die Bundesregierung den Giftgasangriff zu nutzen, um ihr Gewicht in der US-geführten Interventionskoalition zu erhöhen. Ihre Hauptsorge ist dabei nicht das Wohl Syriens, sondern dass Washington auch unter dem neuen Präsidenten Donald Trump am Sturz Assads festhält und Deutschland bei der Plünderung Syriens einen Teil der Beute überlässt.
„Der brutale, menschenverachtende Giftgasangriff in Syrien darf nicht ohne Konsequenzen bleiben“, forderte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann im Spiegel. Allerdings würden „die Drohungen von Präsident Trump mit Alleingängen der USA“ nicht weiter helfen. Trotz seiner verbalen Kehrtwende in Bezug auf Assad bleibe Trumps Syrienpolitik „sehr widersprüchlich“ und „dieses politische Hin und Her“ erschwere „eine abgestimmte Konfliktlösung der Internationalen Gemeinschaft“.
Ins gleiche Horn stießen die Grünen. Im Deutschlandfunk forderte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner den US-Präsidenten auf, seinen „Harakiri-Kurs“ zu beenden und sich klar gegen Assad zu positionieren. „Ich glaube, die Konflikte sind einfach zu gravierend, als dass wir uns so ein Lavieren weiter anhören können. Da müssen die Europäer Klartext fordern.“
Unter „Klartext“ versteht Brantner eine massive Militärintervention. „Die Frage ist, wie lange wollen wir zuschauen. Eigentlich gibt es eine UN-Sicherheitsratsresolution aus dem Jahr 2015, die klipp und klar sagt, wenn es wieder zu einem Giftgasanschlag kommt, dann greifen Maßnahmen unter Kapitel VII. Das sind die härtesten Maßnahmen, die die Vereinten Nationen hat.“ Um die verzweifelten Menschen zu erreichen, müssten „Luftbrücken“ eingerichtet und militärisch abgesichert werden.
Brantners Vorschlag zielt „klipp und klar“ auf die Erzwingung eines Regimewechsel in Damaskus. Im März 2011 war die Errichtung einer Flugverbotszone in Libyen unter Kapitel VII der UN-Charta, die ebenfalls mit „humanitären“ Argumenten begründet wurde, der Auftakt für einen massiven Bombenkrieg der Nato gegen das ölreiche Land, der mit dem Mord am libyschen Staatschef Gaddafi durch vom Westen unterstützte islamistische Rebellen einen brutalen Höhepunkt erreichte.
In Syrien würde die Errichtung von „Luftbrücken“ und ein militärisches Eingreifen nach Kapitel VII eine direkte Konfrontation mit der Atommacht Russland und dem Iran bedeuten, den Hauptunterstützern von Assad.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Trotzdem forderte am Donnerstag auch der Vorsitzende der Europäischen Linken, Gregor Gysi, eine aggressivere Intervention – und zwar unabhängig davon, wer für „die Verbreitung von Giftgas in Syrien“ verantwortlich sei. „Entweder war es ein Giftgasangriff, dann muss es irgendwann gelingen, die Verantwortlichen wegen eines Kriegsverbrechens zur Verantwortung zu ziehen. Oder es wurde eine Giftgasfabrik bombardiert, in der nicht Syrische Regierungstruppen, sondern andere Truppen Giftgas probierten“, so der Linksparteipolitiker. „Dann sind auch diese scharf zu kritisieren, und zur Verantwortung zu ziehen.“
Nachdem das russische Eingreifen in Syrien die Pläne der Bundesregierung durchkreuzt und die vom Westen unterstützten islamistischen Milizen an den Rand einer Niederlage gebracht hat, werben auch die deutschen Medien zunehmend hysterisch für ein militärischen Eingreifen gegen Damaskus.
Hubert Wetzel, der bereits im Frühjahr 2013 „eine Salve Marschflugkörper auf das Hauptquartier von Baschar al-Assads Armee“ verlangt hatte, schrieb am Donnerstag in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Jetzt ist es Trumps Krieg”: „Eine Wahrheit wird nicht unwahr, nur weil der Lügner Donald Trump sie ausspricht. Deswegen: Trump hat recht. Dass der syrische Diktator Baschar al-Assad immer noch die eigene Bevölkerung ermorden, dass er immer noch Frauen und Kinder mit Giftgas töten kann, hat auch mit der ‘Schwäche und Unentschlossenheit’ von Barack Obama zu tun, wie Trump dem früheren US-Präsidenten vorwirft.“
Dann fügte er hinzu: „Früher regierte in Washington ein Präsident, der rote Linien in die Luft malte, diese aber nicht verteidigte. Heute regiert in Washington ein Präsident, der Assad bisher für einen netten Burschen und Russland – Kriegspartei in Syrien – für einen Friedenspartner hielt; der keine roten Linien mag, aber allerlei Linien überschritten sieht, die er nie gezogen hat. Assad muss vorerst keine Angst haben.“
Berthold Kohler, der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geiferte: „Damit richten sich alle Blicke auch auf den Kreml, denn ohne das russische Eingreifen zugunsten des Schlächters Assad gäbe es dessen Regime nicht mehr. In Washington scheint man inzwischen verstanden zu haben, dass Moskau nicht aus reiner Nächstenliebe in den syrischen Bürgerkrieg eintrat.“ Allerdings hätten die Vereinigten Staaten ebenso wie Europa „immer noch keinen Plan, um Assad vom Vergasen seines Volkes abzuhalten.“