Vereinigung Cockpit kapituliert vor Lufthansa-Vorstand

Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) hat auf der ganzen Linie vor dem Lufthansa-Vorstand kapituliert. Ihre jüngste Vereinbarung, mit der sämtliche tarifpolitischen Streitpunkte beigelegt werden, bindet den Piloten auf fünf Jahre hinaus die Hände. Sie muss in der Urabstimmung abgelehnt werden.

Wie der Lufthansa-Vorstand befriedigt mitteilte, seien durch die grundsätzliche Einigung mit der Pilotengewerkschaft alle Streiks vom Tisch. Die Vereinbarung soll bis Juni 2022 gelten und sich auf den Vergütungs- und den Manteltarifvertrag, wie auch auf die Verträge zu Übergangs- und Altersversorgung beziehen.

Während der Vorstand den Inhalt der Vereinbarung am Mittwoch, den 15. März, als „ad-hoc Meldung“ auf der Homepage der Lufthansa Group publizierte, hat die Spartengewerkschaft ihn bisher nicht vorgestellt. Auf ihrer Website heißt es lapidar: „Vereinigung Cockpit (VC) und Lufthansa erzielen Absichtserklärung zur Gesamtlösung.“ Darauf folgt eine schlichte, drei Absätze lange Erklärung. Darin räumt die Spartengewerkschaft der Flugkapitäne ausdrücklich ein, der Lufthansa mit diesem Abkommen „strukturell nachhaltig verbesserte Cockpitpersonalkosten“ zu garantieren.

Es heißt dort: „Im Wesentlichen sichert die VC der Lufthansa für die vom Konzerntarifvertrag umfassten Flugbetriebe [Lufthansa, Lufthansa Cargo und Germanwings] strukturell nachhaltig verbesserte Cockpitpersonalkosten zu. Dies geschieht durch eine durchschnittliche Absenkung der Cockpitstückkosten um 15%.“ Im Gegenzug habe sich der Vorstand verpflichtet, Pilotenstellen zu schützen und Karrieremöglichkeiten zu schaffen.

Die Details sind, wie gesagt, nur auf der Homepage der Lufthansa Group zu erfahren. Dort ist tatsächlich detailliert aufgeführt, was nach vierzehn Streiks nicht anders denn als Kapitulation bezeichnet werden kann. VC hat praktisch jede einzelne Bastion preisgegeben, die sie fünf Jahre lang verteidigt hat.

Als wichtigsten Punkt meldet der Lufthansa-Vorstand triumphierend, dass der Abschluss eine Laufzeit bis Mitte 2022 aufweist: Die Vereinigung Cockpit (VC) verpflichtet sich damit, dafür zu sorgen, dass die rund 5400 Lufthansa-Piloten mehr als fünf Jahre lang auf Streik verzichten.

Die Flugkapitäne dürfen künftig erst mit sechzig in Rente gehen. Das Ausscheidealter werde, wie es heißt, sukzessive auf durchschnittlich sechzig Jahre angehoben. Nach dem alten Tarifvertrag hatten Piloten die Möglichkeit, ab 55 Jahren in den Ruhestand zu gehen und ein Übergangsgehalt bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter zu beziehen. Diese Maßnahme kam nicht nur den Piloten, sondern auch der Flugsicherheit zugute, denn der Pilotenberuf ist mit Dauerstress, ständiger Zeitverschiebung, Klimawechsel und permanent unterschiedlichen Arbeitszeiten verbunden. Nur sehr wenige Piloten schaffen es gesundheitlich, ihn bis zum Rentenalter durchzustehen. Diese Einsicht hat VC jetzt aufgegeben.

Hinzu kommt, dass die Altersversorgung von einem System garantierter Rentenauszahlungen auf feste Beiträge umgestellt wird. Die Gewerkschaft hat damit akzeptiert, dass das Risiko für Zinsschwankungen und Börsenturbulenzen auf jeden einzelnen Piloten verlagert wird. Bisher musste Lufthansa dafür sorgen, dass die Betriebsrente in festgelegter Höhe ausgezahlt werden konnte, und musste dafür Kapital zurücklegen.

Die Zugeständnisse, die die Gewerkschaft allein in der Frage der Renten und Übergangszeiten gemacht hat, sind bares Geld wert. Diese Umstellung hat Lufthansa seit langem gefordert. Für das Kabinenpersonal wurde sie letztes Jahr schon durchgesetzt, als UFO, die zweite Spartengewerkschaft im Luftverkehr, einer analogen Umstellung für Flugbegleiter zustimmte.

Auf der Jahrespressekonferenz in München gab Konzernchef Carsten Spohr bekannt, allein durch diese Umstellung habe der Konzern schon 652 Millionen Euro eingespart und damit einen Rekordgewinn von 1,8 Milliarden Euro in 2016 erzielt. Auf der Konzernwebsite heißt es, auch die Umstellung der Alters- und Übergangsversorgung der Piloten könnte „im Geschäftsjahr 2017 eine einmalige entlastende Wirkung in den Pensionsverbindlichkeiten von einem hohen dreistelligen Millionen-Eurobetrag“ haben.

Damit nicht genug, ist auch eine „Produktivitätsverbesserung für aktuelle Mitarbeiter und Neueinsteiger“ vereinbart, wie auch die (nicht näher erläuterte) „Einführung einer neuen Vergütungsstruktur“. Die beschlossenen Gehaltserhöhungen sind dagegen nur als sehr mager zu bezeichnen: Für im Ganzen zehn Jahre – von 2012 bis 2022 – sind insgesamt 11,4 Prozent vereinbart sowie eine Einmalzahlung von 1,8 Monatsgehältern. Aufs Jahr gerechnet ist das kaum mehr als ein Prozent Gehaltserhöhung. Der Schlichterspruch, der vor einem Monat über die Gehälter erreicht wurde, wird durch das neue Abkommen hinfällig.

Für all diese Zugeständnisse sollen die Piloten im Gegenzug die Garantie erhalten, dass bis 2022 mindestens 325 Flugzeuge zu den vereinbarten Bedingungen des Konzerntarifvertrags bereedert werden. Bis Ende 2022 sollen auch 600 Kapitänsanwärterstellen geschaffen und rund 700 neue Piloten eingestellt werden. Allerding bezieht sich die Vereinbarung nicht allein auf die klassische Lufthansa-Airline, sondern auch auf Stellen bei Lufthansa-Cargo und bei Germanwings, die durchaus schlechtere Bedingungen haben können.

Die Kapitalseite und die Wirtschaftsmedien haben begeistert auf die Einigung reagiert. Die Lufthansa-Aktie erlebte einen Höhenflug an den Börsen. Ein typischer Kommentar auf „Börse online“ lautete: „Für Lufthansa-Chef Carsten Spohr kommt die langersehnte Einigung mit den Piloten genau zur rechten Zeit. Die Gewinne bröckeln, die Treibstoffkosten steigen. Jetzt kann der Konzernchef immerhin die Gehälter der teuren Kapitäne senken.“

Auch das Handelsblatt zeigte sich sehr zufrieden und bezeichnete die Vereinbarung als „veritablen Durchbruch“. Zunächst habe sie einen „positiven Effekt auf den Betriebsgewinn“. Noch wichtiger sei die Beilegung eines „fünf Jahre dauernden Streit[s], den sich die Lufthansa eigentlich nicht leisten konnte. Denn so lange kein neuer Tarifvertrag abgeschlossen ist, gilt der alte weiter.“ Allein diese Zeilen machen deutlich, auf welche Verschlechterung sich die Vereinigung Cockpit hier eingelassen hat.

Der Vorstand hat die Spartengewerkschaft regelrecht gekauft, damit sie ihm beim lange geplanten Konzernumbau den Rücken freihält. Lufthansa-Personalvorstand Bettina Volkens lobte, mit der neusten Vereinbarung habe Lufthansa „die Grundlage für eine neue Sozialpartnerschaft mit der Vereinigung Cockpit“ geschaffen.

Wenn die neuen Verträge vorliegen, müssen die Piloten noch in einer Urabstimmung darüber entscheiden. Sie müssen sie allein schon deshalb ablehnen, weil sie mit dem Streikverzicht auf fünf Jahre hinaus ihre Möglichkeit zur Gegenwehr freiwillig aus der Hand geben. Die Spartengewerkschaft fällt damit all jenen Kollegen in den Rücken, die gerade im Arbeitskampf stehen oder bereit sind, gegen die Angriffe auf Jobsicherheit, Einkommen und Arbeitsbedingungen den Kampf aufzunehmen.

Dies betrifft Flugbegleiter von Eurowings, wie auch Techniker, Cargo-Arbeiter und Bodenbedienstete von Lufthansa, die teilweise mit noch schlimmeren Angriffen auf Arbeitsplätze und -bedingungen konfrontiert sind. Zum Beispiel führt das Bodenpersonal in Berlin gerade einen erbitterten Tarifkampf gegen Dumpinglöhne und prekäre Arbeitsverhältnisse. Europaweit gleichen die Flughäfen und Airlines lauter Pulverfässern. Zurzeit finden Streiks an südfranzösischen Flughäfen und bei British Airways in London statt.

In keinem Wirtschaftszweig ist die Arbeit so stark international vernetzt wie an den Flughäfen und in den Luftfahrtkonzernen. Vereinigung Cockpit sabotiert aber mit ihrer Einigung den gemeinsamen Kampf aller Beschäftigten im Luftverkehr, der sich ganz natürlich anbietet. Die Spartengewerkschaft, die die Piloten vor Jahren als nicht so korrupte Interessenvertretung gegründet hatten, erweist sich heute als genauso bankrott wie Verdi und andere DGB-Gewerkschaften.

Unter Bedingungen der kapitalistischen Krise und des globalen Verdrängungswettbewerbs hat sie sich für die Sozialpartnerschaft entscheiden, was bedeutet, dass sie sich auf die Seite der Konzernleitung stellt, die von Piloten und Beschäftigten immer neue Zugeständnisse fordert. Wie in letzter Zeit immer deutlicher sichtbar wurde, hat sich Vereinigung Cockpit bewusst für diesen Weg entschieden.

So beteiligte sich VC im Dezember 2015 gemeinsam mit Verdi und Ufo am Runden Tisch der Lufthansa, genannt „Jobgipfel“. Der Vorstand hatte ihn einberufen, um den Konzernumbau mit den Gewerkschaften abzustimmen. Seither hat der Konzernvorstand den Druck auf all seine Beschäftigten massiv erhöht und die Bereiche Cargo, Technik, Bodendienste, Catering etc. immer stärker aufgesplittert, ausgegliedert oder an neue Tochtergesellschaften delegiert, um die Personalkosten zu senken.

Im letzten Herbst hat VC selbst zum Streikbruch aufgerufen, als die Beschäftigten von TUIfly einen spontanen Sick-out-Streik organisierten. Damals rief die Vereinigung Cockpit gemeinsam mit der Unternehmensleitung von Air Berlin, der Tarifkommission Verdi und dem Gesamtbetriebsrat der Piloten, Flugbegleiter und Bodenmitarbeiter dazu auf, Sonderschichten zu leisten, um die Auswirkungen des Sick-out-Streiks der TUIfly-Beschäftigten so gering wie möglich zu halten.

Schließlich hat die VC-Führung am Ende ihres vierzehnten Streiks ein deutliches Zeichen gesetzt, wo sie steht: Am 30. November 2016 holte sie während ihrer Streikkundgebung vor der Konzernzentrale drei Topvorstände auf die Bühne und ließ sie zu den Streikenden sprechen.

Alle drei Vorstandsmitglieder – Personalchefin Dr. Bettina Volkens, Eurowings-Chef Karl Ulrich Garnadt und Lufthansa-Wirtschaftsvorstand Harry Hohmeister (jeder von ihnen mit einem Jahresgehalt von über zwei Millionen Euro) – durften dort die „Einheit von Lufthansa“ gegen ihre Gegner beschwören, die „nicht im Vorstand, sondern in der Konkurrenz“ zu suchen seien. Während die streikenden Piloten laut pfiffen und sie ausbuhten, dankten die VC-Gewerkschafter den Vorstandsmitgliedern für ihren Auftritt.

Der VC-Vorsitzende Ilja Schulz sagte anschließend: „Der Feind sitzt außen – da gebe ich Ihnen Recht! Deshalb müssen wir zusammenrücken.“ Auch erklärte er: „Wir haben nie gesagt, dass wir Eurowings verhindern wollen.“

Eurowings – das ist die Billigtochter von Lufthansa, die gerade stark ausgebaut werden soll, um Konkurrenten wie Ryanair aus dem Feld zu schlagen. Bei Eurowings sind die Löhne und Gehälter um über dreißig Prozent niedriger und die Altersversorgung schlechter als bei der Lufthansa-Mutter. Das Management hat Eurowings bisher bewusst in Wien und nicht in Deutschland angesiedelt, außerhalb des Zugriffsbereichs der Pilotengewerkschaft. Dieser war es ausdrücklich verboten, gegen die miesen Bedingungen bei dieser Lowcost-Tochter zu streiken.

Die jüngste Grundsatzvereinbarung und der garantierte fünfjährige Betriebsfrieden eröffnen dem Vorstand auch in dieser Hinsicht ganz neue Möglichkeiten.

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