Auftrittsverbote für türkische Politiker in Deutschland

Ein Kommentar

Deutsche Behörden haben in mehreren Städten den Auftritt türkischer Regierungsmitglieder verhindert, die für eine Zustimmung zum Verfassungsreferendum vom 16. April werben wollten. In Deutschland leben etwa 1,4 Millionen türkische Bürger, die abstimmungsberechtigt sind.

Die Auftrittsverbote wurden mit technischen Vorwänden begründet. So untersagte die Stadt Gaggenau eine Veranstaltung mit dem türkischen Justizminister Bekir Bozdag mit dem Argument, die Parkplätze und die Zufahrten reichten für den erwarteten Besucherandrang nicht aus.

Die Stadt Köln lehnte einen Auftritt des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci im Bezirksrathaus Köln-Porz mit der Begründung ab, es gebe keinen Mietvertrag für diese Veranstaltung, weil eine angekündigte „Theaterveranstaltung“ kurzfristig zu einer „Informationsveranstaltung“ umgewidmet worden sei. Und die Stadt Hamburg untersagte einen geplanten Auftritt des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu am heutigen Dienstag unter dem Vorwand, der Brandschutz reiche nicht aus.

In Wirklichkeit haben die Auftrittsverbote politische Gründe. Sie finden vor dem Hintergrund einer hysterischen Kampagne statt, Auftritte von türkischen Politikern, die die neue Verfassung unterstützen, grundsätzlich zu verbieten.

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer sagte der Süddeutschen Zeitung, türkische Politiker missbrauchten ihr „Gastrecht“, wenn sie „für einen demokratiefeindlichen Umbau in ihrem Land werben“. CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl erklärte der Bild-Zeitung, solche Versammlungen müssten notfalls durch die Sicherheitsbehörden aufgelöst werden.

FDP-Chef Christian Lindner wandte sich in den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland gegen „systematische türkische Staatspropaganda auf deutschem Boden“. Er rief die Bundesregierung auf, dem Einhalt zu gebieten.

Auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sprach sich dagegen aus, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Deutschland für die Verfassungsänderung werben dürfe. Unter Hinweis auf den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, der in türkischer Untersuchungshaft sitzt, sagte Maas auf einer SPD-Veranstaltung im Saarland: „Ich finde, bei dem was da geschieht, sind wir an einer Stelle, wo die Zeit der leisen Töne vorbei sein muss.“

Am aggressivsten rufen Vertreter der Linkspartei nach einem generellen Auftrittsverbot für Politiker der türkischen Regierungspartei AKP. Linken-Parteichef Bernd Riexinger forderte in Berlin, dafür zu sorgen, „dass die nächste Werbeshow für Erdogan nicht stattfindet“. „Der türkische Despot führt die Bundesregierung am Nasenring durch die Manege“, sagte er mit kaum verhülltem Chauvinismus. Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht warf der Bundesregierung in der Rheinischen Post eine „Kumpanei mit dem türkischen Autokraten“ vor.

Die Forderung nach einem Auftrittsverbot für türkische Politiker ist undemokratisch und reaktionär.

Die Befürworter eines solchen Verbots rechtfertigen es damit, dass Erdogan politische Gegner unterdrücke und die zur Abstimmung stehende Verfassungsänderung autoritäre Züge trage. Deshalb, so Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, sei „Redefreiheit für Erdoğan (und seine Regierungs-Wahlkämpfer) in Deutschland Beihilfe zur Ausschaltung von Grundrechten und zur Freiheitsberaubung...“.

Diese Argumentation ist grundfalsch. Derartige Verbote verteidigen nicht die Demokratie und die Meinungsfreiheit in der Türkei, sondern unterdrücken sie in Deutschland. Führende Politiker und Journalisten maßen sich an, in Deutschland lebenden türkischen Bürgern vorzuschreiben, was sie zu denken haben, wen sie hören dürfen und wen nicht. An die Stelle der politischen Auseinandersetzung treten Verbot und Zensur. Auf diese Weise wird ein Präzedenzfall für die Unterdrückung aller abweichender Meinungen geschaffen. Der Staat bestimmt, was öffentlich gesagt werden darf und was nicht.

Wenn die AKP (die bei der letzten Wahl unter den in Deutschland lebenden türkischen Bürgern immerhin 60 Prozent der Stimmen gewann) ihre Auffassungen in Deutschland nicht mehr vertreten darf, wie steht es dann mit Mitgliedern sozialistischer Parteien, denen die herrschenden Eliten „Verfassungsfeindlichkeit“ unterstellen? Oder wie steht es mit Muslimen, deren Glaube einige rechte Politiker ebenfalls für unvereinbar mit der Verfassung erklären?

Dass die Diskussion tatsächlich in eine solche Richtung geht, zeigt ein anderes Argument, dass die Befürworter eines Auftrittsverbots für türkische Politiker anführen: Grundrechte gelten nur für Deutsche.

Schon in ihrer Wochenendausgabe schrieb die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf den Freiburger Jura-Professor Ralf Poscher, ein allgemeines Versammlungsverbot sei „juristisch machbar“, weil Artikel 8 des Grundgesetzes („Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“) ein „Deutschen-Grundrecht“ sei.

Am Montag wiederholte dann Heribert Prantl dieses schändliche Argument. Unter Hinweis auf frühere Auftritte Erdogans in Deutschland warnte er, bei türkischen Regierungspolitikern dürfe nicht „der Eindruck entstehen, ihr Wahlkampf-Rederecht in Deutschland sei eine Art Gewohnheitsrecht“.

Die Regierung habe in der Vergangenheit solche Auftritte „zugelassen, auch wenn das Versammlungsgrundrecht eigentlich nur ein Deutschen-Grundrecht ist“. Dies sei „ein Akt der Diplomatie“ gewesen, „weil schließlich in Deutschland eineinhalb Millionen türkische Wahlberechtigte leben und weil die deutsch-türkische Freundschaft so gestärkt werden sollte“. Jetzt aber stelle sich die Frage, ob der deutsche Staat „nicht nur berechtigt, sondern gar verpflichtet“ sei, „dieser Werbung entschieden entgegenzutreten“.

Das demokratische Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wird so für Hunderttausende in Deutschland lebende Türken zum staatlichen Willkürakt erklärt. Sie sollen keine – unstrittig immer völlig friedlich verlaufende – Veranstaltungen mit gewählten Politikern abhalten dürfen, wenn deren Politik der deutschen nicht passt. Und dies in einem Land, in dem erst vor achtzig Jahren mit den Nürnberger Rassengesetzen Millionen Menschen aufgrund ihrer jüdischen Religionszugehörigkeit sämtliche Rechte aberkannt wurden.

Geht es um eigene Interessen, legt die deutsche Politik ganz andere Maßstäbe an. Unvergessen sind die Wahlkampfauftritte von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Frühjahr 1990 in der DDR, damals noch ein souveräner Staat, auf denen er mit dem Versprechen „blühende Landschaften“ für die Wiedervereinigung warb. Und der deutsche Außenminister Guido Westwelle solidarisierte sich 2014 auf dem Maidan persönlich mit den rechten Kräften, die den Sturz der gewählten ukrainischen Regierung organisierten. In beiden Fällen warben die Vertreter der deutschen Regierung nicht unter Auslandsdeutschen für innerdeutsche Politik, sondern mischten sich direkt in die Angelegenheiten anderer Länder ein.

Wenn sie ihren Interessen dienen, hat die deutsche Regierung zudem kein Problem mit Autokraten und Despoten. So besuchte Bundeskanzlerin Merkel erst letzte Woche Ägyptens Machthaber al-Sisi, der ungleich härter gegen politische Gegner vorgeht als Erdogan, und versicherte ihm Deutschlands Interesse an der Stabilität Ägyptens.

Mit Erdogan selbst hat Merkel einen schmutzigen Flüchtlingsdeal vereinbart, der Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten in Syrien, dem Irak und Afghanistan an der Weiterreise nach Europa hindert. An diesem Deal will Merkel weiterhin festhalten. Deshalb hat sie sich, ähnlich wie Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, bisher zurückhaltend zu den Auftrittsverboten für türkische Politiker geäußert.

In der deutschen Politik gibt es aber heftige Konflikte über den Umgang mit der Türkei. Merkels Flüchtlingsdeal stieß von Anfang an auch in ihrem eigenen Lager auf Kritik, weil ein Teil der Ansicht ist, der deutsche Imperialismus binde sich im Nahen Osten die Hände, wenn er sich zu eng an die Türkei kette. Vor allem die CSU und die Linkspartei fordern schon länger, Deutschland solle gegenüber der Türkei selbstbewusster auftreten. Und das Verteidigungsministerium hat sich intensiv um die Bewaffnung und Ausbildung der kurdischen Peschmerga bemüht.

Inzwischen haben die deutsch-türkischen Beziehungen einen Tiefpunkt erreicht. Letzte Woche bestellte das türkische Außenministerium in Ankara den deutschen Botschafter Martin Erdmann ein und übermittelte ihm ihr „Unbehagen“ über das Vorgehen der deutschen Behörden. Am Sonntag warf Präsident Erdogan Deutschland „Nazi-Praktiken“ vor, was in Berlin auf empörte Gegenreaktionen stieß.

Die Verteidigung demokratischer Rechte und der Kampf gegen Erdogans autoritäre Maßnahmen können nicht der deutschen Regierung und dem bürgerlichen Staat übertragen werden. Sie erfordern die Mobilisierung der türkischen und der internationalen Arbeiterklasse.

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