Die Kandidatin des neo-faschistischen Front National, Marine Le Pen, kann kaum mehr als neun Wochen vor der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen am 23. April ihren Vorsprung vor ihren wichtigsten Konkurrenten festigen. Laut jüngsten Umfragen wird sie sich mühelos für die Stichwahl qualifizieren, wahrscheinlich entweder gegen Emmanuel Macron von En Marche oder gegen den rechten Kandidaten der Republikaner (LR), François Fillon.
Genau wie Donald Trump sich trotz weit verbreiteter Ablehnung als durchsetzungsfähiger und letztendlich siegreicher Kandidat erwies, könnte Le Pen die Wahlen von 2017 gewinnen, denn die Wut über ihre Kontrahenten, speziell die Regierung der Sozialistischen Partei (PS), hat explosive Formen angenommen. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Elabe für den Sender BFMTV von Mittwoch ergab, dass sie in der ersten Runde 27 Prozent der Wählerstimmen bekommen würde. Damit läge sie weit vor Fillon (20 Prozent) und Macron (17 Prozent).
Am Mittwoch kündigte François Bayrou, der Präsident der rechten Mouvement Démocrate (MoDem), an, er werde nicht für die Präsidentschaft kandidieren und stattdessen Macron unterstützen. Trotzdem führt Le Pen in den Umfragen weiter. Laut einer Umfrage von Ifop-Fiducial, die nach Bayrous Erklärung durchgeführt wurde, käme Macron nur auf 22 Prozent der Stimmen. Dieselbe Umfrage kam zu dem Ergebnis, dass er die zweite Runde mit 61 Prozent gegenüber 39 Prozent für Le Pen gewinnen würde. Die 39 Prozent für Le Pen sind mehr als das Doppelte der Stimmen, die ihr Vater Jean-Marie Le Pen in den Präsidentschaftswahlen 2002 erreichte. Das war das erste und einzige Mal, dass es der FN in die Stichwahl geschafft hatte.
So wie es im Moment aussieht würde Le Pen die Präsidentschaftswahlen derzeit verlieren, dennoch wächst in den Umfragen ihr Stimmenanteil bei der Stichwahl ständig. Seit der letzten Umfrage ist er um 1,5 bis 2 Prozent gestiegen. Da 53 Prozent der Wähler immer noch unentschieden sind, kann ein Umschwung zugunsten Le Pens in letzter Minute nicht ausgeschlossen werden.
Angesichts der weit verbreiteten Wut gegen die Sparpolitik der PS steigt die Zustimmung für den FN unter Arbeitern stark an: 44 Prozent haben vor, Le Pen zu wählen. Aus dieser Bevölkerungsgruppe wollen für den Kandidaten der Linksfront, Jean-Luc Mélenchon, 17 Prozent, für Macron 15 Prozent, für den Kandidaten der PS, Benoit Hamon, 12 Prozent und für Fillon 7 Prozent stimmen. Laut den Umfragen würden die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) und der Arbeiterkampf (Lute Ouvrière, LO), die 2002 zusammen 10 Prozent der Gesamtstimmen erhielten, nur 3 beziehungsweise 2 Prozent der Arbeiterstimmen bekommen.
Der Aufstieg des FN zu einem ernsthaften Anwärter auf die Macht muss im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der internationalen Nachkriegsordnung gesehen werden, die von den USA dominiert wurde. Großbritannien hat für den Austritt aus der Europäischen Union (EU) gestimmt. Trump trat sein Amt an, nachdem er die Nato als „obsolet“ bezeichnet, seine Sympathie für Russland signalisiert und die EU als Werkzeug Deutschlands angegriffen hatte. Der internationale Rahmen der kapitalistischen Politik Europas ist dabei, sich aufzulösen.
Le Pen wurde Zugang zu den Medien gewährt und sie wird als seriöse Kandidatin behandelt. Der Grund dafür sind tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten in der französischen Finanzaristokratie über die Frage, wie sie jetzt ihre Interessen durchsetzen soll. Die Sozialistische Partei und das Wahlkampfteam von Macron, dem ehemaligen Wirtschaftsminister der PS-Regierung, unterstützen die Kriegshetze der Nato gegen Russland und die Austeritätspolitik der EU, die von Berlin durchgesetzt wird. Sie alle hatten sich im US-Präsidentschaftswahlkampf gegen Trump gestellt.
Der FN spricht jedoch für eine Fraktion, die sich durch den Euro, die deutsche Wiederaufrüstung und die wirtschaftliche Vormachtstellung Deutschlands in der EU bedroht fühlt. Ein Teil dieser Kräfte versucht, Frankreichs traditionelles Bündnis mit Moskau gegen Berlin wiederaufleben zu lassen. Le Pen, deren nationalistische Außenpolitik eine Kopie von Trumps Politik ist, hat dessen Wahlsieg als Beginn einer „neuen Weltordnung“ bejubelt. Auch den Brexit hat sie gelobt und gefordert, Frankreich solle ebenfalls die EU und den Euro verlassen und zur nationalen französischen Währung, dem Franc, zurückkehren.
Sie erklärte: „Der Euro ist das Haupthindernis für die Entwicklung unserer Wirtschaft.“ Sie hat sich zu mehreren Schockmaßnahmen verpflichtet, unter anderem will sie ein europäisches Gipfeltreffen erzwingen, um alle EU-Verträge neu auszuhandeln. Sie hat mehrfach erklärt, dass sie die Währung abwerten will, um die französische Wirtschaft zu beleben. Im Falle des Scheiterns solcher Verhandlungen, werde sie ein Referendum über Frankreichs Austritt aus der europäischen Währung, dem Euro, vorschlagen.
Falls der FN an die Macht kommen sollte, würde er eine aggressive Kriegspolitik und extreme Sozialkürzungen durchsetzen, die den politischen Zerfall des bürgerlichen Europas enorm beschleunigen würden. Sein geplanter Abwertungswettlauf würde sich vor allem gegen Deutschland richten und die Kaufkraft der Arbeiter drastisch verringern. Auch extreme Angriffe auf grundlegende soziale und demokratische Rechte gehören zu seiner erklärten Politik. Dabei könnte sich der FN auf große Sympathie in der Polizei stützen. Diese hat von der PS-Regierung durch den Ausnahmezustand faktisch willkürliche Befugnisse bekommen, damit sie jeglichen Widerstand in der Bevölkerung niederschlagen kann.
Wie die anderen rechtsextremen Parteien überall in Europa will auch der FN eine fremden- und muslimfeindliche Hysterie anheizen, um die Arbeiterklasse zu spalten und eine militaristische Stimmung zu verbreiten. Er hat vor, Einwanderer ohne Papiere auszuweisen, die Einwanderung zu begrenzen und harte Bedingungen für die Erlangung der französischen Staatsbürgerschaft einzuführen. Le Pen droht, die kostenlose Bildung für ausländische Kinder abzuschaffen und erklärt: „Wenn ihr in unser Land kommt, dann erwartet nicht, dass ihr versorgt und gepflegt werdet und eure Kinder umsonst ausgebildet werden, das ist aus und vorbei.“
In der Bevölkerung und vor allem in der Arbeiterklasse gibt es eine starke Opposition gegen das Programm des FN. Die Feindschaft gegenüber Trump liegt in Frankreich bei über 80 Prozent. Daran lässt sich ablesen, wie unbeliebt das rechtsextreme nationalistische Programm des FN ist.
Ein Kolumnist der rechten britischen Wochenzeitung Spectator drückte kürzlich die Befürchtungen der Bourgeoisie angesichts der Opposition aus, die eine FN-Regierung in der Arbeiterklasse auslösen würde. Er schrieb: „Wenn sie Präsidentin werden sollte, wäre Frankreich wirklich mit einer Krise, der schlimmsten des letzten halben Jahrhunderts, konfrontiert. Es würde mit Sicherheit Streiks und gewalttätige Demonstrationen von denjenigen geben, die sich als Verteidiger der Republik gegen den Faschismus sehen. Wie sie eine funktionsfähige Regierung bilden oder eine Mehrheit im Parlament gewinnen könnte, bleibt unklar.“
Die Arbeiterklasse kann die Gefahr, die der FN darstellt, nicht abwenden, indem sie Macron, die PS oder die verschiedenen Anhängsel der PS, die Linksfront, die NPA oder die LO unterstützt. Sie alle haben dem Aufstieg des FN den Weg geebnet. Sie haben die PS verteidigt, als sie versucht hat, sich eine soziale Basis für ihre Austeritäts- und Kriegspolitik und für ihre Angriffe auf demokratische Rechte zu verschaffen. Sie hat den Ausnahmezustand verhängt und immer wieder verlängert und Le Pen in den Elysee-Palast eingeladen, womit sie ihr den Anschein von Respektabilität verlieh.
Noch grundsätzlicher sind die pseudolinken Gruppierungen durch das Scheitern der PS und der kapitalistischen Weltordnung diskreditiert. Macron hat am Freitag in der Finanztageszeitung Les Echos seine Wirtschaftspolitik dargelegt. Er hat drastische Ausgabenkürzungen in Höhe von 60 Milliarden Euro gefordert, darunter 25 Milliarden an öffentlichen Ausgaben und den Abbau von 125.000 Stellen im öffentlichen Dienst. Gleichzeitig hat er Berlin mit „offenen und fordernden“ Verhandlungen gedroht, um vorteilhaftere Bedingungen durchzusetzen.
Es gibt Berichte, die darauf hinweisen, dass in der PS völlige Demoralisierung herrscht und der Gedanke von der Unabwendbarkeit eines Siegs von Le Pen an Boden gewinnt. In einem Artikel vom 16. Februar mit der Überschrift „Warum die PS an den Sieg von le Pen glaubt“ zitiert Le Point Spitzenfunktionäre der PS, darunter auch den Nationalsekretär Jean-Christophe Cambadélis, der erklärt hat: „Die Konstellation der Planeten war noch nie so günstig für Marine Le Pen.“
Er führt zehn Gründe an, warum Le Pen gewinnen könnte, darunter den Brexit, die Wahl von Trump und die Auswirkungen von möglichen neuen Terroranschlägen in Frankreich. Bemerkenswerterweise wird auch als ein Grund angeführt, dass die neo-faschistischen und mit der FN verbündeten und mit ihr sympathisierenden Intellektuellen, wie der Journalist Eric Zemmour und der Schriftsteller Michel Onfray, den „kulturellen Kampf“ der Ideen „gewonnen haben“. Dieser Kommentar von einer der führenden liberalen Publikationen in Frankreich läuft auf eine vernichtende Anklage der herrschenden Klasse gegen sich selbst und ihren eigenen historischen Bankrott hinaus.