Am Mittwoch begannen russische und türkische Kampfflugzeuge koordinierte Luftangriffe gegen Ziele des Islamischen Staates (IS). Die Angriffe haben nicht nur deutlich gemacht, in welcher Krise sich Washingtons Intervention in dem kriegsgeplagten Staat im Nahen Osten befindet. Sie haben auch die Widersprüche innerhalb der Nato offen gelegt, die im Vorfeld von Donald Trumps Amtseinführung als Präsident der USA zunehmen.
Die Luftangriffe richteten sich gegen Ziele in der Gegend der syrischen Stadt al-Bab, wo sich türkische Truppen und IS-Kämpfer in den letzten Wochen blutige Gefechte geliefert hatten.
Politisch gesehen ist die gemeinsame Militäraktion Russlands und der Türkei, die seit 65 Jahren Nato-Mitglied ist, ein Präzedenzfall. Sie steht in deutlichem Widerspruch zu der antirussischen Kampagne, die Washington und seine wichtigsten Nato-Verbündeten gegen Moskau führen. Im Rahmen dieser Kampagne haben sie die Beziehungen zwischen den Streitkräften abgebrochen, Sanktionen verhängt und auf immer provokantere Weise tausende US-amerikanische und Nato-Soldaten an der russischen Westgrenze stationiert. Erst letzte Woche haben die USA 3.000 Soldaten, unterstützt von Panzern und Artillerie, nach Polen geschickt, während weitere hunderte Marinesoldaten nach Norwegen entsandt wurden.
Die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Russland stellt eine weitere Herausforderung für das Bündnis unter Führung der USA dar. Trump hat die europäischen Mitgliedsstaaten bereits mit seinen jüngsten Äußerungen verunsichert, die Nato sei „obsolet“, ihre Mitglieder würden sich „nicht genug um den Terrorismus kümmern“ und „nicht soviel zahlen, wie sie sollen.“
Das russische Verteidigungsministerium erklärte, die Grundlage für den gemeinsamen Luftangriff bilde ein Memorandum, welches das russische und das türkische Militär letzte Woche ausgehandelt hatten.
Das am 12. Januar unterzeichnete Abkommen diene dazu, „Zwischenfälle“ zwischen türkischen und russischen Kampfflugzeugen zu verhindern und „gemeinsame Operationen“ in Syrien vorzubereiten, um „internationale Terrorgruppen zu zerstören“, erklärte der russische Generalleutnant Sergej Rudskoj.
Die Beziehungen zwischen Russland und der Türkei hatten im November 2015 ihren Tiefpunkt erreicht. Damals hatten türkische Kampfflugzeuge ein russisches Kampfflugzeug abgeschossen, das Luftangriffe gegen islamistische Kämpfer nahe der syrisch-türkischen Grenze flog. Dieser Vorfall brachte die Türkei und damit auch die Nato an den Rand eines Kriegs mit der Atommacht Russland. Zu diesem Zeitpunkt war die Türkei die Hauptroute, über die ausländische Kämpfer, Waffen und andere Ressourcen nach Syrien geschleust wurden, die im US-geführten Krieg für einen syrischen Regimewechsel gebraucht wurden. Russland hingegen intervenierte militärisch, um die Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, seinen wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten, zu unterstützen.
Im Juni letzten Jahres bemühte sich Ankara um eine Verbesserung der Beziehungen zu Moskau, nachdem die russische Regierung auf den Flugzeugabschuss mit Wirtschaftssanktionen reagiert hatte. Nach dem gescheiterten Militärputsch im Juli 2016, für den die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan die USA und ihre Verbündeten verantwortlich machte, verbesserten sich die Beziehungen weiter.
Der Wendepunkt der bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Russland zeichnete sich Ende letzten Jahres ab, als die vom Westen finanzierten und mit al-Qaida verbündeten Milizen in ihrer letzten urbanen Hochburg Ost-Aleppo gegen die von Russland unterstützten syrischen Streitkräfte eine Niederlage erlitten. Die Türkei handelte gemeinsam mit Russland den Abzug der letzten „Rebellen“ aus dem Gebiet und einen landesweiten Waffenstillstand aus, der in einem Großteil des Landes noch immer eingehalten wird.
Washington wurde aus den Verhandlungen um Aleppo und den Waffenstillstand bewusst ausgeschlossen. Moskau lud die jetzt vereidigte Trump-Regierung erst im letzten Moment und gegen den Widerstand von Syriens zweitem wichtigem Verbündeten, dem Iran, zu Gesprächen über eine politische Einigung des seit sechs Jahren andauernden Kriegs ein. Diese Verhandlungen sollen nächste Woche in der kasachischen Hauptstadt Astana stattfinden.
Im Vorfeld der gemeinsamen russisch-türkischen Luftangriffe bei al-Bab hatte die türkische Regierung erbittert dagegen protestiert, dass sich das US-Militär geweigert hatte, Ankaras Truppen in dem Gebiet auf ähnliche Weise zu unterstützen. Die Zurückhaltung des Pentagons ist eine Reaktion auf die widersprüchlichen Ziele der Türkei, die letzten August in der sogenannten „Operation Schutzschild Euphrat“ Truppen nach Syrien geschickt hatte.
Die Operation der Erdoğan-Regierung richtete sich vorgeblich gegen den IS, doch in Wirklichkeit war Ankaras Hauptziel die syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und ihr militärischer Flügel, die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Die türkische Regierung betrachtet diese Gruppen als Anhängsel der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die sie seit langem innerhalb der Türkei bekämpft. Die Offensive gegen den IS in al-Bab soll vor allem verhindern, dass die Stadt von den YPG erobert wird und dass sich die östliche und die westliche kurdische Enklave an der türkischen Grenze miteinander vereinen.
Washington hingegen hat die YPG als seine wichtigsten Stellvertretertruppen bei den Angriffen auf den IS benutzt und amerikanische Spezialeinheiten zur Ausbildung, Bewaffnung und Führung dieser kurdischen Kämpfer geschickt.
Der türkische Präsident reagierte auf die Weigerung der USA, die türkischen Truppen um al-Bab durch Luftangriffe zu unterstützen, mit wütender Kritik an Washington. Er warf den USA vor, sie würden „Terroristen“ statt ihren Nato-Verbündeten unterstützen. Ankara begann außerdem, die Genehmigungen für US-Flüge von dem strategisch wichtigen Luftwaffenstützpunkt Incirlik in der Südtürkei zu verzögern, und drohte damit, Washington den Zugang zu dem Stützpunkt gänzlich zu verbieten.
Vermutlich haben diese Drohungen und die türkisch-russische Einigung auf gemeinsame Angriffe das Pentagon dazu bewegt, diese Woche seine Haltung zu ändern und türkische Streitkräfte ebenfalls durch begrenzte Bombenangriffe in der Gegend von al-Bab zu unterstützen.
Die komplexen geostrategischen Konflikte auf dem Schlachtfeld im Nahen Osten werden sich vermutlich noch weiter verschärfen, nachdem Trump ins Weiße Haus eingezogen ist.
Berichten zufolge hat Trump das Pentagon um Vorschläge gebeten, wie man dem IS in Syrien und im Irak innerhalb von 90 Tagen eine entscheidende Niederlage beibringen könnte. General Joseph Dunford vom Marine Corps, der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff, erklärte am Mittwoch, er würde dem ehemaligen General und künftigen Verteidigungsminister James Mattis „Optionen vorlegen, um die Kampagne gegen den IS zu beschleunigen.“
Der Fernsehsender CNN berichtete unter Berufung auf anonyme Vertreter des Pentagon: „Das Verteidigungsministerium ist bereit, der neuen Regierung militärische Optionen zu liefern, wie sich der Krieg gegen den IS in Syrien beschleunigen lässt und zusätzliche US-Truppen in direkte Kampfhandlungen geschickt werden können.“
Laut dem Fernsehsender wäre „eine Option der Einsatz von hunderten oder tausenden zusätzlichen US-Soldaten mit Kampfauftrag im Rahmen der Eroberung von Rakka“, der „Hauptstadt“ des Islamischen Staats. „In den kommenden Monaten könnte das Pentagon mehrere US-Kampfeinheiten in Brigadestärke im Land haben, jede davon mit bis zu 4.000 Soldaten.“, so CNN.
Laut Medienberichten ist außerdem eine Eskalation der militärischen Provokationen gegen den Iran geplant. Mattis erklärte in seiner Anhörung vor dem Senat, der Iran sei die „am stärksten destabilisierende Kraft im Nahen Osten“ und fügte hinzu, die Trump-Regierung müsse „den Iran daran hindern, sein Ziel zu erreichen: die Hegemonialstellung in der Region.“
Trotz Trumps Behauptungen, er wolle die Beziehungen zu Moskau verbessern, deutet alles darauf hin, dass der US-Imperialismus eine weitere Zuspitzung der militärischen Konflikte im Nahen Osten vorbereitet. Es wächst die Gefahr, dass diese Konflikte in einen neuen Weltkrieg münden.