Präsident Obama hat die 35-jährige Gefängnisstrafe Chelsea Mannings verkürzt. Die militärische Analystin hatte tausende Dokumente über amerikanische Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan öffentlich gemacht, Manning kann jetzt am 17. Mai nach Verbüßung von mehr als sieben Jahren ihrer Freiheitsstrafe aus dem Gefängnis entlassen werden.
Der ehemalige Gefreite Bradley Manning wurde 2010 von der Armee verhaftet, nachdem er Millionen Akten des Militärs und des Außenministeriums an WikiLeaks übermittelt hatte. Manning hatte Hunderttausende interne „Erfahrungsberichte“ der Armee kopiert, in denen Erlebnisse amerikanischer Soldaten im Irak und in Afghanistan aufgezeichnet waren. Aus ihnen ging hervor, dass die zivilen Todesopfer wesentlich höher lagen, als offiziell berichtet wurde. Zu diesem Material gehörte auch das Video eines Hubschrauberangriffs auf Zivilisten in Bagdad, bei dem sechzehn Menschen erschossen wurden, darunter zwei Journalisten von Reuters. Wikileaks veröffentlichte das Video im Internet unter dem Titel „Collateral Murder“.
Manning stellte WikiLeaks auch 250.000 diplomatische Depeschen amerikanischer Botschaften in aller Welt zur Verfügung, die Lügen der USA entlarvten und die subversive Tätigkeit gegen ausländische Regierungen offenlegten. Sie enthielten ebenfalls Dossiers über Gefangene in Guantanamo Bay, die deutlich machten, dass die meisten von ihnen keine wesentliche Rolle bei Terroranschlägen gespielt hatten.
Manning betonte immer, dass es ihr Ziel gewesen sei, die amerikanische Öffentlichkeit über die kriminellen Taten des US-Militärs zu informieren, die in ihrem Namen begangen wurden. Sie bekannte sich im August 2013 in 20 von 22 Anklagepunkten für schuldig und wurde zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach dem Prozess gab Manning bekannt, dass sie eine Geschlechtsumwandlung vornehmen wolle und nahm den Namen Chelsea an. Außerdem bat sie um eine Hormontherapie und eine operative Geschlechtsumwandlung, was die Armee mehrfach ablehnte.
Die Strafverfolgung und brutale Behandlung Mannings sind selbst ein Verbrechen, für welches das US-Militär und die Obama-Regierung verantwortlich sind. Die Umwandlung ihres Urteils wirft die offensichtliche Frage auf, warum die Medien und das ganze politische Establishment, inklusive der Obama-Regierung, die Hexenjagd und Verfolgung Julian Assanges, des Gründers von WikiLeaks, und Edward Snowdens, des NSA Whistleblowers, der jetzt im erzwungenen Exil in Russland lebt, fortsetzen.
Im Gegensatz zu Manning, die für ihre mutige Aktion gegen Krieg sieben Jahre im Gefängnis verbracht hat, ist nicht eine einzige Person wegen der Verbrechen verhaftet, angeklagt oder eingesperrt worden, die in dem von WikiLeaks veröffentlichten Material dokumentiert wurden. Von den hochrangigeren Kriegsverbrechern bis hinauf zu George W. Bush und Barack Obama ganz zu schweigen.
Mannings Behandlung seit ihrer Verhaftung sowohl in Militärhaft, wie auch im Gefängnis Leavenworth kann man nur als Folter bezeichnen. Nach ihrer anfänglichen Festnahme wurde Manning fast einundeinhalb Jahre in Einzelhaft und 23 Stunden am Tag in Isolation gehalten. Die meiste Zeit musste sie, angeblich aus Sicherheitsgründen, nackt sein.
Ihre 35-jährige Haftstrafe ist zehnmal so lang, wie jemals eine andere, die gegen einen Bundesbediensteten, zivil oder militärisch, wegen Verrats von Geheiminformationen verhängt wurde. Sie liegt auf einer Linie mit der Unterdrückung von Whistleblowern durch die Obama-Regierung, die mehr Personen unter dem Spionagegesetz angeklagt hat, als alle früheren Regierungen zusammengenommen.
Nach der Verurteilung und der Zumessung des Strafmaßes wurde Manning in ein Männergefängnis überstellt, wo sie mehrfach brutal misshandelt wurde, sowohl wegen ihrer Tätigkeit als Whistleblowerin als auch wegen ihres Status als Transgender. Manning war extremem psychischen und mentalen Stress ausgesetzt, weil die Armee sich konstant weigerte, ihr die notwendigen Operationen zukommen zu lassen, die ihre Geschlechtsumwandlung in eine Frau vollendet hätten. Sie unternahm 2016 zwei Selbstmordversuche.
Vergangenen Freitag sandte der Pressesprecher des Weißen Hauses Josh Earnest ein Signal aus in Richtung eines möglichen Straferlasses. In einem Pressegespräch machte er klar, dass es einen grundlegenden Unterschied zwischen den Fällen von Chelsea Manning und Snowden gebe (mehr als eine Millionen Unterzeichner haben eine Petition unterschrieben, die sich für die volle Rehabilitation des ehemaligen NSA-Mitarbeiters einsetzt, der 2013 das massive illegale Ausspionieren der eigenen Bevölkerung entlarvt hat. Er befindet sich jetzt im Exil in Russland).
Earnest sagte, da Manning in einem rechtsstaatlichen Verfahren verurteilt worden sei und offiziell und formell ein Gnadengesuch eingereicht habe, könne sie auch für einen Gnadenerlass in Betracht gezogen werden. Snowden hingegen habe sich keinem Verfahren gestellt. Er „solle in die Vereinigten Staaten zurückkehren und sich für die ernsten Verbrechen verantworten, derer er beschuldigt wird“, sagte er.
Mehrere Gründe können für Obamas Entscheidung maßgeblich gewesen sein, Manning zu begnadigen. Sicher hat keiner davon mit humanitären Beweggründen angesichts ihrer Misshandlungen im Gefängnis und ihrer Selbstmordversuche zu tun. Allen voran wird der Gnadenerlass zynisch für politische Zwecke genutzt werden, nämlich um das Ansehen der Demokratischen Partei und von Obama persönlich aufzuwerten, besonders unter jungen Leuten, der LGBT-Community und den Gegnern der US-Kriege im Nahen Osten.
Liberale und pseudolinke Apologeten Obamas werden die Begnadigung zu diesem Zweck ausnutzen, obwohl die Maßnahme nur eines der vielen Verbrechen aus der Welt schafft, die die Obama-Regierung begangen hat, und das erst nach sieben Jahren. Zudem bedeutet Mannings Begnadigung anstelle einer vollen Rehabilitierung, dass der Präzedenzfall ihrer Verurteilung und das barbarische Urteil von beinahe lebenslanger Haft gültig bleiben.
Eine andere Sorge im Militär war sicherlich der mögliche Tod Mannings, sei es durch Selbstmord oder die brutale Misshandlung in Leavenworth und der Skandal, den das verursacht hätte. Es gibt in der militärischen Hierarchie auch Unzufriedenheit über die Doppelmoral in der Behandlung hoher Beamten wie zum Beispiel General David Petraeus im Unterschied zu niederen Chargen wie Manning. Petraeus erhielt nicht mehr als eine Abmahnung dafür, dass er mit voller Absicht seiner Geliebten und Biografin hochgeheime Informationen verriet, während einfache Soldaten für wesentlich geringfügigere Verletzungen der Sicherheitsregeln mehrjährige Gefängnisstrafen erhielten.
Es ist bemerkenswert, dass Obama in dem gleichen Dokument, das die Begnadigung Mannings bekanntgab, General James Cartwright, der ehemalige Vize-Generalstabsvorsitzende, rehabilitiert wurde. Dieser hatte sich im Oktober schuldig bekannt, einen Bundesagenten belogen zu haben, der ein Leck im Zusammenhang mit der Cyberattacke auf das iranische Atomprogramm untersuchte.
Die Formulierungen in der Begnadigungsakte scheinen zukünftige juristische Schritte gegen Manning sowohl vor zivilen, wie vor militärischen Gerichten auszuschließen. Die Begnadigung gilt für alle zwanzig Anklagepunkte, deren sie angeklagt und für die sie verurteilt wurde. Weder der kommende Präsident Donald Trump, noch der mehrheitlich republikanische Kongress haben die Macht, die Begnadigung zu widerrufen.
Die Republikaner im Kongress und einige Demokraten haben die Begnadigung als Belohnung für eine „Verräterin“ verurteilt und sagen damit im Grunde, dass Manning bis 2045 hätte im Gefängnis bleiben sollen. Dann wäre sie 57 Jahre alt.
Obama sprach noch einen weiteren politisch umstrittenen Gnadenerlass aus. Er hob die Verurteilung des 74 Jahre alten puerto-ricanischen Nationalisten Oscar Lopez Rivera auf, der seit 1981 im Gefängnis sitzt. Lopez war Mitglied der bewaffneten nationalen Befreiungsstreitkräfte, einer vom Maoismus beeinflussten nationalistischen Gruppe, die in den 1970er und 1980er Jahren in mehreren amerikanischen Städten Bombenanschläge verübte. Sechs Menschen wurden bei diesen Anschlägen getötet. Lopez war aber an keinem dieser Anschläge direkt beteiligt. Alle, die wegen tatsächlicher Morde verurteilt wurden, wurden zwischenzeitlich auf Bewährung oder aus sonstigen Gründen freigelassen.
Lopez lehnte 2001 eine bedingte Begnadigung Präsident Bill Clintons ab und verbrachte weitere sechzehn Jahre im Gefängnis, weil er nicht bereit war, sich vom Kampf für die Unabhängigkeit Puerto Ricas zu distanzieren. Sein Anwalt gab bekannt, dass er die Begnadigung durch Obama annehmen werde.