Gysi wird Chef der Europäischen Linken

Wer verstehen will, warum rechte Parteien in der Lage sind, von der wachsenden sozialen Unzufriedenheit zu profitieren, sollte sich den 5. Kongress der Partei der Europäischen Linken anschauen, der vom 16. bis zum 18. Dezember in Berlin tagte. Der Zusammenschluss von 31 europäischen Linksparteien hat die Verknüpfung linker Phrasen mit rechter Politik in einem Ausmaß entwickelt, das selbst bei unbefangenen Betrachtern Übelkeit auslöst. Es fällt schwer, sich etwas politisch Abstoßenderes vorzustellen.

Zu den Starrednern des Kongresses zählte Alexis Tsipras, der griechische Ministerpräsident. Seine Koalition der Radikalen Linken (Syriza) gehört neben der deutschen und der französischen Linkspartei, der französischen Kommunistischen Partei und der italienischen Rifondazione Comunista zu den bekanntesten Mitgliedern des Bündnisses.

Tsipras, der in Griechenland in einer Koalition mit den extrem rechten, nationalistischen Unabhängigen Griechen regiert, rief dazu auf, „die extreme Rechte in ganz Europa zu blockieren“, wetterte gegen „das drohende Anwachsen eines populistischen Nationalismus“ und erklärte: „Wir, die Europäische Linke, müssen die politische Initiative für eine fortschrittliche Alternative zum Nationalismus und zur extremen Rechten ergreifen“.

Derselbe Tsipras, der im Sommer 2015 die überwältigende Ablehnung des europäischen Spardiktats durch die griechischen Wähler missachtet hatte, verkündete nun in Berlin: „Wir stimmen alle überein, dass die Linke in schwierigen Zeiten, und besonders wenn sie vom Volk mit einem Mandat betraut wurde, nur eine Wahl hat, und mag sie noch so schwierig sein: Sie muss das Mandat erfüllen.“

Und obwohl seine Regierung das Spardiktat der EU seither übertroffen und Griechenland in ein Armenhaus verwandelt hat, erklärte Tsipras: „Die Volksmassen müssen aufwachen und handeln, um dem Europa der Massenarbeitslosigkeit, der explodierenden Armut und Ungleichheit, des Sozialdumpings und der niedrigen öffentlichen Investitionen ein Ende zu setzen. … Griechenland kämpft dafür, die Sparpolitik und die neoliberalen Memoranda der sozialen Ungleichheit und Entbehrung zu beenden.“

Tsipras wäre nicht Tsipras, hätte er am Ende seiner Rede den Gläubigern seines Landes nicht versichert, dass sie weiter auf ihn zählen können: „Griechenland wird seine Ziele programmgemäß erreichen“, sagte er und erinnerte sie daran, dass seine Regierung auch die Drecksarbeit bei der Abwehr von Flüchtlingen mache. Griechenland sei „ein Partner der beim Steuern des großen Migrationsdruck, dem wir alle ausgesetzt sind, in Europa an vorderster Front stehe”, beteuerte er.

Der Kongress wählte, wärmstens empfohlen von Tsipras, Gregor Gysi zum neuen Vorsitzenden der Europäischen Linken. Gysi hatte seine Karriere als Anwalt in der DDR begonnen, wo sein Vater Kulturminister war. Nach dem Fall der Mauer im November 1989 übernahm er die Führung der stalinistischen Staatspartei SED, um die Abwicklung der DDR-Wirtschaft und die Einführung des Kapitalismus mitzugestalten.

Unter Gysis Führung verwandelte sich die SED in die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), die bei allen pseudolinken Phrasen fest auf die Verteidigung des Kapitalismus verpflichtet war. 2007 war er gemeinsam mit dem früheren SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine die treibende Kraft bei der Gründung der Linkspartei, die er bis 2015 als Fraktionsvorsitzender im Bundestag führte.

Dass der 68-Jährige, der bereits mehrere Schlaganfälle hinter sich hat, nun aus dem Ruhestand zurückkehrt, um die Führung der Europäischen Linken zu übernehmen, hängt mit der tiefen Krise der Europäischen Union zusammen, die wegen ihrer Sparpolitik in der Arbeiterklasse zutiefst verhasst ist. Gysi ist wie Tsipras entschlossen, die EU um jeden Preis zu verteidigen.

Er tut dies in der für Die Linke typischen Weise getarnt durch einen Schwall kritischer Phrasen. „Die Europäische Union ist unsozial, unsolidarisch, undemokratisch, ökologisch nicht nachhaltig, intransparent, bürokratisch und versucht nun auch noch, militärisch zu werden“, sagte er dem Linkspartei-Hausorgan Neues Deutschland. „Und obwohl ich sie so kritisiere: Es gibt Gründe, weshalb ich nicht will, dass sie untergeht.“

Als wichtigsten Grund nannte er, „dass die alten Nationalstaaten ökonomisch im Verhältnis zu China und Russland kein Gewicht haben, und auch nicht weltpolitisch“. Hier spricht Gysi ganz als Vertreter der deutschen herrschenden Klasse, für die die strategische Bedeutung der Europäischen Union ebenfalls darin besteht, das internationale Gewicht Deutschlands wirtschaftlich, politisch und militärisch zu erhöhen.

Gysi befürwortet seit langem eine Beteiligung der Linken an der Bundesregierung. Mit der Wahl Donald Trumps zum amerikanischen Präsidenten und den Spannungen mit den USA, die sich aus Trumps „America first“-Politik ergeben, sieht er eine neue Chance, dieses Ziel zu verwirklichen.

Die Europäische Linke soll eingespannt werden, um die Europäische Union unter deutscher Führung in eine politische und militärische Weltmacht zu verwandeln und den Widerstand der Arbeiterklasse dagegen zu unterdrücken. Gysi erhielt allerdings nur 67 Prozent der Delegiertenstimmen, da sich die nationalen Gegensätze auch innerhalb der Europäischen Linken verschärfen. Er hatte aber die volle Unterstützung von Tsipras, der sich vor dem Kongress zu langen Gesprächen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel getroffen hatte.

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