Obwohl Donald Trump sein Amt als US-Präsident erst in einem Monat antritt, verursacht sein nationalistisches Programm unter dem Schlagwort „America first“ bereits jetzt Spannungen mit den europäischen Mächten. Letzte Woche distanzierten sich Vertreter der deutschen und der französischen Regierung offen von seiner Überlegung, die Ein-China-Politik zu beenden, die seit den 1970ern die Grundlage der Beziehungen zwischen den imperialistischen Mächten, Taiwan und China bildet.
Am Mittwoch drohte der Oberbefehlshaber des US Pacific Command, Admiral Harry Harris, China im Südchinesischen Meer militärisch entgegenzutreten. Gleichzeitig erklärte der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault in einem Fernsehinterview mit France2, Trumps Haltung zu China sei inakzeptabel. Weiter erklärte er: „Hüten Sie sich vor China. Es ist ein großes Land. Man kann sich mit China uneinig sein, aber so spricht man nicht mit einem Partner.“
Ayrault warnte, die Abkehr von der Ein-China-Politik könnte katastrophale Folgen haben, weil China darin eine implizite Bedrohung seiner territorialen Integrität sehen könnte. Er erklärte: „Man sollte sich nicht in gefährliche Spiralen hinein ziehen lassen. Es ist nicht sehr intelligent, China das Gefühl zu geben, dass seine Einigkeit in Frage gestellt würde. Wir müssen sehr vorsichtig sein. Hoffentlich wird Trumps neues Team in den kommenden Tagen genug lernen, um eine sehr unsichere Amtszeit mit Gelassenheit und Verantwortung zu überstehen.“
Trumps Aggressivität gegen China ist kein Zufall und auch nicht seiner Unerfahrenheit geschuldet. Sie ergibt sich unweigerlich aus den strategischen Zielsetzungen seines politischen Programms. Seit der Öffnung Chinas für ausländisches Kapital durch das stalinistische Regime im Jahr 1979 hat das wirtschaftliche Gewicht und der Einfluss des Landes stark zugenommen. Trumps Ziel ist es, dieses Wachstum rückgängig zu machen und die Rolle des US-Imperialismus als internationaler Hegemonialmacht trotz des wirtschaftlichen Niedergangs durch einen entscheidenden Showdown mit Peking zu wahren.
Einflussreiche Teile der europäischen Kapitalistenklasse spüren, dass diese Politik zu einem katastrophalen Zusammenstoß zwischen Europa und den USA führen könnte, vor allem wenn Washington die Maßnahmen, mit denen es China droht, auch gegen Europa einsetzen sollte.
Der französische Industrieminister Christophe Sirugue erklärte letzte Woche in der Financial Times, Europa dürfe nicht untätig bleiben, wenn Trump Strafzölle auf europäische Waren verhängt. Europa solle sich auf einen Handelskrieg mit Washington vorbereiten. Er erklärte weiter: „Wenn er die protektionistischen Maßnahmen umsetzt, die er im Wahlkampf versprochen hat, müsste Europa darauf reagieren… Es gibt fiskalische Mittel, es gibt regulatorische Mittel, es gibt eine ganze Reihe von Reformen, die wir [gegen die USA] einsetzen können.“
Die Äußerungen von Ayrault und Sirugue drücken nicht nur die Ansichten der französischen Sozialistischen Partei (PS) aus, die allen Erwartungen nach bei der Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr die Macht verlieren wird. Am letzten Montag, direkt nachdem Trump die Ein-China-Politik in Frage gestellt hatte, erklärte die Bundeskanzlerin Angela Merkel, die führende europäische Wirtschaftsmacht Deutschland werde sich nicht an Trumps Politik anpassen. Sie erklärte: „Wir stehen nach wie vor zur Ein-China-Politik und werden jetzt unsere Haltung nicht ändern.“
Auch in der Presse wurde Trumps Politik attackiert. Die französische Tageszeitung Le Monde schrieb über Trumps Politik gegenüber China und seine Äußerungen über eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland: „Diese radikalen Veränderungen werden bedeutende praktische Folgen für Sicherheit, Handel und Wirtschaft in Europa haben. Was werden die Folgen der unvermeidlich entstehenden Spannungen zwischen China und den USA für westliche Unternehmen sein?… Die amerikanischen Wähler haben Trump gewählt. Der Rest der Welt wurde nicht gefragt. Aber das ist nun einmal der Präsident, mit dem man zusammenarbeiten muss. Schnallt euch an.“
Die Deutsche Welle bezeichnete Trumps Offensive als „gefährliche Fehleinschätzung“. Er beginne ein Spiel, bei dem niemand gewinnt. Die USA und die Volksrepublik China würden aufgrund ihrer gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit beide stark unter einer Verschlechterung ihrer Beziehungen leiden, und noch mehr unter einem Handelskrieg. Da es bereits genug ungelöste Krisen auf der Welt gäbe, sei es völlig unverständlich, warum Trump noch weitere Krisen schüre.
Solche Äußerungen sind Ausdruck der zunehmenden Erkenntnis der europäischen herrschenden Kreise, dass die „America first“-Politik einen verheerenden Handelskrieg oder sogar einen schrecklichen Weltkrieg auslösen könnte. Im Wahlkampf hatte Trump Zweifel an der Überlebensfähigkeit des Nato-Bündnisses zwischen den USA, Kanada und den europäischen Mächten geäußert. Das bedeutet, dass entscheidende politische Institutionen des Weltkapitalismus am Rande des Zusammenbruchs stehen.
Nach der Auflösung der UdSSR durch die Sowjetbürokratie vor einem Vierteljahrhundert hat die Nato ihren gemeinsamen Gegner verloren. Seither haben sich die Widersprüche zwischen den Nato-Mächten deutlich verschärft. Im Jahr 2003 lehnten Frankreich und Deutschland den völkerrechtswidrigen Einmarsch der USA im Irak ab und forderten eine „multipolare“ Welt.
In den Jahren bis zum Wall-Street-Crash von 2008 gaben sie diese Position wieder auf. Danach unterstützten sie Washington bei einer ganzen Reihe von neuen Kriegen, u.a. in Libyen, Syrien und Mali, doch die tieferen Konflikte zwischen den Großmächten haben sich weiter verschärft.
Vor kurzem wies die Denkfabrik European Council on Foreign Relations in einer Mitteilung über China auf die zunehmende strategische Unsicherheit der amerikanisch-europäischen Beziehungen hin: „Europa ist für die USA noch immer von Bedeutung, aber in Bezug auf Sicherheitsfragen tut es weniger für sich als Asien. In den letzten Jahrzehnten hat es den USA die schweren Arbeiten überlassen. Es hat keine einheitliche Außen- und Sicherheitspolitik und fürchterliche Beziehungen mit den beiden Regionalmächten Russland und Türkei. In diesem Kontext wäre es für Trumps USA wertvoller, statt mit Europa ein Bündnis mit Russland, Indien und Japan zu schließen, um Chinas Ambitionen zu bremsen.“
Als der imperialistische Kriegskurs gegen Russland im Jahr 2014 in Hinblick auf Syrien, die Ukraine und den amerikanischen „Pivot to Asia“ eskalierte, verstärkten sich die wirtschaftlichen Spannungen zwischen Washington und der Europäischen Union. Während die europäische Wirtschaft durch die Sparmaßnahmen der EU und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland erstickt wurde, widersetzten sich die EU-Mächte Washingtons Forderung, sich nicht an der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) zu beteiligen.
Die Euroländer wollen eine möglichst gute Position, wenn Peking im Rahmen seines „One Belt, One Road“-Plans Investitionen und Aufträge verteilt. Dieser Plan sieht vor, dass China in den nächsten zehn Jahren eine Billion Dollar, bzw. insgesamt drei Billionen Dollar ausgibt, um Häfen, Bahnstrecken, Straßen und industrielle Infrastruktur auf der ganzen eurasischen Landmasse aufzubauen. Laut einer Schätzung des Magazins Fortune belaufen sich diese Investitionen inflationsbereinigt auf das zwölffache der Summe des amerikanischen Marshallplans, mit dem Europa nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut wurde.
Die Aussicht auf einen großen Handelskonflikt zwischen den USA und China stellt die europäische Bourgeoisie vor ein unlösbares Dilemma. China hat im letzten Jahr Waren im Wert von 482 Milliarden Dollar in die USA verkauft, und im Wert von 350 Milliarden Euro in die EU. Daher ist klar, dass ein Handelskonflikt katastrophale Folgen haben wird.
Einerseits könnte sie sich Trumps Initiativen unterwerfen und Washington dabei helfen, China zu isolieren und abzuwürgen. Das könnte allerdings immense Kosten für Europas ohnehin schon erstarrte Wirtschaft bedeuten. Der Zugang zu chinesischen Investitionen wäre blockiert und amerikanische Regulierungsbehörden hätten die Autorität über alle gemeinsamen EU-chinesischen Projekte, die fortgesetzt würden. Amerikanische Regulierungsbehörden haben bereits zahlreiche derartige Operationen aus Gründen der nationalen Sicherheit blockiert, zuletzt das Übernahmeangebot des Fujian Grand Chip Investment Fund für den deutschen Maschinenbauer Aixtron.
Einige europäische Regierungsvertreter rechnen mit einem solchen Szenario und fordern Handelskriegsmaßnahmen gegen China. Ulrich Ackermann vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau erklärte, wenn Trump Strafzölle gegen China verhängt, könnte das zu massiven Verstärkungen der Handelsströme nach Europa führen. Chinesische Firmen würden sich nach anderen Märkten umsehen, und ihre Aufmerksamkeit würde sich mit Sicherheit auf Europa richten. Dieses müsste dann in der Lage sein, seine Märkte zu schützen.
Andererseits könnten die europäischen Großmächte versuchen, eine Konfrontation zwischen den USA und China zu verhindern. Doch während das Pentagon seine Präsenz im Pazifik erhöht, könnte dies einen militärischen Zusammenstoß mit US-Truppen auslösen, auf den die europäischen Mächte noch immer unvorbereitet wären, obwohl sie ihre Verteidigungshaushalte gegen den Willen der Bevölkerung um mehrere Milliarden Euro erhöhen.
Beide Möglichkeiten oder Versuche, zwischen beiden zu lancieren, würden die Beziehungen zwischen den europäischen Staaten zutiefst destabilisieren und die Klassenspannungen in Europa verschärfen. Bereits die Entscheidung Großbritanniens zum Austritt aus der EU hat sie in eine tiefe Krise gestürzt.