Westliche Politiker und Medien werden nicht müde, die syrische Regierung und Russland eines „regelrechten Massakers“ in Ostaleppo zu beschuldigen.
Der amerikanische Außenminister John Kerry prangerte den syrischen Präsidenten Bashar Al-Assad auch dann noch an, als bereits lange Kolonnen grüner Busse aus Ostaleppo herausfuhren. Sie brachten die letzten islamistischen „Rebellen“ in Sicherheit, die dort mit Unterstützung der Westmächte gekämpft hatten.
Auf einer Pressekonferenz im Außenministerium schimpfte Kerry, für die Lage in der nordsyrischen Stadt gebe es keine Rechtfertigung. Die Schuld dafür schob er auch den syrischen Verbündeten Russland und Iran in die Schuhe.
Kerrys Schuldzuweisungen sind Ausdruck der wachsenden Wut und Verzweiflung, die sich der herrschenden Kreise in den Vereinigten Staaten und Washingtons Militär- und Geheimdienstapparat bemächtigt. Sie stehen jetzt vor dem Scherbenhaufen ihrer fünfjährigen Regimewechseloperation in Syrien. Da die Al-Qaida-freundlichen Milizen aus Aleppo vertrieben sind, haben die Vereinigten Staaten ihren letzten Stützpunkt in dieser bedeutenden Großstadtregion verloren. Damit haben sich die Aussichten, dass diese Stellvertretertruppen Assad stürzen könnten, praktisch in Luft aufgelöst.
Kerry blieb nichts weiter übrig, als eine „Einstellung der Feindseligkeiten“ in Aleppo zu fordern. Ein von Russland und der Türkei vermittelter Waffenstillstand schien zu halten, und sowohl die „Rebellen“ als auch Zivilisten wurden vereinbarungsgemäß evakuiert. Washington war offenbar nicht einmal darüber informiert, geschweige denn in die Operation einbezogen worden.
Kerry verkündete: „Der Fall von Aleppo, wenn er denn eintreten sollte, wird den Krieg nicht beenden; dieser wird weiter gehen.“ Diese Erklärung kam einer Drohung gleich: Die CIA könnte die Erlaubnis erhalten, noch mehr Waffen an „irreguläre Truppen“ in Syrien zu liefern. Die Obama-Regierung hat kürzlich das amerikanische Waffenexportkontrollgesetz ausgesetzt, um genau das zu ermöglichen. Aber auch wenn die „Rebellen“ diese Waffen bekommen, ist schwer erkennbar, wie sie eine neue Offensive starten könnten.
Das Zetergeschrei, das die USA über die Methoden der syrischen Regierung und ihrer Verbündeten anstimmen, trieft vor Heuchelei. Dies wird umso klarer, wenn man die brutale Belagerung der Stadt Mossul betrachtet. Diese Belagerung ist mindestens genauso schlimm und sie geht vom Pentagon aus. In Mossul, der zweitgrößten Stadt des Irak, betrifft sie eine wesentlich größere Einwohnerschaft. In der Metropolregion Mossul leben noch bis zu anderthalb Millionen Menschen, seitdem die irakische Armee die Stadt im Juni 2014 an den IS auslieferte.
Die Offensive gegen Mossul dauert nun schon fast zwei Monate. Die Lage der Einwohner wird immer prekärer und die Zahl der zivilen Opfer nimmt ständig zu.
Sporadische Berichte der Regionalmedien liefern nur flüchtige Blicke auf das Blutbad in Mossul. Wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtet, hat ein Drohnenangriff am 13. Dezember im Mossuler Stadtteil al-Falah eine komplette Großfamilie ausgelöscht. „Neun Familienmitglieder wurden bei dem Angriff getötet“, sagte ein irakischer Polizeivertreter der Nachrichtenagentur.
The New Arab (Al-Araby Al-Jadeed) berichtete am 15. Dezember: „Mindestens vierzig Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, wurden durch Luftangriffe und Artilleriebeschuss im Osten der IS-Hochburg Mossul getötet, und Dutzende weitere verletzt. Das haben lokale Quellen und medizinische Helfer berichtet. Die Zivilisten wurden Mittwoch früh getötet. Viele Verletzte sind noch unter den Trümmern verschüttet“.
Vergleichbare Berichte über das Leid in Aleppo werden in den westlichen Medien pausenlos wiederholt und mit wüsten Beschimpfungen Syriens und Russlands versehen. Berichte über die Schlächterei in Mossul werden dagegen praktisch ausgeblendet.
Die wenigen Meldungen, die es darüber gibt, konzentrieren sich darauf, dass die Bevölkerung von Mossul vom IS terrorisiert werde. Dadurch würden die Zivilisten daran gehindert, die belagerten Stadtviertel zu verlassen, und als „menschliche Schutzschilde“ missbraucht. Es ist die gleiche brutale Taktik, wie sie die vom Westen unterstützten „Rebellen“ einsetzten, als sie die Zivilbevölkerung in Aleppo terrorisierten. Für deren Schicksal wird aber einzig und allein die syrische Regierung verantwortlich gemacht.
Generalleutnant Stephen Townsend, der Oberkommandierende der US-Truppen im Irak, schätzte Anfang der Woche, dass die US-freundlichen Soldaten seit Beginn der Offensive am 17. Oktober schon „mehr als zweitausend IS-Kämpfer getötet oder schwer verwundet“ hätten. Das sagte Townsend auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit US-Verteidigungsminister Ashton Carter auf dem Luftwaffenstützpunkt Qayara Airbase.
Über die Zahl getöteter Zivilisten machte er keinerlei Angaben, aber angesichts der Taktik, die in Mossul zum Einsatz kommt, ist es unvermeidlich, dass weit mehr Zivilisten als IS-Kämpfer getötet werden. Die Taktik besteht darin, dass Special Forces, die in die Stadt eindringen, in den dicht bewohnten Stadtteilen regelmäßig Luft- und Artillerieunterstützung gegen Häuser anfordern, in denen sie IS-Kämpfer vermuten.
Wie das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Einsätze berichtete, wurden allein in der Woche vom 4. bis 11. Dezember 685 Zivilisten bei Kämpfen verletzt. Die Zahl deckt nur einen Teil der Opfer ab, weil die Verletzten in Bezirken, die noch unter Kontrolle des IS sind, nicht mitgezählt werden.
Ärzte und Pflegepersonal arbeiten in der Stadt unter unmöglichen Bedingungen. Sie haben keine Medikamente, kein sauberes Verbandsmaterial und nicht einmal Wasser und Strom, da diese fast überall in der Stadt durch Luftangriffe unterbrochen sind.
Wie die Regierung berichtet, sind hunderttausend Menschen durch die Belagerung obdachlos geworden, darunter mindestens 35 000 Kinder. Es werden Vorkehrungen getroffen, um letztlich eine halbe Million Menschen aus der Stadt zu vertreiben.
Inzwischen hat der Winter Einzug in Mossul gehalten und die Temperaturen fallen unter null. Die Bevölkerung hat kein Heizmaterial und keinen Strom mehr für Licht und Wärme und sehr viele Flüchtlinge leben in Zelten. Nahrungsmittel gehen zur Neige und die Preise steigen. Am Ende könnten Hunger, Kälte und Krankheiten unter den Menschen mehr Opfer fordern als Bomben und Granaten.
Die Belagerung wird von amerikanischen und alliierten Luftangriffen und einer Armee von zehntausend US- und Nato-Soldaten sowie Söldnern getragen. Aber trotz der barbarischen Bedingungen spricht im Westen niemand über „Kriegsverbrechen“ oder fordert gar, wie in Aleppo, einen Waffenstillstand.
Die brutale Belagerung von Mossul dient der Sicherung der Interessen und der Vorherrschaft der amerikanischen und alliierten Imperialisten. In Aleppo dagegen droht denselben Imperialisten ein herber Rückschlag. In Syrien haben sie die mit al-Qaida verbündeten Stellvertretertruppen selbst eingesetzt, und die CIA hat sie bewaffnet. Dieser Versuch ist gescheitert.
Das erklärt, warum die Medien zwei menschliche Katastrophen, die gerade mal fünfhundert Kilometer voneinander entfernt stattfinden, so unterschiedlich darstellen.
Seit dem Sommer 2014, als die Intervention im Irak und in Syrien begann, sind nach Schätzungen der Londoner Beobachtergruppe Airwars mindestens 2013 Zivilisten durch Luftschläge Washingtons getötet worden. Die wirkliche Zahl wird allerdings als wesentlich höher eingeschätzt. Im Pentagon hat man indessen bisher erst den Tod von 173 Zivilisten eingeräumt – in einem Bombenkrieg, in dem schon über 16 500 Angriffe geflogen wurden.