Rhein-Main-Airport: Demonstration der Lufthansa-Piloten

„Glauben Sie mir: den Glamour-Faktor, den gibt es heute nicht mehr. Das hat sich alles enorm verändert“, sagt Christopher Heim, Flugkapitän bei der Lufthansa, am 30. November zu den Journalisten. An diesem eiskalten Novembermorgen, dem Tag Sieben des aktuellen Pilotenstreiks, versammeln sich hunderte streikende Lufthansa-Piloten vor dem Tor 21 am Rhein-Main-Flughafen Frankfurt.

In ihrem vierzehnten Streik seit 2014 haben die Piloten eine Gehaltsforderung von jährlich 3,66 Prozent aufgestellt, denn seit Anfang 2012 haben sie keine Gehaltserhöhung bekommen. Es geht aber im Grunde um weit mehr: Die Piloten wehren sich gegen einen Generalangriff des Lufthansa-Vorstands unter Carsten Spohr auf die Vergütungen, die Arbeitsbedingungen und alle sozialen Errungenschaften.

In den letzten fünf Jahren habe sich sehr viel verändert, erklärt Christopher Heim (der in der Konzern-Tarifkommission mitarbeitet). Das betreffe vor allem die jungen Piloten: „Früher kriegten die Lufthansa-Anwärter ein Darlehen vom Konzern für ihre Ausbildung. Jetzt wird alles umgestellt: Die Schule trägt zwar noch immer den Namen Lufthansa, operiert aber völlig autark. Die jungen Kolleginnen und Kollegen, die dort ausgebildet werden, müssen ein Darlehen von ungefähr hunderttausend Euro mitbringen, natürlich über eine Bank, wenn nicht ihre Eltern das Haus belasten wollen und können. Dann wird von Lufthansa geschaut: Wen möchten wir denn am Schluss übernehmen? Da wird die Wahl auf jene fallen, die immer freundlich sind, die logischerweise weder mit einer Gewerkschaft zusammenarbeiten noch ihre Meinung zu laut sagen. Die werden dann übernommen.“

„Und wenn sie Glück haben“, fährt Heim fort, „dann werden sie sogar von der Lufthansa-Mutter angestellt und bekommen tatsächlich ein vernünftiges Gehalt, das stimmt. Unser Management will das aber ändern und geht entschlossen in Richtung Eurowings [der Lufthansa-Billigtochter, bei der die Gehälter um etwa vierzig Prozent niedriger liegen]. Man droht den Kollegen mit Entlassung und setzt sie unter Druck: Akzeptiert diese Bedingungen, oder ihr habt keine Arbeit. Und wem eine Bank im Nacken sitzt, die ihre Raten verlangt, der wird alles akzeptieren. Wir haben Nachwuchsflugzeugführer, die im Moment auf der Straße stehen und teilweise seit fünf Jahren ohne Beschäftigung sind.“

„Ich fliege seit dreißig Jahren“, setzt Heim noch hinzu. „Und ich liebe diesen Beruf, hätte keinen anderen ergreifen wollen. Wer jedoch heute noch denkt, die Piloten führten ein tolles Leben, der müsste mal mit nach New York fliegen, in die Zeitzone minus sechs Stunden, und dort in nur 24 Stunden versuchen, zu schlafen, um anschließend sicher wieder nach Hause zu fliegen.“

Wenig später ziehen die Piloten in einer kilometerlangen Demonstration zur Konzernzentrale der Lufthansa. Zu ihnen gesellen sich andere Lufthansa-Mitarbeiter, Stewardessen und Bodendienste. Auf einem Plakat heißt es: „Wir sind solidarisch mit unsern Piloten.“ Anne, eine Flugbegleiterin, sagt kurz und knapp: „Meiner Meinung nach kennt Solidarität keine Gehaltsklassen.“

Obwohl viele Medien an diesem Tag vor Ort am Flughafen sind, rücken die Nachrichtensendungen eine andere, ebenfalls für diesen Mittwoch angekündigte Demonstration wesentlich stärker ins Zentrum ihrer Berichterstattung. In Übereinstimmung mit der Geschäftsleitung hat der kleine Berufsverband „Vereinigung Boden“ zu einer Gegendemonstration gegen den Streik aufgerufen. So steht ein versprengter Trupp Protestierender an der Straße, die die Piloten auf ihrem Weg zur Lufthansa-Zentrale passieren, und fordert auf Schildern: „Schluss mit dem Streik, Schlichtung jetzt.“

Laut der Website Airliners.de sollen dieser Streikbrecheraktion im Lufthansa-Betriebsrat Boden nur neun von 34 Mitgliedern zugestimmt haben. Zum Boden-Bereich gehören Cargo, Technik und LSG (Service und Catering). Die DGB-Gewerkschaft Verdi hat sich im letzten Moment öffentlich davon distanziert.

Viele Flughafen-Arbeiter reagieren spontan mit Abscheu auf diesen Aufruf zum Streikbruch, der anonym im Namen der „Boden-Mitarbeiter“ an die Presse verschickt und von dieser eifrig verbreitet wurde.

„Die Piloten verdienen zwar viel, aber ihr Kampf ist zu bewundern“, sagt uns Sadir von der Frima Handling Counts, einer hundertprozentigen Tochter von Lufthansa-Cargo. Die Vorfeldlotsen von Fraport AG fühlen sich ihrerseits an ihren eigenen Streik von 2012 erinnert. Damals waren es die Verdi-Betriebsräte, die sich auf die Seite des Fraport-Konzerns und gegen die Arbeiter gestellt hatten. Ein Lotse sagt: „Um uns platt zu machen, haben die Medien und auch die Verdi-Betriebsräte damals mit dem Arbeitgeber, den Wirtschaftsbossen und den Richtern gemeinsame Sache gemacht.“

Der Streik der Piloten ist Teil eines umfassenden Kampfs der Lufthansa-Beschäftigten gegen die Angriffe des Konzerns. Der anonyme Aufruf zum Streikbruch, der dazu auffordert, „den notwendigen Konzernumbau im Sinne aller Lufthanseaten konstruktiv … zu begleiten“, und „Tarifforderungen … den realen Marktbedingungen“ anzupassen, isoliert damit nicht nur die streikenden Piloten, sondern er liefert auch die Arbeiter der Bodendienste ans Messer.

Der Konzernvorstand will allein bei Lufthansa-Cargo 800 Stellen abbauen. Die geplanten Einsparungen von jährlich vierzig Millionen nach dem Programm C40 wurden bereits auf jährliche achtzig Million verdoppelt. Davon sollen 55 Millionen bei den internen Personalkosten und 25 Millionen bei den Dienstleisterkosten eingespart werden. Bei der LSG sollen 1700 von 5500 Stellen gestrichen werden, obwohl ein Beschäftigungsgarantie-Vertrag noch bis 2020 laufen müsste. Die Gewerkschaft Verdi hat diesen Vertrag mit so genannten „freiwilligen“ Lohnverzicht-Elementen den Arbeitern aufs Auge gedrückt.

Auch bei Lufthansa-Technik sollen in Übereinstimmung mit Verdi und Betriebsrat 1300 Stellen abgebaut werden. Die Lufthansa-Techniker haben erst letzte Woche in Hamburg gegen Lohndumping demonstriert. Davor wurde schon der „Tarifvertrag Schutz“ aufgekündigt, der seit 36 Jahren langjährigen Lufthansa-Mitarbeitern einen gewissen Schutz vor Entlassungen bot.

Die Berichterstattung über die Piloten-Demonstration war an Demagogie kaum zu überbieten. An der Spitze stand – wie so oft – das Hetzblatt Bild, das titelte: „Piloten-Demo bei Lufthansa – Hier streiken die Gier-Piloten. Statt zu fliegen, demonstrierten die Piloten heute am Frankfurter Flughafen.“ Die Piloten seien wild entschlossen, wenn es darum gehe, mit Streiks die Reputation der größten europäischen Fluggesellschaft zu zerstören, schreibt Bild.

Die WSWS trat dieser Hetze entgegen. Sie verbreitete auf der Demonstration und an Passanten einen Aufruf zur Unterstützung des Streiks.

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