Wenige Tage vor der Bundespräsidentenwahl in Österreich hat die Sozialdemokratische Partei (SPÖ) den Weg für eine Zusammenarbeit mit der rechtsradikalen Freiheitlichen Partei (FPÖ) frei gemacht. Die Gefahr, dass nach dem Urnengang vom 4. Dezember erstmals in der Nachkriegsgeschichte eine rechtsextreme Partei das Staatsoberhaupt in Wien stellt, ist damit erheblich gewachsen.
Zur Stichwahl treten der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer und der ehemalige Grünen-Vorsitzende Alexander Van der Bellen an. Van der Bellen hatte die Stichwahl bereits im Mai mit 50,3 zu 47,7 Prozent gewonnen. Hofer hatte die Wahl aber wegen Regelverstößen erfolgreich angefochten. Ein weiterer Termin wurde wegen nicht klebender Briefwahlumschläge verschoben, so dass sich der Wahlkampf nun schon ein Dreivierteljahr hinzieht.
Die meisten Umfragen sehen Hofer leicht vorne. Ein Wahlerfolg des FPÖ-Politikers wird allgemein als Auftakt zu grundlegenden Veränderungen der Machtverhältnisse in der Alpenrepublik gesehen. Verlässlich Prognosen gibt es aber nicht.
Im Umfragen liegt die FPÖ auch vor der SPÖ und der konservativen Volkspartei (ÖVP), die das Land in einer Großen Koalition regieren und deren Präsidentschaftskandidaten bereits in der ersten Wahlrunde ausschieden. Wären am Sonntag Parlamentswahlen, würde die FPÖ mit über 30 Prozent stärkste Kraft. Die SPÖ reagiert darauf, indem sie weiter nach rechts rückt und eine Zusammenarbeit mit der FPÖ anstrebt.
Der Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern hat öffentlich erklärt, die SPÖ sehe eine „Gesprächsebene mit der Parteiführung“ der FPÖ. Auf eine mögliche Regierungsbildung mit der FPÖ angesprochen, sagte Kern im ORF, er respektiere FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache und erkenne an, dass es diesem „darum geht, Österreich voranzubringen“. Zuvor hatte die SPÖ eine Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene jahrzehntelang ausgeschlossen.
Vor allem der rechte Gewerkschaftsflügel reagierte begeistert auf die Annäherung. Die Gespräche seien eine Abkehr von der „Ausgrenzungspolitik der Vergangenheit“ und ein Zeichen an die SPÖ-Basis, sagte der Vorsitzende der Baugewerkschafter Josef Muchitsch. Die SPÖ-Landeschefin von Tirol, Elisabeth Blanik, äußerte ihre „Bewunderung“ für die neue Sachlichkeit im Umgang mit der FPÖ und Strache.
Der notorisch rechte burgenländische SPÖ-Ministerpräsident Hans Niessl forderte unverhohlen, bei nächster Gelegenheit eine Regierungskoalition mit der FPÖ auf Bundesebene zu bilden. Eine solche könne nun neu bewertet werden, sagte Niessl, der im Burgenland bereits im Bündnis mit der FPÖ regiert und einen extrem rechten Kurs verfolgt. „Es ist nicht mehr zu unterscheiden, ob ein Vorschlag von der SPÖ oder von der FPÖ kommt“, bemerkte dazu Regina Petrik, Fraktionsvorsitzende der Grünen im burgenländischen Landtag.
Andere SPÖ-Politiker äußerten sich ähnlich. Der Kärntner SPÖ-Chef Peter Kaiser sagte im ORF-Radio, der neue Weg signalisiere eine „Kultur der Auseinandersetzung“, die das Zuhören und Zuschauen „im positiven Sinne spannend und erträglich“ mache.
Vergangene Woche traten Kern und Strache unter dem Motto „Rot-Blau – eine Versuchung?“gemeinsam in der Ö1-Sendung „Klartext“ auf. Die politische Übereinstimmung beider Parteien war dabei so groß, dass selbst die meisten Medien das Wort „Duell“ in Anführungszeichen setzten.
Strache berichtete, er habe in den sechs Monaten, in denen Kern Bundeskanzler ist, öfter mit ihm gesprochen als mit seinem Vorgänger Werner Faymann in siebeneinhalb Jahren. Die Annäherung der SPÖ an die FPÖ kommt nach Ansicht von Beobachtern dem Präsidentschaftskandidaten der FPÖ zugute. Politberater Thomas Hofer sagte dem ORF, das sei nun „ein Problem für Alexander Van der Bellen“.
Vergangene Woche tagte auch erstmals eine interne Arbeitsgruppe der SPÖ, die einen Kriterienkatalog aufstellen soll, den die FPÖ im Falle einer Koalition erfüllen müsse. Politisch trennt beide Parteien kaum noch etwas. In Fragen der Flüchtlingspolitik hat Kern die Standpunkte der FPÖ weitgehend übernommen. „Ich bin klar dafür, die Zuwanderung zu begrenzen“, bemerkte er jüngst gegenüber der Kleinen Zeitung. Hier übernahm er auch den seit Langem von der FPÖ geforderten Vorschlag, Flüchtlinge zu verpflichtender gemeinnütziger Arbeit heranzuziehen. „Das sieht unser Modell vor“, sagte Kern dazu.
Gleichzeitig steht Kern für radikale soziale Angriffe. Das zeigt die gegenwärtige Diskussion um die Mindestsicherung, also Sozialhilfeleistungen. Die Regierung zwingt hier nun die Länder dazu, den Bezug auf maximal 1500 Euro pro Person zu begrenzen. Bislang konnten die Länder auch höhere Beträge auszahlen. Für Asylberechtigte sollen es nur 520 Euro sein.
In Niederösterreich, wo eine Koalition von ÖVP und SPÖ regiert, wurde darüber hinaus beschlossen, dass nur die volle Mindestsicherung erhält, wer sich mehr als fünf Jahre in Österreich aufhält. Außerdem sollen Leistungsbezieher in Niederösterreich künftig gemeinnützige Tätigkeiten verrichten müssen.
Die Bundesregierung arbeitet gegenwärtig an einem Arbeitsprogramm mit mehreren Punkten, die auch von der FPÖ stammen könnten, darunter verstärkte Schubhaft für Asylsuchende, Einsatz von Milizen im Inneren und Reform der Gesundheitsversorgung.
Der Grüne Van der Bellen hat dieser Politik nichts entgegenzusetzen, er vertritt weitgehend dasselbe. Die Gespräche von Kern und Strache kommentierte er wohlwollend. In den letzten Wochen wurde immer deutlicher, dass mit Ausnahme der Haltung zur Europäischen Union kaum Differenzen zwischen Hofer und ihm bestehen.
In einem Interview mit dem Kurier bekräftigte Van der Bellen indirekt die Forderung von SPÖ und FPÖ nach einer Obergrenze für Flüchtlinge. „Noch ist die Obergrenze nicht erreicht. Grundsätzlich ist wichtig, dass wir zwischen Schutzsuchenden und Arbeitsmigranten unterscheiden. Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen, haben wegen der Rekordarbeitslosigkeit keine Chance auf Aufnahme“, sagte er. Er tritt auch für eine stärkere Militarisierung Europas ein. „Stärkung der gemeinsamen Außenpolitik in Europa ist Gebot der Stunde“, erklärte er im Kurier.
Während Van der Bellen bereits seit seinem Einzug in die Stichwahl Unterstützung vom rechten Flügel der der ÖVP bis hin zu pseudolinken Gruppierungen erhielt, wächst wenige Tage vor dem entscheidenden Wahlgang auch die Unterstützung für Hofer aus anderen Parteien. ÖVP-Fraktionschef Reinhold Loptaka erklärte der Kronen-Zeitung, für ihn sei Hofer eindeutig der „bessere Kandidat“. Er habe „als Dritter Nationalratspräsident gezeigt, dass er für ein hohes Amt geeignet ist“.
Auch der steirische Ministerpräsident Hermann Schützenhöfer (ÖVP) fordert von seiner Partei Ähnliches. Er bezeichnete die Annäherung von SPÖ und FPÖ als „strategisch guten Schachzug von Christian Kern“. Die ÖVP müsse nun aber aufpassen, „nicht zum Zuschauer degradiert zu werden“. Der Unternehmer Norbert van Handel (ÖVP) hat die Initiative „Christen für Norbert Hofer“ gegründet.