Proteste gegen Abschiebungen nach Afghanistan

„Afghanistan Is Not Safe – Stop Deportations!” Unter diesem Motto haben mehr als 500 Menschen am vergangenen Samstag, dem 18. November, in der Frankfurter Innenstadt gegen die drohenden Abschiebungen von Flüchtlingen nach Afghanistan protestiert.

Plakate mit Aufschriften wie „Wir sind auch Menschen, in Afghanistan droht uns der Tod“ und „Das Auswärtige Amt warnt: In ganz Afghanistan besteht ein großes Risiko, Opfer von Entführung oder Gewaltverbrechen zu werden“ sollten auf die Situation in Afghanistan aufmerksam machen.

Stefan hielt ein selbstgemaltes Schild mit der Aufschrift „Abschiebung in Krieg? Schäm Dich, Frau Merkel“ hoch. Er sei „über die Haltung der Bundesregierung sehr ärgerlich“, sagte er der WSWS. „Sie haben ein Rückführungsabkommen mit Afghanistan abgeschlossen und wollen tatsächlich Leute in dieses Bürgerkriegsgebiet zurückschicken, das finde ich äußerst unmenschlich.“

Seit Anfang Oktober finden bundesweit und unter Beteiligung verschiedener Flüchtlingsorganisationen Kundgebungen und Proteste gegen die geplanten Abschiebungen statt, so in Hamburg, Düsseldorf, Stuttgart, Tübingen, Ulm, aber auch in Stockholm, Göteborg und anderen europäischen Städten.

In München traten Afghanen nach wochenlanger Mahnwache und einem Protestmarsch bis Nürnberg in den Hungerstreik. Fünf Tage später wurde der Hungerstreik, zu dem sich einige der Protestierenden auf Bäumen vor der Polizei in Sicherheit gebracht hatten, von Spezialeinheiten beendet.

Auch die Grünen und die Linke beteiligen sich an den Abschiebeplänen. In Thüringen, wo die Linke den Ministerpräsidenten stellt, sind die Abschiebe- und Rückführzahlen besonders hoch. Auch hier finden Proteste gegen diese Politik statt.

Er sei „sehr erschrocken“, sagte Stefan in Frankfurt, dass der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer Flüchtlinge sogar nach Syrien zurückschicken wolle.

Rund 13.000 afghanische Flüchtlinge sollen in den nächsten Wochen kurzfristig abgeschoben werden, teilte das Bundesinnenministerium auf eine Anfrage der Linkspartei im Bundestag mit. Zur Begründung hieß es, „Eine Verschlechterung der Sicherheitslage im gesamten Land kann nicht bestätigt werden.“

CDU-Bundesinnenminister Thomas de Maiziére behauptet, einige Regionen in Afghanistan seien sicher, und es gebe deshalb keinen Grund für abgelehnte Asylbewerber, in Deutschland zu bleiben. Zu diesen Regionen, die als „innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative“ bezeichnet werden, zählte er unter anderen Kabul, Masar-al-Sharif und Herat. Beim EU-Innenministertreffen am 9. November betonte de Maiziére: „Wir wollen, dass in Afghanistan das Signal ankommt: ‚Bleibt dort! Wir führen euch aus Europa (…) direkt nach Afghanistan zurück!‘“

Die geplanten Massenabschiebungen basieren auf einem Rücknahme-Abkommen mit der Marionettenregierung in Kabul, das die Bundesregierung Anfang Oktober schloss. Afghanistan soll als Gegenleistung für die Rücknahme als „Entwicklungshilfe“ getarnte Gelder in Höhe von jährlich 430 Millionen Euro erhalten. Ein ähnliches Abkommen schloss auf Druck der Bundesregierung auch die EU.

Afghanen stellen die zweitstärkste Flüchtlingsgruppe in Deutschland. Der Nato-Einsatz in dem Land nach den Anschlägen vom September 2001, an dem sich die Bundeswehr seit 2003 beteiligt, hat den Bürgerkrieg angeheizt und das Land verwüstet. In der vergangenen Woche beschloss das Bundeskabinett die Verlängerung des Militäreinsatzes.

Obwohl die Bundesregierung Afghanistan nicht in die Kategorie „sichere Herkunftsstaaten“ pressen kann, erhöht sie jetzt den Druck auf die Mitarbeiter des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge), möglichst viel und schnell Ablehnungsbescheide zu erstellen.

Von den fast 247.000 in Deutschland lebenden Afghanen, die in den letzten Jahren geflüchtet waren, warten laut Pro Asyl noch immer rund 120.000 auf eine Entscheidung über ihre Asylanträge. Unter ihnen nimmt die Angst in diesen Tagen zu, eine Ablehnung und damit auch eine Aufforderung zur Ausreise zu erhalten.

Gerade erst postete die Berliner Helferinitiative „Moabit hilft“ einen solchen Ablehnungsbescheid auf Facebook. Darin teilt das BAMF der betroffenen Familie mit, sie müsse „keine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit befürchten, weil sie als Zivilpersonen nicht von willkürlicher Gewalt im Rahmen eines in ihrem Herkunftsland bestehenden innerstaatlichen Konflikts betroffen sind“. Es sei zumutbar, dass sich die Familie in einer „sicheren“ Gegend niederlasse, wo sie mit Gelegenheitsjobs ihr Überleben sichern könne.

Die Familie war aus Afghanistan geflüchtet, weil der Vater, der als Taxifahrer arbeitete, von Taliban-Milizen erpresst wurde und mehrfach einem Bombenanschlag entkommen war. Sein Sohn wurde beinahe entführt und konnte aufgrund der gefährlichen Situation nicht mehr zur Schule gehen.

Eine ähnliche Erfahrung machte der junge Afghane Nawaz, den die WSWS in Frankfurt/Main traf. Er stammt aus einem kleineren Dorf in der Nähe der ostafghanischen Stadt Dschalalabad.

„Alles was ich weiß, ist, dass es dort nicht sicher ist. Ich habe selbst meine Familie dort verloren“, sagte er. Als seine Eltern im Afghanistan-Krieg getötet wurden, hatte ihn sein Onkel aufgenommen. In der Gegend gebe es jedoch immer wieder Anschläge und Nato-Luftangriffe, und die Taliban und andere Milizen würden junge Männer anwerben. Deshalb habe sein Onkel ihn vor zwei Jahren auf den Weg nach Westeuropa geschickt.

Navaz flog über Budapest nach Deutschland und wurde nach dem Dublin-Verfahren zurück nach Ungarn geschickt, wo er ebenfalls ausgewiesen wurde. Er gelangte schließlich, nach einer wahren Odyssee, nach Italien, wo er ein Aufenthaltspapier, aber keine Arbeit erhielt. „Es gibt offenbar kein Land, in dem man bleiben, leben und arbeiten kann“, konstatierte Nawaz. „Das wird so bleiben, solange diese Kriege anhalten.“ 

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