Donald Trumps Sieg bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl hat in den herrschenden Kreisen Japans eine Art Panikreaktion ausgelöst. Premierminister Shinzo Abe organisierte daraufhin am Donnerstag ein Treffen mit dem künftigen Präsidenten in New York.
Da Abe die Gespräche für inoffiziell erklärte, sind fast keinerlei Details über das eineinhalbstündige Treffen im Trump Tower in Manhattan bekannt. Abe erklärte, die Diskussion sei „offen“ gewesen und habe in einer „warmen Atmosphäre“ stattgefunden. Er beschrieb Trump als einen vertrauenswürdigen Politiker und erklärte, er habe sich zu einem weiteren Treffen bereit erklärt, bei dem sie „breitere und tiefergehende“ Diskussionen führen wollen.
Der Tonfall dieser Äußerungen zeigt, wie sehr die Abe-Regierung über Trumps Sieg besorgt ist. Abe organisierte das Treffen auf eigene Initiative nur einen Tag nach der Wahl durch einen Anruf bei Trump. Dass er es eilig hatte, zeigt schon die Tatsache, dass die grundlegendsten logistischen Fragen – Zeitpunkt, Ort und wer anwesend sein würde - noch nicht feststanden.
Die Hauptsorge des japanischen Premierministers und des gesamten politischen Establishments ist, dass Trumps Sieg „einem riesigen politischen Erdbeben gleichkommt, das die Nachkriegsordnung in ihren Grundfesten erschüttert“, wie es die Zeitung Asahi Shimbun formulierte, eine der wichtigsten Tageszeitungen Japans.
Es geht u.a. um wirtschaftliche Beziehungen, die Zukunft des japanisch-amerikanischen Sicherheitspakts und die Kosten für die Stationierung von US-Truppen in Japan. Außerdem stellt sich die Frage, ob die USA Japan weiterhin bei seinen Konflikten mit China um umstrittene Gebiete im Ostchinesischen Meer und beim Zurückdrängen Chinas aus dem Südchinesischen Meer unterstützen werden.
Abe organisierte seinen Besuch in New York als Teil seiner Reise zum Gipfeltreffen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC), das an diesem Wochenende in der peruanischen Hauptstadt Lima stattfindet. Eines der wichtigsten Themen dort ist die Beerdigung der Transpazifischen Partnerschaft (TPP).
Die TPP, von der China ausgeschlossen wurde, war die wirtschaftliche Grundlage des „Pivot to Asia“, der Strategie der Obama-Regierung gegen China. Mittlerweile gilt sie als gescheitert. Trump hat erklärt, er werde nach seiner Amtseinführung am 20. Januar nicht darauf drängen, und Obama hat seine Versuche aufgegeben, sie noch vor Trumps Machtübernahme vom scheidenden Kongress verabschieden zu lassen. Japan und die anderen TPP-Unterzeichner hängen deshalb in der Schwebe.
Abe sprach sich auf Drängen der Obama-Regierung eindeutig für die TPP aus und sicherte ihr diese Woche im Unterhaus des japanischen Parlaments gegen internen Widerstand die Mehrheit. Doch die Strategie seiner Regierung ist gescheitert, was Japans regionalem Hauptrivalen China nun Vorteile verschafft.
Am Dienstag erklärte Abe vor einem Ausschuss des Oberhauses über die Ratifizierung der TPP, man könne seine Aufmerksamkeit jetzt auf ein Handelsabkommen lenken, das von China unterstützt wird und die USA ausschließt.
Er erklärte: „Zweifellos würde sich der Schwerpunkt auf die Umfassende Regionale Wirtschaftspartnerschaft (RECP) verlagern, wenn die TPP nicht umgesetzt wird. Da die USA von der RECP ausgeschlossen sind, ist China die Volkswirtschaft mit dem größten Bruttoinlandsprodukt.“
Japan befürchtet, dass das Scheitern der TPP andere Länder in der Region dazu bringen könnte, über eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Beziehungen zu China nachzudenken. Der stellvertretende malaysische Handelsminister Ong Ka Chuan erklärte, das Land werde versuchen, die RECP nach Trumps Wahl zu ratifizieren.
Ong erklärte: „Angesichts der jetzigen Situation der TPP werden wir uns auf die RECP konzentrieren. Der Abschluss der RECP wird viele der negativen Folgen der TPP wettmachen.“ Er äußerte außerdem die Hoffnung, das Abkommen könne schnell umgesetzt werden.
Die Regierung von Singapur warnte während der Verhandlungen über die TPP mehrfach, der Inselstaat würde aufgrund seiner Abhängigkeit vom Handel im Falle eines Scheiterns der TPP nach anderen Optionen Ausschau halten müssen. Auch die australische Regierung, die neben Japan der wichtigste Verbündete der USA in der Asien-Pazifik-Region ist, hat angedeutet, sich im Falle eines Scheiterns der TPP nach Alternativen umzusehen.
Der australische Handelsminister Steve Ciobo erklärte diese Woche in einem Interview mit der Financial Times, Australien würde die Forcierung der Vorschläge für eine Asiatisch-Pazifische Freihandelszone (FTAAP) unterstützen, da eine Erhöhung des Handelsvolumens und Wirtschaftswachstum grundsätzlich „Schritte in die richtige Richtung“ seien.
Die APEC diskutiert seit 2010 über die FTAAP. Offiziell sind die USA ein Teil davon, doch angesichts des Widerstands der Trump-Regierung gegenüber Handelsabkommen ist es unwahrscheinlich, dass die USA sie unterzeichnen werden. Das würde bedeuten, dass China eine führende Rolle spielt. In einem Kommentar in der Australian Financial Review erklärte Ciobo, Australien würde bereitwillig mit seinen Partnern an der RECP arbeiten.
Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sind jedoch nur ein Teil der Sorgen der Abe-Regierung und der herrschenden Klasse Japans. Im Rahmen der Nachkriegsordnung verfolgte Japan seine wirtschaftlichen und strategischen Interessen in der Region und der Welt im Bündnis mit den USA. In der jüngeren Vergangenheit hat die Abe-Regierung Japans globale und regionale Rolle auf selbständigere Weise vorangetrieben, vor allem als Reaktion auf den wirtschaftlichen und militärischen Aufstieg Chinas, den es als die größte Bedrohung für seine Interessen betrachtet.
Doch der Rahmen des amerikanisch-japanischen Bündnisses, in dem die japanische herrschende Elite ihre Wirtschafts- und Außenpolitik entwickelt hatte, ist durch Trumps Wahlsieg infrage gestellt.
Im Wahlkampf hatte Trump Japan mehrfach als rivalisierende Handelsmacht bezeichnet und gefordert, dass Tokio die Stationierung von US-Truppen in seinem Land – Kosten von schätzungsweise über 5,7 Milliarden Dollar pro Jahr - komplett selbst zahlt, zusätzlich zu den bestehenden Kosten von etwa 6,6 Milliarden Dollar. Trump erklärte, der bilaterale Sicherheitspakt sei einseitig und warnte, Japan solle „uns bezahlen“ oder für seine eigene Verteidigung aufkommen.
Es geht um viel mehr als nur um Geld. Japans herrschende Kreise sind auch beunruhigt über Trumps Aussagen während einer Rede in Des Moines im August, in der er erklärte: „Ihr wisst, wir haben einen Vertrag mit Japan. Wenn Japan angegriffen wird, müssten wir es mit aller Gewalt und mit allen Mitteln unterstützen. Wenn die USA angegriffen würden, müsste Japan nichts tun. Sie könnten zuhause vor ihren Sony-Fernsehern sitzen, okay?“ Er betonte, das Bündnis dürfe keine „Einbahnstraße“ sein.
Die Abe-Regierung und andere Regierungen auf der ganzen Welt haben nicht ernsthaft mit Trumps Sieg gerechnet. Während eines USA-Besuchs im September traf sich Abe mit Clinton, die als Außenministerin der Obama-Regierung die wichtigste Propagandistin des „Pivot to Asia“ war, aber nicht mit Trump. Diese Fehleinschätzung war der Grund für die Eile, mit der Abe das Treffen organisiert hatte.
Abe erklärte bei der Abreise aus Tokio vor der Presse, das amerikanisch-japanische Bündnis sei der „diplomatische und sicherheitspolitische Grundstein Japans“, und „ein Bündnis wird erst lebendig, wenn es Vertrauen gibt.“ Er fügte hinzu, er wolle dieses Vertrauen zu Trump aufbauen.
Die Lage des amerikanisch-japanischen Bündnisses erinnert an die Lage in den 1920ern, auch wenn die unmittelbaren Detailfragen andere sind.
Japan stellte sich im Ersten Weltkrieg an die Seite von Großbritannien und den USA gegen Deutschland. Nach dem Krieg versuchte es, seine wirtschaftlichen und strategischen Interessen in einer Ordnung durchzusetzen, die geprägt war vom Aufstieg der USA zur wirtschaftlichen und militärischen Vormacht.
Doch diese Strategie scheiterte mit dem Börsencrash von 1929, dem Kurswechsel der USA auf Wirtschaftsnationalismus und Protektionismus und dem Zusammenbruch des Welthandels.
Nach einem erbitterten Kampf innerhalb der politischen und militärischen Eliten begann Japan, seine Interessen mit militärischen Mitteln zu verfolgen. Der erste Schritt dazu war der Einmarsch in der Mandschurei 1931, gefolgt von der Invasion in China 1937, die schließlich 1941 zum Ausbruch des Kriegs mit den USA führte.
Heute treten alle Widersprüche wieder zutage, die in einer früheren Periode die geopolitischen Spannungen verschärft und schließlich zum Krieg geführt haben. Japan ist konfrontiert mit der Möglichkeit eines Bruchs seines wichtigsten strategischen Bündnisses, der Zunahme von Wirtschaftsnationalismus und, durch China, mit der Entstehung eines neuen Rivalen.