In einer Rede vor dem Verteidigungsausschuss des Parlaments erklärte der konservative Verteidigungsminister Michael Fallon, die Streitkräfte Großbritanniens wären für einen militärischen Konflikt mit Russland bereits ab dem Jahr 2018 vorbereitet.
Fallons Aussage war Teil der Untersuchung des Komitees, welche Auswirkungen die „Strategic Defence and Security Review“ (Strategische Verteidigungs- und Sicherheitsüberprüfung) von 2015 auf die Armee hat. Mit seiner Erklärung reagierte er auf die Äußerung eines Mitglieds des Verteidigungsausschusses von den Konservativen, James Gray. Gray hatte in einem Buch, das Anfang des Jahres erschien, erklärt, der pensionierte britische General Sir Richard Shirreff habe die Möglichkeit eines Kriegs mit Russland für das Jahr 2017 vorausgesagt. Shirreff war von 2011 bis 2014 Stellvertretender Oberbefehlshaber der Nato in Europa.
Gray verwies auch auf einen Brief von Shirreff, der am Montag in der Times erschien und in dem er anmahnt, die militärische Umzingelung Russlands müsse zügiger vorangehen. Shirreff schrieb: „Auf dem Treffen der Verteidigungsminister in Brüssel von letzter Woche wurden weitere Ankündigungen über die Zusammensetzung der militärischen Präsenz [in den baltischen Staaten und Ostpolen] gemacht, die Realität ist jedoch, dass es bis zum Ende des Frühjahrs keine Bodentruppen geben wird; das ist fast ein Jahr nach der Ankündigung. Jetzt kommt es darauf an, so schnell wie möglich eine Verteidigung aufzubauen, die auch in der Lage ist zu kämpfen und damit russisches Abenteurertum abschreckt; könnte das eine Aufgabe für eine der vielen schnellen Eingreiftruppen der Nato sein?“
Fallon erklärte zwar, Shirreffs Buch sei „sehr gut“, antwortete jedoch: „Ich bin nicht der Meinung, dass ein Krieg mit Russland im nächsten Jahr wahrscheinlich ist. Ich denke, das ist zu extrem.“
Fallon fügte hinzu: „Wir haben in diesem Jahr und in den Jahren davor umfangreiche russische Aggressionen erlebt; beispielsweise was Langstreckenflüge angeht oder U-Boot-Aktivitäten und der Flugzeugträgerverband, der durch unserer Gewässer gefahren ist, sowie die Rolle von Russland in Syrien und anderswo. Aber ich glaube nicht, dass das auf einen offenen Konflikt im nächsten Jahr schließen lässt.“
Nachdem Fallon sich gegen Shirreffs Szenario eines unmittelbar bevorstehenden Kriegs gewandt hatte, erklärte er dann jedoch, die Streitkräfte Großbritanniens seien bald bereit, an einem militärischen Konflikt mit Russland teilzunehmen. Als Fallon zu einer Antwort gedrängt wurde, ob Großbritannien 2018 oder 2019 für einen Krieg mit Russland bereit sei, antwortete er: „Ja, wir sind bereit, das Tempo für unsere Vorbereitungen in solch einer Situation zu erhöhen, obwohl ich davon zum jetzigen Zeitpunkt nicht unmittelbar ausgehe.“
Er fügte hinzu: „Und natürlich werden wir das nicht alleine machen. Wir werden als aktives Mitglied der Nato agieren und voraussichtlich in irgendeiner Art von Nato-Szenario.“
Zuvor hatte Fallon betont, dass Großbritanniens Streitkräfte eine zentrale Rolle bei der derzeitigen Umzingelung Russlands durch die Nato spiele. Auf die Frage „was die realistischen Aussichten im Falle einer Krise seien, eine Division in einen Nato-Frontstaat schicken zu können“, antwortete er, Großbritannien „setzt bereits Soldaten an der Ostgrenze der Nato ein. Die RAF [Royal Air Force] ist seit drei Sommern ununterbrochen dort. Wir verlegen nächstes Jahr Truppen nach Estland, und wir schicken Truppen nach Polen. Außerdem stationieren wir die RAF in Rumänien.“
Fallon erläuterte noch weitere Details zur Stationierung der 800 Soldaten in Estland: „Der ganze Sinn der vorgelagerten Truppenpräsenz in Estland besteht darin ... einen vorzeitigen Stolperdraht zu legen, damit die dortigen Streitkräfte nicht darauf warten müssen, bis die Spannungen steigen. Die Streitkräfte werden auf jeden Fall von nächstem Frühjahr an dort sein, in allen drei baltischen Staaten.“
Fallon warnte: „Das ist zum Teil eine Rückversicherung, aber auch eine Abschreckung – um jedem potentiellen Angreifer klar zu machen, dass die Nato bereit ist zu reagieren.“
Am gleichen Tag, als der Verteidigungsminister vor dem Komitee aussagte, veröffentlichte der Guardian ein Interview mit Andrew Parker, dem Chef des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5. Das Interview war das erste, das ein amtierender Geheimdienstchef einer Zeitung gegeben hat.
Parker erklärte, Russland „benutzt seine gesamten staatlichen Organe und seine Staatsmacht, um eine immer aggressivere Außenpolitik zu verfolgen – dazu gehört Propaganda, Spionage, Unterwanderung des Staates und Hackerangriffe. Russland ist heute überall in Europa und in Großbritannien aktiv. Es ist die Aufgabe des MI5, dem entgegenzutreten.“
Er fügte hinzu: „Russland scheint sich in wachsendem Maße als Opposition zum Westen zu verstehen und sich entsprechend zu verhalten ... Das kann man anhand von Russlands Vorgehen in der Ukraine und Syrien sehen. Mit der Bedrohung im Cyber-Raum gibt es jedoch umfangreiche unsichtbare Aktivitäten. Russland ist schon seit Jahrzehnten eine verdeckte Bedrohung. Aber im Unterschied zu früher stehen heutzutage immer mehr Methoden zur Verfügung.“
Großbritanniens Regierung, seine Streitkräfte und Geheimdienste verschärfen die anti-russischen Rhetorik unaufhörlich, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass Fallon es für nötig erachtete, zu bestreiten, dass es nächstes Jahr Krieg geben werde! Dahinter scheint die unverantwortliche und gefährliche Überlegung zu stehen, dass die Regierung Putin angesichts der Drohungen der Nato entweder zurückweichen oder von solchen internen Kräften abgesetzt werde, die bereit sind, die Unterordnung unter die USA zu akzeptieren. Dazu gehört auch das Recht der USA, die strategischen Ressourcen und Märkte der Russischen Föderation auszubeuten und das Land territorial zu zerstückeln – Washingtons eigentliches Ziel.
Allerdings wird ein vollkommen anderes Szenario immer wahrscheinlicher, bei dem die beispiellose militärische Präsenz an den Grenzen Russlands, Moskau zu Gegenmaßnahmen provozieren könnte.
Die Tatsache, dass Fallon, Parker und Shirreff sich derart angriffslustig über einen möglichen Krieg mit Russland äußern, ist ein Zeichen für die existentielle Krise des britischen Imperialismus, nachdem beim Referendum im Juni der Austritt aus der Europäischen Union (EU) entschieden wurde. Die Abstimmung spiegelte die wachsenden nationalen Spannungen innerhalb Europas vor dem Hintergrund der umfassenden globalen Krise des Kapitalismus wider. Das hat Großbritannien dazu gezwungen, sich weiterhin als wichtiger Verbündeter der USA zu behaupten. Als solcher unterstützt es die antirussischen Maßnahmen der Nato und lehnt die Pläne für eine von Deutschland dominierte europäische Armee ab.
Parker wählte den Guardian für das Interview, weil diese Zeitung schon seit langem den beispiellosen militärischen Aufmarsch der Nato an Russlands Westgrenze propagiert. Die Kolumnistin der Zeitung, Mary Dejevsky, hielt es jedoch für notwendig, die warnende Erklärung anzufügen, die antirussische Propaganda und Kriegshetze genieße keine öffentliche Unterstützung. In der Kolumne von Dienstag mit dem Titel „Warum macht der MI5 ein solches Aufheben um Russland?“, merkt sie an, „dass es langsam immer schwieriger wird, Russland zu dämonisieren“. Sie rät ihren Arbeitgebern: „Schaut euch die Stellungnahmen zu den Äußerungen von Parker an. Es gibt eine Menge Widerspruch dagegen und der kann nicht ausschließlich von sogenannten ,Trollen‘ des Kremls kommen. Man hört dasselbe bei Anrufen von Hörern in Rundfunksendungen über russische Themen, wo die Stimme des skeptischen Publikums laut und stark zu hören ist.“
Dejevsky bestätigt hier die tief sitzende Antikriegsstimmung in der britischen Bevölkerung, die Großbritanniens kriminelle Beteiligung an den imperialistischen Kriegen in Afghanistan, Irak und anderen Ländern während der letzten dreißig Jahre abgelehnt hat. Diese Opposition gegen Krieg findet jedoch keinen politischen Ausdruck - vor allem dank der Labour Party unter ihrem sogenannten „Anti-Kriegs-Führer“ Jeremy Corbyn.
Seit seiner Wahl ist Corbyn immer und immer wieder vor den Kriegshetzern innerhalb seiner Partei zurückgewichen. Seine neu ernannte Schatten-Verteidigungsministerin Nia Griffith erklärte letzte Woche gegenüber Sky News: „Wir stellen eines der vier Bataillone, die da draußen in Osteuropa stationiert sind, und es ist wichtig, in der Labour Party klar zu machen, dass wir uns voll zur Nato und deren Vorbereitungen bekennen ... Es ist sehr wichtig, gegenüber den Russen klar zu machen, dass wir dieses Potential haben und dass wir bereit sind, es einzusetzen.“