Der prorussische Kandidat Igor Dodon hat die erste Runde der Präsidentenwahl in der Republik Moldau gewonnen. Mit 48,5 Prozent der Stimmen verfehlte er nur knapp die absolute Mehrheit. Nun muss er in der Stichwahl vom 13. November gegen Maia Sandu antreten, die 38,2 Prozent der abgegebenen Stimmen bekam.
Die Wahl gilt als richtungsweisend dafür, ob Moldawien die Annäherung an die Europäische Union fortsetzt oder seine Beziehungen zu Russland stärkt.
Dodon ist Vorsitzender der 1997 gegründeten Sozialistischen Partei (PSRM). Er war ihr 2011 beigetreten, nachdem er und viele andere die Kommunistische Partei (PCRM) verlassen hatten. Von 2006 bis 2009 war er Minister für Handel und Wirtschaft. Seine Partei vertritt die Interessen einer schmalen Oberschicht, die von einer engen Bindung an Russland profitiert und über gute Beziehungen nach Moskau und zu russischen Oligarchen-Clans verfügt.
Dodon hat für den Fall seines Sieges ein Referendum über die Aufhebung des Handelsabkommens angekündigt, das die Republik Moldau 2014 mit der Europäischen Union abschloss. Stattdessen soll sich das Land einer von Russland geführten Zollunion anschließen. In mehreren Interviews mit russischen Medien erklärte er, das Assoziierungsabkommen mit der EU sei ein schwerer Fehler gewesen.
Die Harvard-Absolventin Maia Sandu vertritt die pro-europäischen Eliten des Landes. Sie war bis 2012 Beraterin der Weltbank in Washington. Anschließend wurde sie Bildungsministerin im liberalen Kabinett. Politisch ist sie Verfechterin harter marktwirtschaftlicher Reformen und eines aggressiven Kurses gegen Russland.
Sandu wurde von der Liberaldemokratischen Partei (PLDM) nominiert. Ursprünglich waren ihr nur etwa 15 Prozent der Stimmen vorhergesagt worden. Doch dann zog Marian Lupu, der Kandidat der ebenfalls prowestlichen Demokratischen Partei (PDM), seine Kandidatur zugunsten Sandus zurück. Hinter Lupu steht mit Vladimir Plahotniuc der größte Oligarch des Landes.
Die politischen Eliten des Landes befinden sich in einer tiefen Krise. Allein seit 2014 waren sechs Regierungschefs im Amt. Hatten lange Zeit bis zu 70 Prozent der Bevölkerung einen pro-europäischen Kurs befürwortet, haben die endemische Korruption aller Parteien und die bittere Armut – das Durchschnittseinkommen liegt bei 240 Euro im Monat – die Stimmung umschwenken lassen.
Vor einem Jahr waren Zehntausende wochenlang auf die Straße gegangen, weil unter Aufsicht der Zentralbank eine Milliarde Dollar, etwa 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, spurlos auf Auslandskonten der korrupten Eliten verschwunden waren. Sandu zählte zu den Drahtzieherinnen der proeuropäischen Proteste gegen die damalige Regierung. Unter dem Vorwand, gegen die Korruption im Land zu kämpfen, trat das Bündnis „Würde und Gerechtigkeit“ für einen „Maidan“ in Moldau ein.
Im Wahlkampf vollführt Sandu nun einen Drahtseilakt. Sie versucht, sich von den korrupten Parteien und Oligarchen zu distanzieren, auf deren Unterstützung sie gleichzeitig angewiesen ist.
Das tiefe Misstrauen gegen die gesamte politische Elite wiederspiegelt sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung. In dem 3,5-Millionen-Einwohner-Land ging noch nicht einmal jeder zweite Stimmberechtigte zur Wahl. 63 Prozent der Wähler waren über 41 Jahre alt, ein Ergebnis der massenhaften Auswanderung junger Menschen, die im ärmsten Land Europas keine Arbeit finden.
Es handelt sich um die erste direkte Wahl des Präsidenten in Moldawien seit 1996. 2000 hatte das Parlament das Wahlrecht geändert und seither den Präsidenten mit einer Dreifünftel-Mehrheit selbst gewählt. Anfang dieses Jahres erklärte das Verfassungsgericht dies für unrechtmäßig und ordnete die Direktwahl des Präsidenten an. Damit sollte vor allem ein Monate dauernder politischer Stillstand vermieden werden, der im völlig zersplitterten Parlament unvermeidlich ist.
Der Vorsprung des prorussischen Kandidaten Dodon hat in Brüssel und Washington Alarm ausgelöst. Zwischen dem Nato- und EU-Mitglied Rumänien und der Ukraine gelegen, nimmt die Republik Moldau eine wichtige strategische Stellung ein. Sowohl die EU wie die Nato bemühen sich seit langem, das Land in ihren Einflussbereich zu ziehen.
Hinzu kommt, dass Transnistrien – ein schmaler, östlich des Flusses Dnister gelegener Landstreifen, in dem 17 Prozent der Bevölkerung leben – seit der Gründung der Republik Moldau 1991 faktisch unabhängig ist und zu seinem Schutz rund 2000 russische Soldaten stationiert hat. Der Präsident von Transnistrien, Jewgeni Schewtschuk, hatte im September angekündigt, die Aufnahme der Region in die Russländische Föderation zu beantragen.
Igor Dodon hat sich im Wahlkampf öffentlich gegen die Nato ausgesprochen, was ihm offensichtlich Sympathien einbrachte. „Auf dem Gebiet unseres Landes werden wir weder Nato-Truppen noch Soldaten aus anderen Staaten dulden“, erklärte er.
Sandu vertritt den entgegengesetzten Standpunkt. Sie tritt dafür ein, dass Moldawien die Rolle einer Speerspitze gegen Russland übernimmt, und verteidigt die zunehmende Militarisierung Moldawiens und Rumäniens. Im Mai dieses Jahres fanden erstmals Übungen mit Nato-Truppen auf dem Gebiet der Republik Moldau statt, ein klarer Verstoß gegen die Verfassung des Landes.
Währenddessen verstärkt die Nato ihre Zusammenarbeit mit der Regierung in Chisinau. Das Nato-Programm „Wissenschaft für Frieden und Sicherheit“ (SPS) startete Anfang des Monats drei Programme. Unter anderem sollen sie die Streitkräfte befähigen, schneller auf feindliche Angriffe zu reagieren und sich besser gegen Cyber-Angriffe zu schützen. Auf dem diesjährigen Nato-Gipfel in Warschau verlangte der moldawische Verteidigungsminister Unterstützung bei der Vertreibung der russischen Truppen aus Transnistrien.