Der Nationale Sicherheitsrat der Obama-Regierung erwägt Vorschläge für einen „Plan B“ in Syrien. Um die Regierung von Bashar al-Assad zu stürzen, könnte die seit fünf Jahren andauernde US-Intervention noch einmal ausgeweitet werden.
Der so genannte „Plan B“ ist für den Fall gedacht, dass die US-Regierung ihr Ziel eines „Regimewechsels“ nicht durch Verhandlungen mit Russland, Syriens wichtigstem Verbündeten, erreichen kann. Der Plan beinhaltet eine bedeutende Ausweitung der Waffenlieferungen an die so genannten Rebellen, die aus diversen, mit al-Qaida verbündeten islamistischen Milizen bestehen. Sie sollen auch Flugabwehrraketen erhalten, die in der Lage sind, nicht nur Flugzeuge der syrischen Regierung, sondern auch russische Flugzeuge abzuschießen.
Geheime Gespräche über diesen Plan wurden aufgenommen, als ein kurzlebiger Waffenstillstand scheiterte, den Washington und Moskau ausgehandelt hatten, und als die syrische Regierung mit russischer Unterstützung in die Offensive ging, um die letzte städtische Hochburg der islamistischen Kräfte in Ostaleppo einzunehmen.
Einem Artikel der Washington Post vom 24. Oktober zufolge traf sich der Nationale Sicherheitsrat am 14. Oktober im Weißen Haus, um sich die Vorschläge anzuhören. Er „stimmte ihnen aber nicht zu und lehnte sie auch nicht ab“. Das zeigt, dass die US-Regierung und ihr Militär- und Geheimdienstkomplex tief gespalten sind.
Sowohl Verteidigungsminister Ashton Carter, wie auch CIA-Direktor John Brennan traten als entschiedene Befürworter von „Plan B“ auf. Der Post zufolge argumentierten sie gemeinsam mit anderen Hardlinern, die „Rebellen“ müssten gestärkt werden, weil sie „als einzige Kraft in der Lage sind, den Krieg zu verlängern und womöglich Moskau dazu zu bringen, im Rahmen einer politischen Lösung Assad fallenzulassen.“
Die Wortwahl ist bedeutsam. Demnach besteht ein wichtiges strategisches Ziel des US-Imperialismus darin, den Krieg „zu verlängern“, der schon hunderttausende Menschen getötet und Millionen in die Flucht getrieben hat.
Carter soll dafür eingetreten sein, das CIA-Programm „zu verdoppeln“, damit Moskau seine Intervention zugunsten der Assad-Regierung „umso teurer bezahlen“ müsse.
Dagegen argumentierten die Gegner des Plans, dass eine Intervention mit dem Ziel, syrische und russische Flugzeuge abzuschießen, wahrscheinlich in eine direkte Konfrontation zwischen Washington und Moskau münden würde. Dieser Meinung ist inzwischen offenbar auch Außenminister John Kerry.
Ein hoher Vertreter der Administration sagte der Post: „Man kann nicht so tun, als könne man Krieg gegen Assad führen, ohne Krieg gegen Russland zu führen.“
Ein anderer US-Vertreter, den die Post zitiert, gab zu, dass die so genannte Freie Syrische Armee, welche die CIA, das Pentagon und die regionalen Verbündeten Washingtons „bewaffnen, ausbilden und finanzieren, immer stärker von Extremisten dominiert wird“. Mit den „Extremisten“ ist al-Qaida gemeint.
Zu den schweren Waffen, die man an die „Rebellen“ liefern will, gehören auch so genannte MANPADs, d.h. tragbare, von der Schulter aus abgefeuerte Boden-Luft-Raketen. Die große Sorge in amerikanischen Regierungskreisen im Fall einer solchen Lieferung geht dahin, dass al-Qaida-freundliche Kräfte diese Waffen wahrscheinlich nicht nur gegen russische Kampfflugzeuge, sondern auch gegen zivile Passagiermaschinen richten würden.
Die Befürworter der Eskalation schlugen laut der Post einen Kompromiss vor. Die CIA und ihre Partner sollten „nur Luftabwehrraketen liefern, die auf Lastwagen montiert sind. Für die Rebelleneineinheiten wären sie hilfreich, aber die Terrorgruppen könnten sie nur schwer verstecken und gegen zivile Flugzeuge richten.“
Die Tatsache, dass die Chefs von Pentagon und CIA mit dem Weißen Haus über den „Plan B“ überkreuz liegen, nährt eine ernsthafte Sorge: Der mächtige amerikanische Militär- und Geheimdienstapparat könnte Mittel und Wege finden, zugunsten einer Intervention, in die er viel investiert hat, die Politik der Regierung zu konterkarieren. Um dieses Ziel zu erreichen, könnten regionale Verbündete wie Saudi-Arabien, die Türkei und Katar eingespannt werden. Sie alle sind tief in den Krieg für einen Regimewechsel in Syrien verstrickt.
Außerdem ist es fast sicher, dass eine Regierung der Demokratischen Kandidatin Hillary Clinton in Syrien einen Kurswechsel vornehmen und eine aggressivere amerikanische Militärintervention ansteuern wird.
Clinton hat die Verhängung einer „Flugverbotszone“ in Syrien in beiden TV-Debatten unterstützt, in denen sie gegen ihren Republikanischen Rivalen Donald Trump auftrat. Als Vorwand führte sie den humanitären Schutz von Zivilisten an. Dabei warnen selbst die Spitzen des US-Militärs davor, dass die Einrichtung einer solchen Zone zur militärischen Konfrontation mit Russland führen würde.
Auch Hillary Clinton selbst hat in einer Rede vor drei Jahren bei Goldman Sachs betont, dass die Schaffung einer solchen Zone umfangreiche Luftschläge auf Regierungsstellungen in dicht besiedelten Gegenden erfordern würde, wobei „viele Syrer getötet“ würden. WikiLeaks hat diese Rede veröffentlicht.
Früheren Berichten zufolge gibt es sowohl im Republikanischen, wie im Demokratischen Flügel des außenpolitischen Establishment der USA viel Unterstützung für eine Eskalation in Syrien.
Zwei Artikel in der Washington Post gewähren einen Einblick in den kriminellen Charakter dieser Kreise. Der erste Artikel stammt vom außenpolitischen Post-Kolumnisten Josh Rogin. Am 24. Oktober hat er sich für die „interventionistische Seite“ von Clintons Übergangsteam ausgesprochen. Bestandteil dieser Kampagne ist das „Center für American Progress“, eine von Clintons Wahlkampfleiter John Podesta gegründete Denkfabrik. Podesta hatte erst vergangene Woche in einer aktuellen Analyse gefordert, dass syrische Zivilisten mit amerikanischen Luftkräften geschützt werden sollten.
Rogin schloss seinen Artikel mit der Mahnung an Clinton, sie müsse „die politischen Risiken für die Sicherheit akzeptieren, die entstehen, wenn die USA mehr Mittel investieren, um dem Schlachten ein Ende zu setzen und dem Regime und seinen Partnern entgegenzutreten.“
In einem anderen Kommentar, den die Post am Samstag brachte, unterstützte der pensionierte General des Marinecorps John Allen Hillary Clinton. Allan hatte die amerikanischen Besatzungstruppen in Afghanistan angeführt. Auf dem Demokraten-Konvent im Juli hatte er eine Rede gehalten und gemeinsam mit Charles Lister vom Middle East Institute die US-Politik in Syrien kritisiert. Er hatte „unser Zögern“ beklagt, „es mit dem Regime und den Russen aufzunehmen“.
In dem Artikel verlangt er, dass die US-Regierung die Konfrontation mit Russland zuerst „durch schärfere Wirtschaftssanktionen“ gegen Moskau hochfahren sollten.
Weiter heißt es dort: „Die zweite Option besteht in einem Schritt, den die Russen den Vereinigten Staaten nie zutrauen würden: den Konflikt zu eskalieren. Die Vereinigten Staaten müssen den Status Quo in Frage stellen und den Kriegsverbrechen des Regimes ein Ende setzen, wenn nötig mit Gewalt.“
Die Washingtoner Regierung, heißt es im Artikel weiter, müsse „den Rebellen tödliche und nicht-tödliche Waffen schneller und in größerem Umfang liefern“. Darauf folgt der Vorschlag, eine „Koalition der Willigen“ zu bilden, „um die militärische Infrastruktur des Assad-Regimes glaubhaft zu bedrohen“. Den Begriff der „Koalition der Willigen“ hatte die Bush-Regierung bei der Vorbereitung ihres kriminellen Irak-Kriegs geprägt.
Allen räumt in seinem Artikel ein: „Wir müssen damit rechnen, dass die syrischen und russischen Kräfte möglicherweise absichtlich vermischt werden.“ Er betont jedoch: „Wir sollten trotzdem keine Chance verpassen, die syrischen Elemente und Einheiten zu treffen, wo immer sie vorstoßen.“
Zum Schluss heißt es: „Aus der schrecklichen Zerstörung Syriens muss die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten als Führer und Verteidiger der freien Welt unbeschadet hervorgehen.“
Diese Politik ist zutiefst verantwortungslos. Sie provoziert bewusst eine militärische Konfrontation mit Russland, das Land mit dem zweitgrößten Atomarsenal der Welt.