Seit dem 6. Oktober führen SPD, Linke und Grüne in Berlin Koalitionsverhandlungen über die Bildung des nächsten Senats. Die drei Parteien wollen nicht, dass die Bevölkerung zuviel darüber erfährt. Sie haben Stillschweigen über den Inhalt der Gespräche vereinbart.
Am Verhandlungstisch sitzen Politiker, die von den Wählern bei der Abgeordnetenhauswahl vom 18. September für ihre rechte, unsoziale Politik massiv abgestraft worden sind. Die mit der CDU regierende SPD erhielt eines ihrer schlechtesten Wahlergebnisse. Ebenso gehörten die Grünen zu den Wahlverlierern, und die Linke konnte nur dank Stimmengewinnen in einigen Westbezirken ihr schlechtes Wahlergebnis von 2011 leicht verbessern. In ihren Hochburgen im Osten verzeichnete sie dagegen ebenfalls Verluste und erreichte kaum mehr Sitze als die rechtextreme AfD.
Bei den Koalitionsgesprächen lassen sich drei Parteien erstaunlich viel Zeit. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) ist seit vergangenem Freitag erst einmal auf Dienstreise in Südamerika, um Vorträge bei der UN-Siedlungskonferenz zu halten.
Erst am 24. Oktober, nach einer 14-tägigen Pause während der Berliner Herbstferien, sollen die Koalitionsgespräche fortgesetzt werden und inhaltliche Fragen wie Soziales, Wirtschaft und Sicherheit ins Zentrum rücken. Nach dem bisherigen Fahrplan ist für Mitte November der Abschluss der Verhandlungen geplant, und Anfang Dezember sollen Parteitage der drei Parteien die Ergebnisse diskutieren.
Die Linke hat jedoch nach der letzten Koalitionsrunde den Beginn ihres Landesparteitags um eine Woche auf den 10./11. Dezember verschoben; ursprünglich sollte bereits am 8. Dezember die Zusammensetzung der Regierungskoalition bekannt gegeben werden.
Auch wenn es nur dürftige Informationen über die ersten drei Verhandlungstreffen gibt, ist eines bereits deutlich geworden: Ein rot-rot-grünes Bündnis würde den bisherigen Kurs der Haushaltskonsolidierung und damit der Sparprogramme auf dem Rücken der Bevölkerung fortsetzen.
Beim ersten Gespräch am 6. Oktober ging es erst einmal ums Geld. SPD-Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen erläuterte die Haushaltslage und stellte klar, dass das Land Berlin nach wie vor seinen hohen Schuldenstand von rund 60 Milliarden Euro abbauen und der Konsolidierung des Haushalts Priorität einräumen müsse. Im Stabilitätsbericht 2016, den der Senat wenige Tage später beschloss, heißt es dazu kategorisch: „Das Sanierungsprogramm, zu dem sich Berlin 2011 gegenüber dem Stabilitätsrat verpflichtet hatte, wird weiter umgesetzt.“
Zur Erinnerung: Dieses Sanierungsprogramm hatte der rot-rote Senat von SPD und Linken noch vor seiner Abwahl 2011 ausgearbeitet. Es beinhaltete weiteren Personalabbau im Öffentlichen Dienst, die Aufrechterhaltung der um rund 10 Prozent niedrigeren Löhne und Gehälter im Bundesvergleich, die Fortsetzung von Einsparungen in der Verwaltung, Mieterhöhungen in landeseigenen Wohnungsgesellschaften und weitere Verkäufe von landeseigenen Immobilien. Der von Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) geleitete Stabilitätsrat musste dieses Programm Anfang Dezember 2011, also kurz nach der Wahl, nur noch billigen.
In der Hoffnung, dass dies viele nicht wissen, schreibt nun die Linke in ihrem Newsletter vom 7. Oktober, sie habe in den Verhandlungen „darauf hingewiesen, dass Schuldentilgung und Investitionen keine sich ausschließenden Gegensätze sind …“ An anderer Stelle begründet sie dies mit „Handlungsspielräumen“, die durch höhere Steuereinnahmen entstanden seien.
Etwas anders klang dies aus dem Mund von Michael Müller (SPD), dem gerade abgewählten und dennoch bald wieder Regierenden Bürgermeister. Laut dem Sender RBB gab er sich nach der ersten Sitzung gelassen: „Wir haben noch keine gemeinsame finanzielle Plattform“, so Müller. Das sei so schnell aber auch nicht zu erwarten gewesen. Anders gesagt: Die SPD ist optimistisch, dass die Linke letztlich einen Sparhaushalt mittragen wird.
Erst kürzlich hatte Thilo Sarrazin, ehemaliger Finanzsenator des rot-roten Senats, seine „durchweg positive“ Zusammenarbeit mit der Linkspartei gelobt. „In mancherlei Hinsicht war die Haushaltskonsolidierung mit ihnen leichter als mit den eigenen Parteigenossen“, so der SPD-Politiker, der nicht nur für massive Sozialkürzungen in Berlin verantwortlich zeichnete, sondern auch durch rassistische Ausfälle gegen Migranten von sich reden machte.
Der Linken geht es um die Erneuerung einer solch engen Zusammenarbeit um jeden Preis. Sie pocht daher auf die Geheimhaltung der Koalitionsgespräche. Als am Montag Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD) medienwirksam ankündigte, die SPD wolle den Verkehrstarif für Sozialtickets von 36 auf 25 Euro senken, reagierten die Linken-Funktionäre ebenso wie die Grünen verärgert. „Wir haben Stillschweigen vereinbart“, sagte laut Medienberichten Linken-Landeschef Klaus Lederer. „Entweder alle halten sich dran, oder es werden kurze Verhandlungen.“
Auf dem außerordentlichen Landesparteitag der Linken am 30. September, der mit großer Mehrheit für die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen stimmte, hatte Ex-Wirtschaftssenator Harald Wolf die wirkliche Haltung der Linken zu Investitionen in Kitas, Schulen, Verwaltung oder Nahverkehr deutlich gemacht.
Als einige Mitglieder der Berliner Westbezirke Bedingungen für Koalitionsverhandlungen festschreiben wollten, wie den Bau von 100.000 Sozialwohnungen und „ein milliardenschweres Investitionsprogramm“, reagierte Harald Wolf laut Berliner Zeitung wütend. Er wende sich gegen „Beiträge, die das Scheitern von Verhandlungen vorempfinden, bevor diese überhaupt begonnen haben“.
Die Linke will sich bei den Berliner Verhandlungen mit SPD und Grünen alle Optionen offenhalten. Dies betrifft ihre rechte, bürgerliche Politik in Finanz- und Wirtschaftsfragen genauso wie in den Fragen des Sicherheitsapparats. Im Interview mit der Berliner Zeitung erklärte Michael Müller, es müssten „sich alle verantwortlich auch um die weniger populären Fragen der Sicherheit kümmern“. Während des Wahlkampfs hatte die Linke ihre Haltung dazu bereits klargemacht: Sie tritt wie Grüne und SPD für mehr Polizisten und einen starken Staat ein.
Das Zustandekommen einer rot-rot-grünen Koalition in Berlin soll das Testfeld für eine Regierungsbeteiligung auch im Bund sein. Die jüngsten außenpolitischen Konflikte über die Syrienfrage könnten allerdings die Berliner Verhandlungen beeinträchtigen. Die Grünen fordern immer aggressiver ein militärisches Vorgehen gegen Russland, und mancher Grünen-Politiker wie Cem Özdemir würde auch mit der CDU koalieren. SPD-Außenminister Steinmeier vertritt dagegen in der Russland-Frage zurzeit ähnliche Positionen wie die Linken-Spitze um Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi, die eine von den USA unabhängigere Linie verfolgen, die sich am Interesse des deutschen Imperialismus orientiert.
Um dennoch eine rot-rot-grüne Koalition auf den Weg zu bringen, versammelten sich am Dienstag fast 100 Vertreter von Linken, Grünen und SPD aus mehreren Bundesländern hinter verschlossenen Türen in Berlin. Initiiert wurde das Treffen von Axel Schäfer, SPD-Fraktionsvizechef im Bundestag, und Jan Korte, Bundestagsabgeordneter der Linken und Stellvertreter der Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch. Das Referat hielt der Soziologe und Adorno-Schüler Oskar Negt, der sich vehement für ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis stark macht.