Die brasilianische Vereinigte Sozialistische Arbeiterpartei PSTU (Partido Socialista dos Trabalhadores Unificado) informierte am 6. Juli über eine Spaltung in ihrer Organisation. Die Partei ist die größte Sektion des Internationalen Arbeiterbunds (bekannt unter der spanischen Abkürzung LIT), eine internationale Gruppierung, die der verstorbene argentinische Revisionist Nahuel Moreno gründete. Gleich die Hälfte der Mitglieder, 739 Aktivisten und Unterstützer, darunter auch langjährige Mitglieder des Zentralkomitees, gewählte Vertreter und Gewerkschaftsfunktionäre gingen mit einem Manifest an die Öffentlichkeit, in dem sie ihren Bruch mit der Partei bekannt gaben.
Die PSTU-Führung bestätigte die Spaltung umgehend mit einem „freundlichen“ Kommentar. Der Parteivorsitzende Ze Maria sagte in einer Erklärung: „Ich respektiere alle Genossen, die mit uns gebrochen haben“, bezeichnete ihren Schritt aber gleichzeitig als „einen großen Fehler.“ Diejenigen, die der Partei den Rücken kehrten, versicherten, sie hielten die PSTU für nicht „weniger revolutionär als früher“ und bezeichneten die Spaltung als „vorbildliche Trennung, die sich von den häufig explosiven und zerstörerischen Spaltungen der Vergangenheit deutlich unterscheidet.“ Mit einem Wort: die Spaltung ist in ihrem Kern opportunistisch, und die Klärung politischer Fragen und Prinzipien spielte keine Rolle.
Die Bekanntgabe der Spaltung erfolgte inmitten einer tiefen Krise und größeren Umgruppierungen innerhalb der Pseudolinken, deren Ursache im Desaster der Regierung der Arbeiterpartei (PT) von Präsidentin Dilma Rousseff zu suchen ist.
Als Grund für die Spaltung wurde vor allem die taktische Losung genannt, die die PSTU-Führung während der rechten Offensive zur Amtsenthebung Rousseffs ausgegeben hatte: „Fora Todos“ oder „Werft sie alle raus“. Mit dieser Forderung verschaffte sie der rechten Kampagne zum Sturz Rousseffs, die sich auf obere Schichten der Mittelklasse stützte, einen linken Deckmantel. Die PSTU versäumte es, die brasilianischen Arbeiter vor den großen Gefahren zu warnen, die damit verbunden sind. Bereits zuvor hatte die Partei den Putsch in der Ukraine und die imperialistische Operation mit dem Ziel eines Regimewechsels in Syrien unterstützt. Nun beteiligte sie sich im eigenen Land an demselben Prozess.
Fast ein Jahr lang ignorierte die PSTU die Sorgen breiter Schichten der brasilianischen Bevölkerung über die verfassungsfeindlichen Methoden der Rousseff-Gegner, die ihre Amtsenthebungskampagne auf die fadenscheinigen Vorwürfe stützten, Rousseff hätte den Haushalt manipuliert. Die PSTU blendete auch den scharfen Rechtsruck der Interimsregierung unter Michel Temer, Rousseffs ehemaligen Vizepräsidenten, aus. Geht es nach der Führungsriege der PSTU, dann hat sich durch den Umstand, dass die Kampagne gegen Rousseff vom rechten Flügel der ehemaligen Verbündeten der PT ausging, nicht wirklich etwas geändert. Die Amtsenthebung Rousseffs wird in ihren Augen höchstens das Ende der gesamten bürgerlichen Ordnung beschleunigen und die „Linke“ der Macht näherbringen.
Die Gruppe, die sich abspaltete, hat die Gründung einer neuen Partei, der „Bewegung für eine unabhängige sozialistische Alternative“ (portugiesisch abgekürzt MAIS), angekündigt. Die Spaltung und die Gründung der neuen Organisation sind das Ergebnis eines gewaltigen Klassendrucks, der von der tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise des brasilianischen Kapitalismus erzeugt wird.
Die MAIS-Gründer reagierten insbesondere auf den Druck aus dem breiten kleinbürgerlichen Milieu der Pseudolinken, die den Slogan der PSTU, „Werft sie alle raus“, vehement ablehnten. Die politischen Kräfte im Dunstkreis des korrupten bürgerlichen PT-Apparats, die zum Teil eng mit der Gewerkschaftsbürokratie und dem akademischen Milieu im Süden und Südosten Brasiliens verbunden sind, fürchten, das Fiasko der PT könnte nicht nur zum Sturz von Rousseff, sondern auch zum weiteren Zusammenbruch des politischen Netzwerks führen, in dem sie selbst operieren. Zu diesem Netzwerk gehören die Gewerkschaften und die nationalistischen „sozialen Bewegungen“ wie die bekannte „Bewegung landloser Arbeiter“ oder deren städtisches Pendant, die „Bewegung obdachloser Arbeiter“ unter der Führung des Antimarxisten Guilherme Boulos.
Diese Motivation fand in der ersten öffentlichen Bekanntmachung der neuen Organisation einen deutlichen Ausdruck. Nachdem sie sich von der PSTU-Führung losgemacht hat, kann die MAIS nun endlich ohne Einschränkungen die „Temer raus“-Demonstrationen der Pseudolinken und der anderen Verbündeten der PT unterstützen. Diese Proteste dienen der Politik der PT-Führung, die sich nicht an die breiten Massen und schon gar nicht an die Arbeiterklasse wandte, um gegen das Amtsenthebungsverfahren zu kämpfen. Stattdessen führte sie Hinterzimmer-Verhandlungen, um das Amtsenthebungsverfahren im Senat zu blockieren, und versprach, eine rechte politische Agenda voranzutreiben, sollte sie wieder an die Regierung kommen.
Es überrascht nicht, dass das erste öffentliche Dokument von MAIS, das Manifest vom 6. Juli mit dem Titel „Man muss die Freude aus der Zukunft reißen“ (nach einem Gedicht von Majakowski), sowie die Reden bei ihrer Gründungsversammlung am 23. Juli nicht den Versuch unternahmen, die vergangene Politik der PSTU einer Bestandsaufnahme zu unterziehen. Die pro-imperialistischen Positionen der PSTU und ihrer internationalen Verbündeten in der LIT, die den Putsch in der Ukraine und die imperialistischen Operationen für Regimewechsel in Libyen und Syrien unterstützt haben, werden mit keinem Wort erwähnt. Man darf annehmen, dass MAIS dieselbe Politik unterstützten wird.
In seiner Abschlussrede auf der Gründungskonferenz am 23. Juli konstatierte Valerio Arcary, ein Universitätsprofessor, der Mitbegründer der PSTU und ihr ehemaliger Vorsitzender war, dass vor der Spaltung „sechs Bände“ an Dokumenten verfasst worden seien. Doch nichts davon scheint so bedeutsam zu sein, dass es die brasilianische Arbeiterklasse über die Aufgaben und Gefahren, mit denen sie konfrontiert ist, aufklären könnte. Die Öffentlichkeit erfährt lediglich, dass es eine „freundliche Spaltung“ gegeben habe, dass MAIS die PSTU weiterhin als revolutionäre Partei betrachte und sogar auf den Wahllisten der PSTU Kandidaten platzieren wolle, weil sie selbst noch keinen offiziellen rechtlichen Status genießt.
Wofür steht dann diese neue Partei? Die Antwort auf die Frage ist die „Einheit der Linken“, eine alte Formel, die sich in der Geschichte gründlich diskreditiert hat. Diese Einheit wird immer auf der Basis des kleinsten gemeinsamen politischen Nenners und nach rein nationalen und taktischen Überlegungen gesucht. Dabei dürfen die von der PT dominierte Gewerkschaftsbürokratie, antimarxistische Akademiker und Stalinisten der Kommunistischen Partei Brasiliens auf keinen Fall fehlen.
Diese politische Linie hat nichts mit einem radikalen Bruch mit der Politik der PSTU oder mit der politischen Tendenz des Morenoismus, zu der die PSTU gehört, zu tun. Moreno gehörte zu denen, die 1963 mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale brachen, weil sie einen Kampf für die internationale Einheit und politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse auf der Basis eines revolutionären sozialistischen Programms ablehnten. Stattdessen passten sie sich an den Castroismus, den Stalinismus und bürgerlichen Nationalismus an, insbesondere die peronistische Bewegung in Argentinien.
Die brasilianische Moreno-Gruppe, aus der später die PSTU hervorging, gehörte zu den Revisionisten, die mit dem IKVI gebrochen und dann die Hauptrolle bei der Gründung und dem Aufbau der Arbeiterpartei (PT) gespielt hatten. In den späten 1970er Jahren, als die seit zwanzig Jahren regierende und von den USA unterstützte Militärdiktatur von einer Welle militanter Arbeiterkämpfe erschüttert wurde, hoben sie in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaftsbürokratie, Teilen der katholischen Kirche und brasilianischen Akademikern die PT aus der Taufe. Sie wurde als neuer parlamentarischer Weg Brasiliens zum Sozialismus dargestellt, der den Aufbau einer revolutionären marxistischen Partei in der Arbeiterklasse ersetzte.
Die Moreno-Tendenz löste sich zwölf Jahre lang in der PT auf. Diese Partei war und ist, ungeachtet ihres Namens, eine bürgerliche Partei, die nicht von Arbeitern, sondern von privilegierten Teilen der oberen brasilianischen Mittelklasse dominiert wird. Die Moreno-Anhänger wurden später aus der PT ausgeschlossen, als diese unter der Führung von Luiz Inacio Lula da Silva, dem ehemaligen Vorsitzenden der Metallarbeitergewerkschaft, immer weiter nach rechts ging und zum bevorzugten politischen Werkzeug der brasilianischen Kapitalistenklasse wurde.
Auch nachdem sich die PSTU 1993 als eigenständige Partei konstituiert hatte, bestand ihre politische Rolle darin, die Arbeiterklasse der bürgerlichen Politik unterzuordnen. In den vergangenen Jahren hat sie sich ständig darum bemüht, bei Wahlen eine „Linke Front“ mit den Stalinisten der Kommunistischen Partei Brasiliens (PCB) und der bürgerlichen PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit), die von ausgeschlossenen PT-Funktionären gegründet wurde, zu bilden. Diese Front sollte sich auf ein gemeinsames „linkes“ kapitalistisches Programm stützen.
In ihrem Streben nach einer „Einheit der Linken“ hat sich die MAIS also kaum von der Partei entfernt, von der sie sich abgespalten hat. Sowohl die PSOL als auch die Kommunistische Partei Brasiliens und eine Reihe anderer pseudolinker Gruppen entsandten Redner zu ihren Gründungsveranstaltungen.
Dennoch künden die Diskussionen, die die Gründung der neuen Organisation begleitet haben, einen weiteren Rechtsruck an. Zu den wenigen Fragen, die MAIS einer Analyse unterzogen hat, gehören die Massendemonstrationen, die Brasilien im April 2013 erschütterten. Bei diesen Protesten gingen hauptsächlich Jugendliche und Teile der Mittelschichten auf die Straße, um gegen die Vernachlässigung der sozialen Infrastruktur, soziale Ungleichheit und die Korruption und Geschäfte der PT-Regierung zu demonstrieren.
Bei den Protesten wurden Mitglieder der PSTU und anderer pseudolinker Gruppen an der Teilnahme gehindert und sogar von weit rechtsstehenden Elementen in der Menschenmenge physisch angegriffen. Es war auffällig bei diesen Demonstrationen, dass die Arbeiterklasse weitgehend abwesend war. Erst in den folgenden Monaten nach dem Beginn der Proteste im Juni 2013 und im Jahr darauf kam es zunehmend zu sozialen Unruhen, die sich zur größten Streikwelle in Brasilien seit zwei Jahrzehnten entwickelten.
MAIS zieht aus dieser Erfahrung die demoralisierende Schlussfolgerung, die Angriffe auf die PSTU und andere seien der „Arroganz“ der Linken zuzuschreiben, weniger der bewussten Intervention der extremen Rechten und der politischen Feindseligkeit breiter Schichten, die die pseudolinken Gruppen zurecht mit der regierenden Arbeiterpartei assoziierten.
Ihrer Analyse zufolge muss die Linke ihre „Arroganz“ ablegen, weil die Massen keinen „Führern gehorchen“ wollen. Was das wirklich bedeutet, ist klar: die strikte Ablehnung des Kampfs für sozialistisches Bewusstsein und den Aufbau einer revolutionären, marxistischen Partei in der Arbeiterklasse.
Die MAIS hat auch deutlich gemacht, dass sich ihr Rechtsruck auf eine Kampagne stützen wird, in der sie die Identitätspolitik, die seit geraumer Zeit an Brasiliens Universitäten propagiert wird, zur neuen Grundlage des politischen Daseins erhebt.
Bei der Gründungsveranstaltung wurde jede Spielart identitätsorientierter kleinbürgerlicher Bewegung gefeiert, vom schwarzen Nationalismus und Feminismus bis zur Befreiung von LGBTs (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender). Keine dieser Bewegungen ist an echten Sozialreformen interessiert, sondern sie orientieren sich vielmehr an der „Stärkung der Rolle der Frau“ und der Entwicklung einer „Minderheitenführung“. Diese Politik zielt darauf ab, den gesellschaftlichen Reichtum unter den obersten 10 Prozent der Gesellschaft anders zu verteilen.
Die Gründung der MAIS und die weitgehend positiven Reaktionen, selbst der PSTU, von der sie sich abgespalten hat, sollen vor allem verhindern, dass aus dem Debakel der PT und aus den Folgen der jahrlangen Unterstützung der Pseudolinken für diese bürgerliche Partei entscheidende politische Lehren gezogen werden. Dies dient der politischen Vorbereitung einer neuen „linken“ Falle für die Arbeiterklasse nach dem Vorbild von Syriza in Griechenland.
Die Ereignisse der Spaltung kompromittieren auch die PSTU selbst. Dass derart opportunistische politische Vorstellungen sich ungehindert in ihren Führungskreisen entwickeln konnten, belegt eindeutig den kleinbürgerlichen, antimarxistischen Charakter dieser Organisation. Die Partei beharrt darauf, dass es keinen wirklichen Anlass für die Spaltung gab und lädt sogar diejenigen, die sich abgespalten haben, ein auf ihren Wahllisten zu kandidieren.
Dasselbe trifft auf die gesamte Bruderschaft der pseudolinken Organisationen zu, die die neue Partei als revolutionäre Kraft begrüßten. Dazu gehört die brasilianische Moreno-Gruppe MRT (Movimento Revolucionário dos Trabalhadores – Revolutionäre Bewegung der Arbeiter), die mit der argentinischen Sozialistischen Arbeiterpartei PTS (Partido de los Trabajadores Socialistas) verbunden ist und die Webseite Esquerda Diário herausgibt.
Diese Gruppierungen verbindet eine gemeinsame politische Methode, die sich an rein nationalen und fraktionellen Fragen orientiert und von einer sozialen Ausrichtung auf privilegierte Schichten der Mittelklasse bestimmt wird. Sie stehen dem echten revolutionären Marxismus feindselig gegenüber. Die marxistische Tradition ist verkörpert in den internationalen strategischen Erfahrungen des Kampfs, den der Trotzkismus für die politische Unabhängigkeit und internationale Einheit der Arbeiterklasse führt.
Ihre Klasseninteressen sind der wesentliche Grund dafür, dass sich die Pseudolinken weigern, sich über ihren politischen Werdegang im letzten halben Jahrhundert seit ihrem Bruch vom Trotzkismus und dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale Rechenschaft abzulegen und die PT und ihre Geschichte einer Klassenanalyse zu unterziehen. Das wird auch in der Gründung der MAIS deutlich.
Die Spaltung der PSTU und die allgemeine „Umgruppierung“ in der brasilianischen Pseudolinken sind Ausdruck der tiefen Krise, die diese ganze soziale Schicht erfasst hat. Unter den Bedingungen des Zusammenbruchs des brasilianischen Kapitalismus sind diese Kräfte immer weniger in der Lage, den Klassenkampf zu unterdrücken.
Die dringendste Aufgabe, die sich aus dieser Krise ergibt, ist der Aufbau einer neuen revolutionären Führung in der Arbeiterklasse. Sie muss sich auf einen unnachgiebigen Kampf gegen diese politischen Tendenzen und auf die historische Auseinandersetzung des Trotzkismus mit dem Revisionismus stützen. Dafür ist es notwendig, eine brasilianische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale aufzubauen.