Die Zeit verteidigt Al-Kaida

Die Wahrheit ist bekanntlich das erste Opfer des Krieges. Das gilt auch für den Syrienkrieg. Was man darüber aus deutschen Nachrichten und Zeitungen erfährt, ist in der Regel reine Propaganda.

Die führenden deutschen Medien zeichnen das Bild eines ungleichen Kampfs zwischen einem blutrünstigen Diktator, der von ebenso brutalen ausländischen Mächten (Iran, Russland) unterstützt wird, und „Rebellen“, die die Bevölkerung gegen die Angriffe des Assad-Regimes und gegen den Terror des Islamischen Staats verteidigen. Von den Nato-Mächten, so die offizielle Darstellung, werden die „Rebellen“ dabei nur höchst ungenügend unterstützt oder sogar sabotiert.

Die historischen und politischen Hintergründe des Konflikts werden ebenso ausgeblendet, wie die politischen und ökonomischen Interessen, welche die USA, Deutschland und andere Nato-Mitglieder im Nahen und Mittleren Osten verfolgen. Vor allem wird sorgfältig vermieden, auf die Rolle und die Ziele der sogenannten „Rebellen“ einzugehen, die von den USA und ihren Verbündeten bewaffnet und unterstützt werden.

Hatten es die deutschen Medien vor zwei Jahren gezielt vermieden, über die faschistische Gesinnung der bewaffneten Milizen zu berichten, die dem sogenannten Euromaidan in der Ukraine zum Erfolg verhalfen, verschweigen sie nun systematisch, dass die Kampfeinheiten der syrischen „Rebellen“ vorwiegend aus islamistischen Dschihadisten bestehen. Die westlichen Mächte arbeiten in Syrien mit denselben Kräften zusammen, die ihnen zuhause als Vorwand für den Aufbau eines Polizeistaats und für Militärinterventionen im Namen des „Kampfs gegen den Terror“ dienen.

Es gibt allerdings Momente, in denen die Maske fällt und mehr gesagt wird, als beabsichtigt war. Ein solcher Fall ist der Artikel „Assad braucht den Krieg“ von Andrea Böhm, der am 11. September auf Zeit Online erschien.

Die in Beirut ansässige Nahost-Korrespondentin des liberalen Wochenblatts ist sichtlich erbost über das Syrien-Abkommen, das die USA und Russland am vergangenen Samstag angekündigt haben. Es handle sich nicht um „ein Abkommen über einen Waffenstillstand“, schreibt sie, sondern vielmehr um „eine Vereinbarung darüber, wer ab Montag wen bombardieren darf“.

Nun ist die Vorstellung, ein Abkommen mit der Unterschrift Washingtons, das in der Region seit 25 Jahren Krieg führt und dabei den Irak, Afghanistan, Libyen und Syrien weitgehend zerstört hat, könne dem geschundenen Land Frieden bringen, absurd. Washington hat der Vereinbarung zugestimmt, um seinen Stellvertretertruppen um Aleppo etwas Luft zu verschaffen, und nutzt gleichzeitig die Berichte über die furchtbare Lage der syrischen Bevölkerung, um unter dem Vorwand von „Menschenrechten“ eine größere militärische Intervention vorzubereiten.

Aber das ist es nicht, was Die Zeit angreift. Böhm ist vielmehr entsetzt darüber, dass die russisch-amerikanische Vereinbarung die „moderaten Rebellen“ anweist, „sich in den nächsten Tagen nicht nur militärisch, sondern auch räumlich von der alten Nusra-Front zu distanzieren“.

„Die nicht dschihadistischen bewaffneten Gruppen, darunter auch die ‚Freie Syrische Armee‘, wähnen sich von den USA und ihren westlichen Verbündeten an Assad und Putin verraten und verkauft“, schimpft Böhm. Und das „aus nachvollziehbaren Gründen“. Die Gruppe sei „die stärkste militärische Fraktion in den Reihen der Anti-Assad-Kräfte... Die weiter erstarkte Ex-Nusra-Front ist inzwischen die Lebensversicherung vieler moderater Rebellengruppen. Diese aufzukündigen, dürften die meisten vermutlich als politischen und militärischen Selbstmord ansehen.“

Böhm lässt keinen Zweifel daran, um wen es sich bei der Nusra-Front handelt. Sie ist, wie sie schreibt, der „Ableger von Al-Kaida in Syrien, der sich vor Kurzem aus taktischen Gründen von dem Terrornetzwerk losgesagt und in ‚Dschabhat Fatah al-Scham‘ umbenannt hat“.

Der syrische Ableger von Al-Kaida, die für die Terroranschläge vom 11. September 2001 verantwortlich war und seither als Vorwand für den „Krieg gegen den Terror“ dient, ist also die „Lebensversicherung“ der syrischen Verbündeten Washingtons und Berlins und die „stärkste militärische Fraktion“ unter den von ihnen unterstützten Assad-Gegnern. Dass Böhms Artikel am 15. Jahrestag von 9/11 erschien, unterstreicht den ungeheuren Zynismus der Zeit.

Man kann sich leicht vorstellen, was auf Syrien zukommt, sollten sich diese Kräfte durchsetzen. Man braucht nur nach Libyen blicken, wo seit dem von den USA und ihren Verbündeten herbeigebombten Sturz des Gaddafi-Regimes zahlreiche Warlords und islamistische Gruppen das Land terrorisieren. Die zahlreichen ethnischen und religiösen Minderheiten, die seit Jahrhunderten in Syrien leben, müssten mit ethnischer Säuberung und Vertreibung rechnen.

Es war bestimmt nicht Böhms Absicht, aber ihr Artikel widerlegt schlagend die Behauptung, das militärische Eingreifen der Westmächte in Syrien diene humanistischen Zielen. Sowohl die USA wie auch Deutschland verfolgen dort imperialistische Interessen – es geht ihnen um die Kontrolle der wichtigsten Öl- und Gasquellen der Welt und einer Region von enormer geostrategischer Bedeutung. Den Tod von Hunderttausenden und die Vertreibung von Millionen nehmen sie dabei bewusst in Kauf.

Es ist bezeichnend, dass dieser Artikel in der Zeit erschien, deren Leserschaft sich vorwiegend aus dem liberalen, der SPD nahestehenden Bildungsbürgertum rekrutiert. Diese Schichten des wohlhabenden Kleinbürgertums wenden sich mit der Verschärfung sozialer und internationaler Spannungen zunehmend nach rechts und begeistern sich für den deutschen Militarismus.

So zählt Zeit-Redakteur Jochen Bittner zu den Wegbereitern einer aggressiven, militärischen deutschen Außenpolitik. Er war Mitautor des Papiers „Neue Macht – Neue Verantwortung“, das die Rückkehr des deutschen Militarismus vorbereitete.

Auch die Grünen, die sich auf dasselbe soziale Milieu stützen, befürworten eine militärische Intervention Deutschlands in Syrien. Ihr verteidigungspolitischer Sprecher, Omid Nouripour, kritisierte im Deutschlandfunk ebenfalls, „dass die Freie Syrische Armee, die sogenannte moderate Opposition, dass eigentlich alle Kräfte, die gegen Assad kämpfen, sich jetzt entflechten müssten von der sogenannten Dschabhat Fatah al-Sham, also der ehemaligen Nusra-Front“.

„Ich weiß gar nicht, wie das gehen soll,“ sagte er. „Im Norden des Landes ist es mittlerweile so, dass die ehemalige Nusra-Front die stärkste Kraft ist gegen Assad, und wenn man sich von denen lossagt, dann müsste man ja ganz viel Land aufgeben. Ich glaube nicht, dass das sehr viele Gruppen bereit sind zu tun.“

Auch die Linkspartei mischt in Syrien kräftig mit. Sie hat sich daran beteiligt, das Assad-Regime zu destabilisieren und die pro-imperialistische syrische Opposition aufzubauen, mit deren Hilfe Washington und auch Berlin das Land in den Bürgerkrieg getrieben haben. Zu ihren wichtigsten Verbündeten zählt der syrische Oppositionelle Michel Kilo, der zu den Wortführern einer westlichen Militärintervention gehört.

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