Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel wies am 26. Juli die Klage eines Vaters ab, der die unsoziale Regelung zum Elterngeld für Hartz IV-Empfänger angefochten hatte. Sie bedeuten, dass für Arbeitslose und Geringverdiener das Elterngeld als Einkommen zählt und mit den Hartz IV-Leistungen verrechnet wird. Schon früher wurde festgelegt, dass auch das Kindergeld auf diese Leistungen angerechnet wird.
Der Vorsitzende Richter des vierten BSG-Senats begründete dieses Urteil gegen arme Familien mit der lapidaren Erklärung, die gesetzlichen Anforderungen seien nicht erfüllt (Az.: B 4 AS 25/15 R). Eine inhaltliche Begründung gab er nicht, nachdem zuvor höchste Sozialrichter die Klage als unzulässig verworfen hatten.
Das Gericht wies auch eine weitere Klage einer Familie aus dem Emsland ab, die zu den Geringverdienern zählt. Diese Familie mit drei minderjährigen Kindern hatte bis Ende 2010 einen Kinderzuschlag erhalten, der verhindern sollte, dass sie aufgrund des niedrigen Einkommens zusätzlich Hartz IV-Leistungen (sogenannte Aufstockung) beantragen muss.
Nach einer Novelle des Elterngeldgesetzes Anfang 2011 wurde ihr jedoch der Kinderzuschlag gestrichen. Nachdem die Ehefrau in Elternzeit ging und den Mindestbetrag des Elterngelds in Höhe von 300 Euro monatlich bezog, stoppte die Bundesagentur für Arbeit die weitere Zahlung des Zuschlags.
In ihrer Klage bezeichnete die Familie dieses Vorgehen als eine Ungleichbehandlung, die gegen die Verfassung verstößt, da bei Bafög-Empfängern und Wohngeldbeziehern das Elterngeld auch nicht als Einkommen angerechnet würde. Sie argumentierte, das Elterngeld sei eine Anerkennung für Erziehungs- und Betreuungsleistungen und nicht ein durch Arbeit erzieltes Einkommen.
Sowohl das Sozialgericht Osnabrück als auch das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen lehnten dies ab. Mit der Zahlung von Elterngeld bestehe für die Familie keine Bedürftigkeit mehr; einen Anspruch auf Kindergeldzuschlag gebe es daher nicht. Dieser Linie folgte auch das Bundessozialgericht. Die Streichung des Zuschlags verstoße nicht gegen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, erläuterte es.
Andersherum gesagt: Lebt jemand bereits am Rande des Existenzminimums, wird ihm kein Recht zugestanden, mehr als dieses Minimum zu bekommen.
Das Elterngeld wurde 2007 eingeführt. Mütter und Väter können seit dieser Zeit bei der Geburt eines Kindes Elterngeld beantragen, das für ein Jahr gezahlt wird. Mütter oder Väter, die zur Kindererziehung vorübergehend aus dem Beruf ausscheiden, erhalten 65 Prozent des letzten Nettolohns, höchstens jedoch 1800 Euro monatlich.
Dieses Gesetz des damaligen SPD-Arbeitsministers Franz Müntefering sollte vor allem gut ausgebildeten, besserverdienenden Eltern der Mittelschicht entgegenkommen, um Familie und Beruf miteinander verbinden zu können. Auf ärmere Alleinerziehende und Geringverdiener war es von vorneherein nicht ausgerichtet. Sie erhalten nur einen monatlichen Sockelbetrag von 300 Euro.
Dasselbe gilt für den Kinderzuschlag. Er ist auf maximal drei Jahre beschränkt, beträgt monatlich maximal 140 Euro und darf nur gezahlt werden, wenn dadurch der Bezug von Hartz IV-Leistungen vermieden wird, also das Familieneinkommen entsprechend niedrig ist.
Das neueste Urteil des Bundessozialgerichts zementiert diese Politik gegen die Armen. Obwohl beide staatliche Leistungen für sozial schwache Familien schon lächerlich gering sind und nur für kurze Zeit gezahlt werden, werden gerade den Familien verwehrt, die es am dringendsten brauchen.
Kinder und Jugendliche sind von dieser Politik besonders hart betroffen. Anfang Juni wurde bekannt, dass nach Daten der Bundesagentur für Arbeit für das Jahr 2015 jedes siebte Kind in Deutschland von Hartz IV-Bezügen seiner Eltern abhängig ist und in Armut lebt. Das betrifft über 1,5 Millionen Kinder. In Städten wie Bremen und Berlin wächst jedes dritte Kind in Armut auf.
Wenn man auch die Familien berücksichtigt, die zwar nicht von Hartz IV, aber von Kinderzuschlägen oder Wohngeld abhängig sind, wären sogar 2,7 Millionen Kinder von Armut betroffen, sagt der Vorsitzende des Deutschen Kinderschutzbunds, Heinz Hilger. Seit der Jahrtausendwende habe sich die Kinderarmut nahezu verdoppelt.
Diese Situation ist das direkte Ergebnis der Agenda 2010 mit den Hartz-IV-Gesetzen, die die rot-grüne Bundesregierung von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Vizekanzler Joschka Fischer (Grüne) vor vierzehn Jahren eingeführt und durchgesetzt hat. In enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften leitete sie den größten Sozialabbau der deutschen Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg ein und legte die Grundlage für einen riesigen Niedriglohnbereich.
Inzwischen können Millionen Menschen nicht mehr von ihrer Arbeit leben und müssen die staatlichen Hartz-IV-Almosen beantragen. Die nachfolgenden Regierungen der Großen Koalition haben die Bedingungen für Arbeitslose und Geringverdiener weiter verschlechtert. Gerade erst hat die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles (SPD), die Sanktionen für jugendliche Hartz IV-Empfänger unter 25 Jahren mit Wirkung zum 1. August verschärft.
Nach zwei Pflichtverletzungen, wie dem vorzeitigen Abbruch eines Bewerbungstrainings und der Ablehnung eines 1-Euro-Jobs, kann das Jobcenter nicht nur die Zahlung des Hartz IV-Regelsatzes streichen, sondern auch die Übernahme von Miet- und Heizkosten. Den betroffenen Jugendlichen droht Hunger, Obdachlosigkeit und letztlich auch ein Abrutschen in Kriminalität.
Ebenfalls in den Verantwortungsbereich von Andrea Nahles fällt ein Gesetzentwurf vom April, der Einwanderer aus ärmeren EU-Staaten wie Rumänien oder Bulgarien, die zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen, für fünf Jahre von jeglichem Anspruch auf Hartz IV oder Sozialhilfe ausschließen soll. Das Gesetz schürt Chauvinismus und Rassismus und ist zugleich ein massiver Einschnitt in die sozialen Rechte aller Arbeiter in Europa.
Die Angriffe der Regierung auf Arbeitslose und Arme werden immer dreister und nahezu sadistisch. Am 22. Juli berichtete die Süddeutsche Zeitung von einem Papier aus dem Bundesarbeitsministerium, das die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter anweist, sich bei verschuldeten Arbeitslosen nicht mehr auf außergerichtliche Einigungen einzulassen, außer in besonderen Härtefällen.
Arbeitslosigkeit ist die wichtigste Ursache für Überschuldung. Jeder fünfte deutsche Schuldner im vergangenen Jahr gab den Verlust des Arbeitsplatzes als Grund an. Gleichzeitig ist die Verschuldung ein zusätzliches Hindernis für eine neue Anstellung.
Man sollte meinen, dass es auch im Interesse der Jobcenter wäre, wenn Arbeitslose nicht in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden. Stattdessen nutzen sie jedoch die staatlich geschaffene Notlage aus und verleihen selbst Geld an Arbeitslose. Im letzten Jahr erreichten die Darlehen, die Hartz IV-Empfänger für Anschaffungen wie beispielsweise einen Kühlschrank bekamen, eine Summe von 86,4 Millionen Euro. Die Summe, die Arbeitslose durchschnittlich erhalten und dann an das Jobcenter zurückzahlen müssen, liegt bei 430 Euro.
Auch Aufstocker häufen Schulden beim Jobcenter an, weil ihr Einkommen und damit die Unterstützung vom Jobcenter schwankt und sie zeitverzögert das Geld zurückzahlen müssen. Laut Statistischem Bundesamt sind Aufstocker überproportional häufig überschuldet.
Um das verliehene Geld bei ihren armen und arbeitslosen Schuldnern wieder einzutreiben, hat die Arbeitsagentur nun seit Anfang dieses Jahres einen eigenen Inkasso-Dienst eingerichtet. Sie verspricht sich davon Mehreinnahmen von rund 70 Millionen Euro.
Schuldnerberater machen seitdem die Erfahrung, dass sich die Jobcenter nicht mehr auf Verhandlungen für eine außergerichtliche Einigung einlassen. „Wir haben de facto mit dem Inkasso-Service keinen Partner, der Vergleiche schließt“, zitiert die Süddeutsche Zeitung Matthias Butenob von der Schuldnerberatung Hamburg.