Bundesarbeitsgericht erklärt Streik der Vorfeldlotsen für „rechtswidrig“

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat am 26. Juli einen Streik der Vorfeldlotsen für rechtswidrig erklärt. Wegen dieses Streiks im Februar 2012 muss die Lotsengewerkschaft GdF nun Schadensersatz an die Flughafenbetreibergesellschaft Fraport AG in Millionenhöhe bezahlen.

Damals, im Februar 2012, hatten die Vorfeldlotsen neun Tage lang den Betrieb auf dem Rhein Main Airport bestreikt, um einen Schlichterspruch durchzusetzen, der ihnen einen eigenen Tarifvertrag mit besserem Lohn und kürzeren Arbeitszeiten bescheren sollte. Vorfeldlotsen sind Flughafen-Mitarbeiter, die den Verkehr auf dem Rollfeld koordinieren und als Flugzeugeinweiser und „Follow-me“-Fahrer die großen Maschinen vor dem Start und nach der Landung begleiten und sichern.

Die Fraport AG wollte den bereits vorliegenden Schlichterspruch nicht akzeptieren, obwohl sie den Schlichter, das CDU-Mitglied Ole von Beust, zuvor selbst ausgesucht hatte, und zog sowohl gegen den laufenden Streik als auch für eine hohe Schadensersatzforderung vor Gericht.

Auch die DGB-Gewerkschaft Verdi und ihr Betriebsratschef bei Fraport, Edgar Stejskal, fielen damals dem Arbeitskampf in den Rücken und solidarisierten sich mit dem damaligen Fraport-Arbeitsdirektor Herbert Mai, einem früheren Gewerkschaftsführer des Verdi-Vorläufers ÖTV, der den Streik einer „Splittergruppe“ als „schädlich für den sozialen Frieden“ beschimpfte.

Noch während des Streiks urteilte das Arbeitsgericht Frankfurt am 29. Februar 2012, der Arbeitskampf der Vorfeldlotsen sei rechtswidrig, weil ein Teil der Forderungen immer noch der Friedenspflicht unterlägen. Die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) beendete daraufhin ihren Streik und sagte auch einen geplanten weiteren Streik der Tower-Lotsen ab. Diese hatten geplant, zur Unterstützung ihrer Kollegen auf dem Vorfeld ebenfalls in Streik zu treten.

Im März 2012 wurde der Tarifstreit schließlich beigelegt, indem sich GdF und Fraport AG auf einen neuen Tarifvertrag für die Vorfeldlotsen einigten, dessen Bedingungen jedoch weit unterhalb der ursprünglichen Forderungen lagen.

Fraport AG forderte indessen Schadensersatz in Höhe von rund 5,2 Millionen Euro und wurde darin von Lufthansa und Air Berlin bestärkt, die ebenfalls vor Gericht eine finanzielle Entschädigung für ausgefallene Flüge erstreiten wollten. Durch den Streik im Februar 2012 waren fast 1700 Flüge ausgefallen.

Im März 2013 entschied das Arbeitsgericht Frankfurt zugunsten der GdF und wies die Forderungen auf Schadensersatz ab. Die Frankfurter Arbeitsrichter urteilten damals, auch wenn es in diesem Arbeitskampf nur um die Gehälter von 200 Vorfeldlotsen gegangen sei, sei er dennoch nicht, wie die Kläger behauptet hatten, unverhältnismäßig gewesen. Der Arbeitskampf sei „weit davon entfernt“ gewesen, die betroffenen Unternehmen Fraport AG und Lufthansa in ihrer Existenz zu gefährden, und der Streik habe zu keinem Zeitpunkt das Gemeinwohl bedroht. Die Folgen des angekündigten Unterstützerstreiks der Tower-Lotsen auf den Flughafenbetrieb seien überhaupt nicht feststellbar, da dieser Streik ja gar nicht stattgefunden habe, urteilten die Richter damals.

Auch das hessische Landesarbeitsgericht bestätigte ein halbes Jahr später dieses Urteil. Diese zweite gerichtliche Instanz sah den Streik der Vorfeldlotsen ausdrücklich nicht als unrechtmäßig an und argumentierte damals, auch ohne die Detailfehler bei der Aufkündigung des Tarifvertrags während der Friedenspflicht wäre der Streik letztendlich nicht wesentlich anders verlaufen.

Dem hat nun der erste Senat des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt unter der BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt klar widersprochen. Die Klagen der nur mittelbar betroffenen Lufthansa und Air Berlin, gegen die sich der Streik gar nicht gerichtet hatte, wurden zwar abgewiesen, aber die Fraport AG hat in Erfurt Recht bekommen und kann ihre Schadensersatzforderung in Millionenhöhe jetzt vor dem zuständigen Hessischen Landesarbeitsgericht erneut vorbringen.

Das Urteil von Erfurt ist ein klarer Angriff auf das Streikrecht und besonders auf die kleinen Spartengewerkschaften. Eine Entschädigung an Fraport AG in Millionenhöhe könnte eine Gewerkschaft wie die GdF, die weniger als 4000 Mitglieder hat, in ihrer Existenz bedrohen. Das jetzige BAG-Urteil geht weit über alle früheren Urteile hinaus. Die online-Zeitung airliners.de schreibt: „Schadenersatzzahlungen von Gewerkschaften für die Folgen von Arbeitskämpfen sind bisher in Deutschland eher die Ausnahme.“

Das Urteil stellt einen Paradigmenwechsel dar. Alle bisherigen Urteile in dieser Sache hatten den damaligen Formfehler der GdF als bloße „Detailfrage“ behandelt. Das Frankfurter Arbeitsgericht, das im Februar 2012 durch sein Urteil den Abbruch des Streiks bewirkte, hatte sogar vorgeschlagen, auf einen Richterspruch ganz zu verzichten, wenn sich die Tarifpartner erneut zusammensetzen würden. Das Gericht sah keinen akuten Grund für den Abbruch des Streiks, der ohnehin nur einen weiteren Tag gedauert hätte. Dem widersprach damals nur die Unternehmerseite der Fraport AG.

Schon damals hatte Thomas Ubber, der Anwalt der klagenden Konzernparteien, der GdF mit der „möglichen Auslöschung“ gedroht, wie airliners.de berichtete. GdF-Chef Matthias Maas wies zu Recht darauf hin, dass eine Gewerkschaft, die sich „wegen jeder Kleinigkeit potenziellen Millionenschäden gegenübersieht“, in der Wahrung von Arbeitnehmerinteressen nicht mehr frei entscheiden könne.

Das Streikrecht steht seit über einem Jahr unter immer massiveren Angriffen von Seiten der großen Konzerne, der Regierung und der DGB-Gewerkschaften.

Im Mai 2015 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Tarifeinheit verabschiedet. Es richtet sich gegen die Spartengewerkschaften und besagt, dass Tarifverträge in einem Betrieb, in dem es mehrere Gewerkschaften gibt, nur mit jener Gewerkschaft abgeschlossen werden müssen, die unter ein und derselben Arbeitnehmergruppe die meisten Mitglieder hat. Vorgelegt hatte das Gesetz die Sozialministerin Andrea Nahles (SPD). Das Gesetz zielt darauf ab, mit Hilfe der DGB-Gewerkschaften jede selbständige Regung in den Betrieben unter Kontrolle zu halten und zu unterdrücken.

Die Streiks im Fluglotsenbereich sind den Luftfahrtkonzernen ein besonderer Dorn im Auge. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Matthias von Randow, hat schon vor Monaten angekündigt, sich dafür stark zu machen, dass jedem Fluglotsenstreik zwangsläufig eine Schlichtung vorgeschaltet werden müsse.

Im Januar 2016 hat die irische Fluggesellschaft Ryanair eine Online-Petition gestartet, um von der EU-Kommission ein Verbot aller Fluglotsenstreiks in Europa zu erwirken. Ein Ergebnis dieser Petition namens „Keep Europe’s Skies Open“ ist bisher nicht bekannt.

Die größte Gefahr für das Streikrecht und alle Arbeiterrechte geht von den Gewerkschaften selbst aus. Sie ordnen sich vollständig dem kapitalistischen System unter und sehen ihre Hauptaufgabe darin den Klassenkampf zu unterdrücken. Die DGB-Gewerkschaften wie Verdi an den Flughäfen haben den Kampf für einheitliche Lohntarife und vernünftige Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten längst den wirtschaftlichen Interessen der Luftfahrtkonzerne geopfert. Im Namen der Wettbewerbsfähigkeit lassen sie zu, dass Konzerne wie Fraport und Lufthansa Entlassungen und Lohndumping durchsetzen und immer größere Bereiche an die Leihfirmen übertragen, deren Arbeiter überhaupt keine Interessenvertretung haben.

Gerade die Rollfelder, von denen hunderte als schlecht bezahlter Leiharbeiter bei größter Hitze und Wind und Wetter die Flugzeuge beladen, warten und säubern und ihre Gesundheit ruinieren, geben einen Einblick in den jahrzehntelangen gewerkschaftlichen Ausverkauf.

Es ist kein Zufall, dass BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt auf Vorschlag von SPD und DGB Mitte der neunziger Jahre als Richterin zum Bundesarbeitsgericht berufen wurde. Ende Oktober vergangenen Jahres hielt sie als Präsidentin des Bundesarbeitsgerichtes auf dem die Festrede zum Deutschen Betriebsräte-Preis in der sie die Mitbestimmung und die Arbeit der Betriebsräte über den Klee lobte.

Aber auch die Spartengewerkschaften sind letztlich keine Alternative. Die GdF, Ufo, Vereinigung Cockpit, die Lokführergewerkschaft GdL, die Ärztegewerkschaft Marburger Bund oder die neu entstandene Flughafengewerkschaft IGL sind alle als Reaktion auf den Verrat der DGB-Gewerkschaften entstanden, aber sie teilen alle deren nationalistische und pro-kapitalistische Perspektive.

Die Spartengewerkschaften konzentrieren sich noch ausschließlicher auf einen einzigen Berufsstand. Sie sind für die internationale politische Entwicklung, die hinter den Angriffen steht, völlig blind. So hat in Frankfurt keine einzige Gewerkschaft auf den Streik der Fluglotsen vor zwei Monaten in Frankreich und Belgien reagiert.

Die WSWS wies schon vor über einem Jahr auf den Zusammenhang zwischen der Einführung des Tarifeinheitsgesetzes und der Wiederkehr des deutschen Militarismus‘ hin. Damals schrieb die WSWS: „Es wäre eine Illusion zu glauben, Spartengewerkschaften oder militantere Gewerkschaften könnten die Interessen der Arbeiter verteidigen. Während in den Betrieben der Widerstand gegen die korrupten Machenschaften der Gewerkschaften wächst, wird von Tag zu Tag deutlicher, dass der Kampf gegen Entlassungen und Sozialabbau direkt mit dem Kampf gegen Militarismus und Krieg verbunden ist.

Die Arbeiterklasse ist mit politischen Aufgaben konfrontiert… Sie [benötigt] eine politische Perspektive, die zwei Grundsätze vereint: Ersten muss sie international orientiert und auf eine weltweite Zusammenarbeit der Arbeiter ausgerichtet sein. Und zweitens muss sie sich gegen das kapitalistische Profitsystem mit seiner ständigen Verschärfung der Ausbeutung richten, d.h. sie muss sozialistisch sein.“

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