Auf einer außerordentlichen Pressekonferenz kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern einen Neun-Punkte-Plan zur inneren Sicherheit an. Er umfasst mehr Geld und mehr Personal für die Sicherheitsbehörden, eine engere Zusammenarbeit der europäischen und internationalen Geheimdienste, gemeinsame Übungen von Polizei und Bundeswehr, die Einführung eines nationalen Ein- und Ausreiseregisters sowie die beschleunigte Abschiebung von Asylbewerbern.
Angela Merkel unterbrach für die Pressekonferenz eigens ihren Sommerurlaub und nutzte die Medienhysterie, die seit den Anschlägen der vergangenen Tage geschürt wird, für die Ankündigung eines Law-and-Order-Programms. Obwohl die polizeilichen Ermittlungen noch in vollem Gang sind, sprach Merkel von „islamistischem Terror“ und bezeichnete die Anschläge von Würzburg und Ansbach als „zivilisatorischen Tabubruch“. Die Hintermänner, drohte sie, bekämen „die ganze Härte des Rechtsstaats“ zu spüren.
In einem Atemzug sprach Merkel über die Anschläge in Würzburg und Ansbach, über den „schrecklichen Terroranschlag“ im französischen Nizza, über den Anschlag im amerikanischen Orlando und über den jüngsten Mord an einem französischen Priester. Es sei das Ziel der Terroristen, „unsere Art zu leben zu zersetzen. Sie säen Hass und Angst zwischen den Kulturen und sie säen Hass und Angst zwischen den Religionen“, sagte die Kanzlerin.
Merkel war bisher mit dem Begriff „Krieg gegen Terror“ zurückhaltend umgegangen. Doch nun erklärte sie, Deutschland kämpfe an der Seite Frankreichs und seiner weiteren Verbündeten gegen den Terrorismus. Das sei ein „Kampf oder Krieg gegen den Terror“. Deutschland leiste mit den Tornado-Jets der Bundeswehr einen wichtigen Beitrag.
Merkel wiederholte ihre Aussage „Wir schaffen das!“ vom vergangenen Jahr, die damals als Bestandteil der so genannten Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen ausgelegt wurde. Doch auf der gestrigen Pressekonferenz klang das ganz anders. Merkel stellte eine direkte Verbindung zwischen den Anschlägen und der Flüchtlingsfrage her und stimmte so in die Hetze gegen Flüchtlinge ein.
Sie finde es „erschütternd, bedrückend und auch deprimierend“, dass die Taten in Würzburg und Ansbach von Flüchtlingen verübt worden seien, „die in Deutschland Schutz suchten oder vorgaben, Schutz zu suchen“ sagte Merkel. Die Täter „verhöhnen das Land, das sie aufgenommen hat“.
Dass Merkel den grausamen Anschlag vom 14. Juli in Nizza, bei dem ein 31-jähriger Tunesier mit einem LKW in eine feiernde Menschenmenge fuhr, 84 Menschen aus 21 Nationen tötete und mehr als 300 weitere zum Teil schwer verletzte, und das Attentat in einem Homosexuellen-Club in Orlando vom 12. Juni, bei dem 49 Menschen getötet und 53 verletzt wurden, mit den jüngsten Anschlägen in Würzburg und Ansbach auf eine Stufe stellt, zeigt ihre politische Absicht. Sie schürt die Terrorangst und heizt ausländerfeindliche Stimmungen an, um eine seit langem geplante Ausweitung der Sicherheitsbehörden, eine Stärkung der Geheimdienste und den Einsatz der Bundeswehr im Inneren durchzusetzen.
Ohne die Grausamkeit der Taten in Würzburg und Ansbach herunterzuspielen, hatten sie doch eine andere Dimension als die Anschläge in Frankreich und den USA. Bei beiden gab es zwar schlimmste Verletzungen, ums Leben kam aber nur der Täter.
In Würzburg attackierte ein siebzehnjähriger Flüchtling aus Afghanistan in einem Regionalzug eine Reisegruppe mit einer Axt und einem Messer und verletzte vier Personen. Kurz danach wurde er von SEK-Polizeibeamten erschossen. In Ansbach verübte ein offenbar psychisch gestörter 27-jähriger Mann, der im vergangenen Jahr aus Syrien nach Deutschland geflüchtet war, einen Selbstmordanschlag. Er zündete am Eingang eines Musikfestivals einen Sprengsatz, der ihn tötete und 15 Menschen verletzte, vier davon schwer.
Merkel bezeichnet diese Taten als „zivilisatorischen Tabubruch“ und stellt sie in direkten Zusammenhang mit den Anschlägen in Frankreich und den USA, um damit die innere Aufrüstung und den Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu rechtfertigen.
Bemerkenswert ist, dass sie die größte Gewalttat der vergangenen Tage in Deutschland, den Amoklauf eines 18-Jährigen in München am vergangenen Freitag, nur nebenbei erwähnte. Der Jugendliche hatte in einem McDonald's-Restaurant und einem gutbesuchten Einkaufszentrum der bayerische Landeshauptstadt neun vornehmlich junge Menschen erschossen und 27 weitere verletzt, zehn von ihnen schwer. Anschließend erschoss er sich selbst.
Merkel bemerkte dazu nur, die mörderische Gewalt könne jeden treffen und sei gerade deshalb so schrecklich. Der Münchner Amoklauf passt nicht in ihre Propaganda vom Krieg gegen den islamistischen Terror. Die Medien hatten zwar auch beim Münchner Massaker anfangs intensiv über einen terroristischen und islamistischen Hintergrund spekuliert, doch es wurde bald klar, dass es sich um einen rechtsradikalen Amokläufer handelte, der sich den Attentäter von Oslo und Utoya, Anders Breivik, zum Vorbild nahm.
Mittlerweile ist bekannt, dass der deutsch-iranische Jugendliche von Adolf Hitler schwärmte. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete mit Verweis auf Ermittlerkreise, er habe es als besondere Fügung verstanden, dass sein Geburtstag auf den selben Tag wie der des „Führers“ fiel. Er sei häufig durch fremdenfeindliche Äußerungen und Sympathiebekundungen für die AfD aufgefallen.
In diesem Zusammenhang sprach Merkel nicht von „zivilisatorischem Tabubruch“. Kein Wort von ihr dazu, dass diese rechtsradikale und faschistische Orientierung eines Jugendlichen nicht losgelöst von der gesellschaftlichen Entwicklung, dem ständigen Schüren von ausländerfeindlichen Stimmungen und der Hetze gegen Muslime verstanden werden kann. Stattdessen pries Merkel das Verhalten der bayerischen Polizei und der Sicherheitsbehörden. Diese hatten den Münchner Amoklauf für einen gigantischen Polizeiaufmarsch missbraucht.
Dieses Verharmlosen und Vertuschen rechtsextremen Terrors hat in Deutschland Tradition. So starben 1980 beim Oktoberfestattentat in München zwölf Menschen und über 200 wurden zum Teil schwer verletzt. Trotz zahlreicher Beweise, dass hinter dem Anschlag ein rechtes Netzwerk steckte, legten sich die Ermittler rasch auf die Einzeltäterthese fest.
Und zwischen 2000 bis 2007 ermordete der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), in dessen Umfeld Geheimdienste und Polizei zwei Dutzend V-Leute stationiert hatten, neun Migranten und eine Polizistin. Wo dabei die staatlichen Aktivitäten aufhörten und die rechtsterroristischen begannen, konnte in mehreren parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und im NSU-Prozess in München nicht geklärt werden. Immer wieder wurden Akten vernichtet, Zeugen kamen unter mysteriösen Umständen ums Leben und Verfassungsschutzagenten erhielten keine Aussagegenehmigung.
Nun wird dieser von rechtsradikalen Seilschaften durchsetzte Sicherheitsapparat noch weiter ausgebaut und gestärkt.
Am Morgen vor Merkels Regierungserklärung gab die bayerische Landesregierung, die sich zu einer Kabinettsklausur am Tegernsee zurückgezogen hatte, ihr eigenes „umfangreiches Sicherheitspaket“ bekannt. Es umfasst mehr Stellen und verbesserte Ausrüstung für die Polizei, mehr Personal bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten sowie einen Ausbau der Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen und Straßen, an Bahnhöfen und in Zügen.
Hinzu kommt die Ausweitung der sogenannten Vorratsdatenspeicherung. Wie Telefonunternehmen sollen auch Anbieter von E-Mail-Diensten und sozialen Medien verpflichtet werden, Verkehrsdaten zu speichern. Zudem soll die Frist von zehn Wochen zur Speicherung der Daten „deutlich“ gesteigert werden. Außerdem sollen Strafen etwa bei Widerstand gegen Polizeibeamte auf mindestens sechs Monate bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe erhöht werden.
Zu dem bayrischen Sicherheitspaket befragt, erklärte Merkel auf der Pressekonferenz: „In diesen Fragen haben wir viel Übereinstimmung.“