Am Montag besuchten Reporter der WSWS die Siedlung Westend, wo sich seit 2014 der Widerstand gegen den geplanten Abriss der Wohnungen durch die Deutsche Wohnen AG formiert hat.
Die Siedlung mit 212 Wohnungen auf ehemaligem Grunewald-Gelände wurde in den fünfziger Jahren für die britischen Besatzungssoldaten und ihre Familien gebaut. Nach dem Abzug der britischen Besatzer 1993 wechselte das Eigentum vom Bundesvermögensamt zur Eisenbahn-Siedlungsgesellschaft, die 2006 mit der GEHAG fusionierte und zusammen mit dieser 2007 von der Deutsche Wohnen AG geschluckt wurde.
Wir treffen Steffen Unger (34), Sprecher der Bürgerinitiative Siedlung-Westend, zwischen den zweistöckigen Hausreihen, die in rechten Winkeln versetzt und mit viel Grün zwischen den einzelnen Blocks angeordnet sind. Uralte Bäume spenden Schatten, die großen Wiesen bieten Platz für spielende Kinder oder auch Wäscheleinen. Von der nahen, stark befahrenen Heerstraße hört und sieht man nichts. In der Nähe sind ein Krankenhaus und eine Schule. Und wenn man sich erholen will, erreicht man mit wenigen Schritten den Grunewald.
Weitere Mieter sind dazugekommen, um mit uns zu sprechen und uns die Siedlung zu zeigen: Achim Schüler (59), der als Diplomingenieur im Stahlhallenbau arbeitet, die ehemalige Verwaltungsangestellte und jetzige Rentnerin Monika Gronert, und Michael Fuchs, Vermessungsingenieur und inzwischen ebenfalls Rentner.
Sie wohnen gerne in der Siedlung, obwohl sie eine Erneuerung und Instandsetzung dringend befürworten würden. Ein Abriss der Wohnungen, so befürchten sie, bedeutet jedoch ihre Verdrängung.
Seit die Deutsche Wohnen AG vor nahezu zehn Jahren die Wohnungen übernommen hat, habe sie nur die Mieten erhöht und keine Instandsetzungen mehr durchgeführt, berichtet Monika Gronert. Ähnlich wie in anderen Bezirken Berlins zahlen die Mieter je nach Zeitpunkt des Einzugs von unter 6 Euro bis rund 8 Euro pro Quadratmeter nettokalt -- immer noch „bezahlbar“, wie Steffen Unger findet, der erst 2013 eingezogen ist.
Die Wohnungen in den geplanten Neubauten könnten sie sich nicht mehr leisten. Den Eindruck, dass das Unternehmen die gute Lage nahe am Grunewald nutzen will, um lukrative Wohnungen für Besserverdienende zu bauen, haben auch die anderen.
Nach der Übergabe der Siedlung an die Eisenbahn-Siedlungsgesellschaft 1996 habe man zumindest Sanierungspläne diskutiert, auch die Aufstockung um eine Etage, berichten sie. „Aber dann kam Bundeskanzler Schröder und forderte, Berlin soll doch das Tafelsilber verkaufen, um die Schulden abzubauen“, sagt Monika Gronert. Genau diese Politik habe der Wowereit-Senat durchgeführt, die Wasser- und Stromversorgung und auch Wohnungsgesellschaften privatisiert.
Den Versprechungen des Unternehmens und der Bezirkspolitiker, auch nach dem Neubau „bezahlbare Wohnungen“ für die Altmieter zur Verfügung zu stellen, misstrauen die Westend-Mieter. „Was heißt hier schon bezahlbar“, sagt Achim Schüler. „Es ist doch immer die Frage, für wen bezahlbar? Der eine kauft sich einen Golf, der andere einen Porsche.“ Die Bewohner der Siedlung hätten alle gearbeitet oder arbeiten noch. Sie gehören nicht zu den Hartz4-Empfängern und den Allerärmsten, die einen Wohnberechtigungsschein bekommen würden, fügt der Ingenieur hinzu. „Aber wir wollen doch nicht alles für die Wohnung ausgeben müssen und auch noch etwas zum Leben übrig haben.“
„Bezahlbarer Wohnraum“, lacht Michael Fuchs. „Dieser politische Begriff, den jetzt alle verwenden! Das ist wie die Wundertüte für die Kinder -- wenn sie reinschauen, sind sie ganz enttäuscht, weil nur drei Kaugummis darin liegen.“
Als 2014 die Deutsche Wohnen AG die Bewohner über die Abrisspläne informierte, habe sich der Vorstandsvorsitzende Michael Zahn abfällig über den Zustand der Wohnhäuser geäußert: „Wie kann man in solchen Löchern wohnen“. Achim Schüler versucht, den Tonfall des Spitzenmanagers nachzuahmen. Es gebe keine Alternative zum Abriss. Nach unserem Gespräch zeigen uns die Bewohner, dass diese Behauptung eine Lüge ist: Ein Wohnblock wurde noch von der Eisenbahn-Siedlungsgesellschaft rundum erneuert und ist nun das Schmuckstück der Siedlung.
Die Mieterinitiative wolle erreichen, so Steffen Unger, dass die Siedlung unter Milieuschutz gestellt wird. Man müsste Wohnungsgesellschaften generell in den „Besitz der Bürger“ zurückführen, meint er, und dürfe sie nicht der Gewinnerzielung unterwerfen. Wohnen ist doch „ein Existenzrecht“, fügt er hinzu.
Die etablierten Berliner Parteien lehnen die vier Bewohner rundum ab. „Seit Wowereit kann man den Senat komplett vergessen, und das größte Übel aus meiner Sicht ist die SPD“, sagt Monika Gronert wütend. Der Name „sozialdemokratisch“ sei die „reinste Augenwischerei“.
Steffen Unger, der früher einmal die Grünen unterstützt hat, pflichtet ihr bei. Bei den Sozialdemokraten sei nichts mehr sozial oder demokratisch. Dasselbe treffe auf die Grünen zu. „Die interessiert es heute nicht einmal mehr, ob es hier grün ist oder ob der Baumbestand vernichtet wird.“ Die Parteien im Abgeordnetenhaus, so Unger, könne man kaum mehr unterscheiden: „Sie vermischen sich allesamt und bilden letztlich eine große Koalition.“
Ähnlich sieht dies Achim Schüler. Der Senat vertrete genauso wie die Bundesregierung die Interessen der Reichen, der Investoren und Spekulanten: „Auch wenn Gysi Bundeskanzler wäre, würde sich dies nicht ändern.“
Die Politiker hätten sich schon seit langem vom Volk entfernt, sagt Michael Fuchs. „Schauen Sie mal in den Bundestag – Rechtsanwälte, Lehrer, Beamte usw. Die Arbeiterschaft spielt keine Rolle mehr. Auch in der Gewerkschaft ist das so: Die oben sitzen, haben mit Sozial und Arbeitern nichts mehr zu tun.“ Den Charakter der SPD zeige schon die Tatsache, dass die ehemalige Leiterin der Pressestelle der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung unter Wowereit, Manuela Damianakis (SPD), nun Sprecherin der Deutsche Wohnen AG sei.