Perspektive

Der Putsch in der Türkei, der US-Militarismus und die Zerstörung der Demokratie

Eine Woche nach dem gescheiterten Militärputsch gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan besteht kein Zweifel mehr, dass Washington maßgeblich an den blutigen Ereignissen in Istanbul und Ankara beteiligt war.

Hochrangige türkische Militärs mit engen Beziehungen zum Pentagon waren direkt in den Umsturzversuch involviert. Zu ihnen gehört auch der Kommandeur des Luftwaffenstützpunkts Incirlik, auf dem die USA ihr größtes Atomwaffenarsenal in Europa lagern. Von dort aus fliegen sie Bombenangriffe gegen den Irak und Syrien. Mehrere Flugzeuge, die den Putsch unterstützten, starteten unter den Augen des US-Militärs von Incirlik. Als sich abzeichnete, dass der Putsch scheitern würde, ersuchte der türkische Kommandeur des Stützpunkts um Asyl in den USA.

Am Mittwoch, den 20. Juli stellte sich heraus, dass Russland die türkische Seite vor dem bevorstehenden Putsch gewarnt hatte. Die Warnung beruhte auf abgefangenem Funkverkehr zwischen den Putschisten, der an den türkischen Geheimdienst MIT weitergeleitet wurde. Erdoğan wurde die Warnung so rechtzeitig übermittelt, dass er es schaffte zu fliehen – eine knappe halbe Stunde, bevor ein Sondereinsatzkommando den Badeort erreichte, in dem der türkische Präsident Urlaub machte. Das Kommando hatte den Auftrag, ihn entweder umzubringen oder gefangen zu nehmen.

Kann man glaubhaft annehmen, dass die CIA und das amerikanische Militär mit ihrer massiven militärischen Präsenz in der Region und den umfangreichsten elektronischen Überwachungssystemen der Welt von diesem Funkverkehr nichts gewusst haben?

Wenn der Militär- und der Geheimdienstapparat der USA diese Informationen nicht an die türkische Regierung weitergeleitet haben, dann liegt der Grund dafür auf der Hand: Sie waren an dem Putschversuch beteiligt. Obama wollte Erdoğan nicht warnen, er wollte seinen Tod.

In dieselbe Richtung weist Washingtons erste Reaktion auf den Putsch. Sie kam von Außenminister John Kerry, der sich gerade in Moskau aufhielt. Kerry beschränkte sich darauf, der Hoffnung Amerikas auf „Stabilität und Frieden sowie Kontinuität innerhalb der Türkei“ Ausdruck zu verleihen. Es war nicht die Rede von der Verteidigung einer demokratisch gewählten Regierung gegen einen militärischen Umsturzversuch, ganz zu schweigen von irgendeiner Äußerung der Besorgnis über das Wohlergehen von Präsident Erdoğan.

Was Kerry mit dem Wunsch nach „Kontinuität innerhalb der Türkei“ meinte, kann man nur im Zusammenhang der amerikanisch-türkischen Beziehungen in den letzten siebzig Jahren begreifen. Im Jahr 1947, zu Beginn des Kalten Kriegs, verkündeten die USA die Truman-Doktrin. Damit verpflichteten sie sich zur Verteidigung Griechenlands und der Türkei gegen die angebliche sowjetische Aggression.

Neben finanzieller Unterstützung wurden eiligst US-Militärberater und Flugzeugträger herbeigeschafft, um die Türkei dabei zu unterstützen, Moskaus Forderung nach freier Durchfahrt durch den Bosporus, die strategischen Passage zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer, zurückzuweisen. Im Jahr 1952 wurde die Türkei in die NATO aufgenommen. Über 40 Jahre hinweg blieb sie für die militärische Konfrontation der USA gegenüber der Sowjetunion von entscheidender Bedeutung.

Um diese „Kontinuität“ aufrechtzuerhalten, unterstützte Washington eine Reihe von Staatsstreichen des Militärs in der Türkei. Der erste fand 1960 gegen den türkischen Premierminister Adnan Menderes statt, dessen Schicksal besiegelt war, nachdem er Moskau um Wirtschaftshilfe ersucht hatte. (Er starb am Galgen.)

Erdoğan hat zuerst als Premierminister von 2003 bis 2014 und dann als Präsident ähnliche Probleme verursacht. Um die Herrschaft seiner rechten islamistischen Partei, der AKP, abzusichern, verfolgte er eine nationalistische Politik, die Washington wiederholt verärgerte. 2003 hat die Türkei den USA nicht erlaubt, von ihrem Boden aus den Irak anzugreifen. 2010 hat sie die Bemühungen der USA um UN-Sanktionen gegen den Iran nicht unterstützt. Und 2013 schockte sie die USA und die NATO mit der Ankündigung, ein chinesisches Raketenabwehrsystem kaufen zu wollen.

Im Zusammenhang mit dem Krieg für einen Regimewechsel in Syrien verschlechterten sich die Beziehungen weiter. Die Türkei ist der wichtigste Sponsor der islamistischen Milizen mit Verbindungen zur al-Qaida. Washington hingegen hat seine Beziehungen zu den kurdischen Milizen in Syrien gefestigt, die ihrerseits mit der PKK verbündet sind. Die PKK ist die türkisch-kurdische Bewegung, gegen die Ankara Krieg führt.

Erst kürzlich hat sich Erdoğan in Moskau für den vorsätzlichen Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs im November 2015 entschuldigt und begonnen, sich der Regierung von Wladimir Putin anzunähern.

Nach dem Putsch sprach Erdoğan mit Putin, lange bevor er Obama anrief. Und am 19. Juli, bei einem Gespräch mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rouhani, erklärte Erdoğan: „Wir sind entschlossen, regionale Probleme zu lösen, indem wir uns mit dem Iran und Russland zusammentun und durch unsere Anstrengungen Frieden und Stabilität in die Region zurückbringen.“

Der US-Imperialismus ist nicht geneigt, eine derartige strategische Umgruppierung in der Region zu dulden. Der Versuch eines Militärputschs war ein politisches Unterfangen, das von verbrecherischer Skrupellosigkeit zeugt. Wenn er gelungen wäre, hätte er sehr wahrscheinlich zu einem Bürgerkrieg geführt. Die Zahl der Todesopfer hätte in diesem Fall den von den USA unterstützten Putsch in Ägypten vergleichsweise harmlos erscheinen lassen.

Der US-Imperialismus hat bereits den Irak, Libyen und Syrien in Schutt und Asche gelegt und um seiner geostrategischen Interessen willen Millionen Menschen getötet und verstümmelt – warum dann nicht auch in der Türkei?

Die Spannungen mit der Türkei entwickelten sich vor dem Hintergrund eines weltweiten Ausbruchs des amerikanischen Militarismus. Der Putsch folgte nur eine Woche auf den NATO-Gipfel in Warschau, auf dem das Militärbündnis angekündigt hatte, die Stationierung von Soldaten und Kriegsgerät an Russlands westlicher Grenze massiv auszuweiten und sich auf eine direkte, d. h. nukleare Konfrontation mit Moskau vorzubereiten.

In Asien ist der US-Imperialismus entschlossen, die Entscheidung des Ständigen Schiedhofs gegen die Ansprüche Chinas im Südchinesischen Meer als Vorwand für eine deutliche militärische Eskalation des Konflikts mit Peking zu benutzen.

Zu diesem Zweck hat die Obama-Regierung den Vizepräsidenten, Joe Biden, nach Australien entsandt, damit er China in kriegerischen Reden mit der Militärmacht der USA droht. Außerdem sollte den Australiern deutlich gemacht werden, dass sie in die US-Kriegsvorbereitungen hineingezogen werden, ob sie es wollen oder nicht. Biden drohte: „Gegen die Vereinigten Staaten zu wetten ist kein guter Tipp.“

Die USA bewegen sich in einem Ausmaß auf eine militärische Konfrontation zu, wie es das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat. Sie sind entschlossen, alle Hindernisse für ihre Kriegspläne gewaltsam aus dem Weg zu räumen. Für die Zeit nach der Präsidentschaftswahl im November sind große Erschütterungen zu erwarten – wenn nicht schon davor.

Die Ausweitung von Militarismus und die Vorbereitungen auf einen Weltkrieg sind unvereinbar mit der Beibehaltung demokratischer Herrschaftsformen irgendwo auf der Welt. Die Kriegstreiberei intensiviert und beschleunigt in einem Land nach dem anderen die Hinwendung zu diktatorischen Methoden. Diese Wende hat ihre Wurzeln in der tiefgehenden Krise des Weltkapitalismus, durch die insbesondere seit dem Zusammenbruch der Finanzmärkte 2008 die soziale Ungleichheit und die Klassenspannungen auf die Spitze getrieben werden.

In der Türkei hat die Niederlage des Putsches zur Festigung einer rechten Diktatur geführt. Erdoğan maßt sich die Macht an, per Dekret zu regieren und gleichzeitig Zehntausende, die er für seine Gegner hält, zu inhaftieren und zu entlassen. Außerdem will er die Todesstrafe wiedereinführen.

Moralisierenden kapitalistischen Kritiker im Westen hat der türkische Präsident entgegengehalten, dass er sich nicht anders verhalte als der französische Staatspräsident François Hollande. Hollande regiert mit einem dauerhaft gewordenen Ausnahmezustand, der unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung verhängt wurde, sich aber gegen die zunehmenden sozialen Spannungen und die Unruhe in der Arbeiterklasse richtet.

Ob die Versuche des türkischen Militärs, die Macht zu ergreifen, mit dem Scheitern des Putsches vom 15. Juli beendet sind, bleibt offen. Dass sich nun ein Drittel des türkischen Generalstabs in Haft befindet, versetzt die Streitkräfte des Landes in Aufruhr. Darüber hinaus ist Washington nicht bereit, passiv zuzusehen, wie die Türkei aus seiner strategischen Umlaufbahn ausschert.

Die Ereignisse in der Türkei sind eine schonungslose Lehre für die Arbeiterklasse. Es ist nicht möglich, grundlegende soziale und demokratische Rechte zu verteidigen, ohne einen vereinten internationalen Kampf gegen imperialistischen Krieg, Militarismus und deren Ursache, das kapitalistische System, zu führen.

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