Die Zahl der Toten bei dem grausamen Terroranschlag des Islamischen Staats (IS) auf den Atatürk Flughafen in Istanbul stieg nach Angaben der türkischen Behörden inzwischen auf 44 Menschen. 239 Menschen wurden verletzt.
Der türkische Premierminister Binali Yıldırım erklärte, dass mindestens drei schwer bewaffnete Schützen das Feuer auf die Menge am Terminaleingang eröffneten. Es kam zu einem Schusswechsel mit der Polizei. Daraufhin zündeten die Attentäter ihre Bombengürtel. Die mächtigen Explosionen richteten erhebliche Schäden am Terminal an. Überlebende des Anschlags berichteten von erschütternden Szenen, die sich abspielten, als die Menschen vor den Explosionen flohen und versuchten ihre Angehörigen in Räumen des Flughafens in Sicherheit zu bringen.
Unter den Toten waren 13 Ausländer, darunter fünf Saudis, zwei Iraker, ein Jordanier, ein Ukrainer und zwei Männer aus Zentralasien. CNN Türk identifizierte eines der zentralasiatischen Opfer als eine Person aus Ostturkestan, was auf die westchinesische autonome Region Xinxiang hindeutet.
Die Türkei verkündete einen Tag Staatstrauer. Die Flaggen am Flughafen und überall im Land wurden auf Halbmast gesetzt. Der Anschlag fand unmittelbar vor dem Eid-Fest statt, mit dem Muslime das Ende des heiligen Monats Ramadan feiern.
Der Anschlag hat verheerende Folgen für die türkische Wirtschaft, die bereits unter einem 30-prozentigen Rückgang der Gewinne aus dem Tourismus leidet. „Jetzt kurz vor dem Eid begannen die Geschäfte gerade wieder anzulaufen“, berichtete ein Einwohner Istanbuls dem britischen Guardian. Er saß vor einem Reisebüro und deutete auf die umliegenden Läden und Hotels: „Aber jetzt sind wir am Ende. Alle hier müssen schließen. Unsere Eid-Reservierungen sind um 30 Prozent eingebrochen und immer mehr Leute stornieren ihre Urlaubsbuchungen.“
Zwar hat bisher noch niemand die Verantwortung für den Anschlag übernommen, aber Yıldırım erklärte Montagnacht, dass „die Beweise auf Daesh hindeuten“, die arabische Bezeichnung für den IS. Dem Anschlag auf den Atatürk Flughafen seien in den letzten Monaten andere Angriffe des IS auf türkische Streitkräfte in Kilis vorausgegangen, eine Stadt in der Nähe der syrisch-türkischen Grenze.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verurteilte in einer Erklärung den Anschlag „scharf“ und beschuldigte ebenfalls den IS. „Der Anschlag, der während des heiligen Monats Ramadan stattfand, zeigt, dass der Terrorismus ohne Rücksicht auf Glauben und Werte zuschlägt. Wir erwarten, dass die Welt eine entschlossene Haltung gegen terroristische Organisationen einnimmt und besonders die westlichen Länder mit ihren Parlamenten, Medien und Nicht-Regierungs-Organisationen dies tun werden“, heißt es in der Erklärung.
Auch die voraussichtlichen Spitzenkandidaten bei den Präsidentschaftswahlen in den USA, der Republikaner Donald Trump und die Demokratin Hillary Clinton, überboten sich gegenseitig in kriegerischen Statements. Trump rief dazu auf, dass Washington „genauso heftig und gewaltsam“ gegen den Terrorismus kämpfen solle und empfahl die Anwendung von Folter. „Können Sie sich vorstellen, dass sie [die Terroristen] am Tisch oder wo auch immer sitzen, ihre Mahlzeit einnehmen und darüber reden, dass die Amerikaner kein Waterboarding anwenden auch wenn wir Köpfe abschlagen? […] Ihr wisst, dass man Feuer mit Feuer bekämpfen muss.“
Clinton erklärte: „Die Amerikaner stehen solidarisch hinter dem türkischen Volk gegen diese Kampagne des Hasses und der Gewalt. Der heutige Angriff auf Istanbul stärkt nur unsere Entschlossenheit die Kräfte des Terrorismus und den radikalen Dschihadismus überall auf der Welt zu besiegen.“
In Wirklichkeit ist das Massaker von Istanbul das ebenso tragische wie vorhersehbare Resultat der Kriegspolitik der Nato im Nahen und Mittleren Osten. Vor allem die US-Regierung und Ankara haben mit al-Qaida verbundene Milizen wie den IS im Bürgerkrieg in Syrien unterstützt, um einen Regimewechsel zu erzwingen.
Es stellt sich die Frage, welche Rolle möglicherweise Teile des türkischen Staats selbst oder Nato-Verbündete der Türkei bei dem Anschlag gespielt haben. Türkischen Medien zufolge haben die Behörden eine Nachrichtensperre bezüglich des Anschlags verhängt.
Zu Beginn des Kriegs in Syrien führten islamistische Milizen in syrischen Städten wiederholt massive Bombenanschläge wie den vom Montag in Istanbul durch, um das Assad-Regime zu destabilisieren. Später, als der IS einen großen Teil Ostsyriens erobert hatte, benutzten Teile des türkischen Staats den IS als Gegengewicht gegen die in Syrien kämpfenden kurdischen Milizen. Sie fürchteten, deren Vormarsch könnte kurdische Separatisten in der Türkei ermutigen. Wiederholt wurde über die Versorgung des IS und dessen Öltransporte über die türkische Grenze berichtet und sogar Fotos davon veröffentlicht.
Die dschihadistischen Netzwerke konnte sich der Überwachung entziehen und grausame Terroranschläge wie die beiden tödlichen Schießereien im letzten Jahr in Paris verüben, indem sie ihre Verbindungen zur CIA und anderen Nato-Geheimdiensten nutzten.
Die Verbindungen zwischen den Geheimdiensten und den Dschihadisten wurden bei den Bombenanschlägen am 22. März in Brüssel deutlich.Türkische, israelische und russische Geheimdienste hatten die Behörden in Belgien im Vorfeld vor den Anschlägen gewarnt und sowohl die Terroristen und islamischen Kämpfer als auch den Flughafen von Brüssel und die U-Bahn als Ziele genannt. Trotzdem wurden die Angreifer nicht daran gehindert, an den genannten Orten zuzuschlagen. Auch die Sicherheitsmaßnahmen wurden nicht verstärkt. Die Angreifer, die als Mitglieder islamistischer Netzwerke für die Außenpolitik der Nato eine wichtige Rolle spielten, konnten offenbar ungehindert reisen.
Ins Bild passt, dass zunächst Berichte auftauchten, dass türkische Behördenvertreter ebenfalls Vorwarnungen vor den Istanbuler Anschlägen am Montag erhalten hatten. Am Dienstag berichtete Hande Firat vom Doğan TV Ankara: „Einheiten des Geheimdiensts haben Anfang Juni, also vor 20 Tagen, einen Warnbrief, Istanbul betreffend, an die Staatsführung und ihre Institutionen geschickt.“ Firat wies darauf hin, dass der Inhalt den IS betraf und der Atatürk Flughafen als mögliches Ziel genannt wurde.
Oppositionelle türkische Politiker fragten öffentlich, welche Rolle die Sicherheitskräfte und Erdoğans Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) möglicherweise bei den Anschlägen gespielt habe. Idris Baluken, der stellvertretende Führer der parlamentarischen Gruppe der Demokratischen Volkspartei (HDP) sagte: „Wenn Bomben an einem Ort wie dem Atatürk Flughafen hochgehen, dann wüssten wir gern, was die Regierung dieses Landes, was der Innenminister, die Geheimdienste und die Polizei tun“, fragte er.
Auch der Zeitpunkt des Anschlags hat die Frage aufgeworfen, ob der IS damit eine Botschaft an die führenden Militärs und die Politik der Türkei und der Nato senden wollte.
Die AKP führt gegenwärtig eine deutliche Wende in ihrer Außenpolitik. Sie verschärft die Konfrontation mit dem IS, der mit dem Fall von Falludscha im Irak einen heftigen Rückschlag hinnehmen musste. In den letzten Wochen hat sich Ankara auch wieder Russland angenähert und versucht seine Beziehungen zu Israel zu verbessern.
Noch vor Kurzem befand sich die Türkei nach dem Abschuss einer russischen Militärmaschine über Syrien im letzten Jahr in einer heftigen Konfrontation mit Russland. Russische Streitkräfte haben im Bündnis mit der syrischen Regierung dschihadistische Milizen angegriffen und Moskau beschuldigt die Türkei der Komplizenschaft mit dem IS.
Am Tag vor dem Anschlag kündigte Yıldırım jedoch an, dass ein „Normalisierungsprozess mit Russland“ begonnen habe, nachdem sich Erdoğan beim russischen Präsidenten Wladimir Putin in einem Brief für den Abschuss des russischen Jets entschuldigt hatte. Gleichzeitig versucht die Türkei, die Beziehungen sowohl zu Israel als auch zu Ägypten zu verbessern. Ägyptens Militärdiktator Abdel Fattah al-Sisi hatte 2013 in einem Putsch die Regierung der Muslim-Bruderschaft gestürzt, die mit der die AKP verbündet war.
Vieles deutet daraufhin, dass der IS mit diesem jüngsten Anschlag ein Signal an die türkische Regierung senden wollte. Sollte sich die AKP-Regierung gegen ihn wenden, seien er und seine Verbündeten in der Region immer noch in der Lage, der Türkei erheblichen Schaden zuzufügen.