Deutschland will noch massiver aufrüsten als bisher bekannt. Das verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstagabend in einer Rede auf dem Wirtschaftstag der CDU in Berlin. „Wir stehen asymmetrischen Konflikten gegenüber, wie wir sie bislang noch nicht gekannt haben“, erklärte Merkel vor führenden Vertretern der deutschen Wirtschaft. „Die Verteidigungsfähigkeit der Europäischen Union“ sei jedoch „noch nicht darauf abgestellt, alleine die Sicherheit in unserem eigenen Gebiet zu sichern.“
Die Schlussfolgerung der Kanzlerin: „Ein Land wie Deutschland, dass heute 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgibt und ein Land wie die Vereinigten Staaten von Amerika, das 3,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgibt werden sich annähern müssen. Es werde „auf Dauer nicht gutgehen, dass wir sagen, wir hoffen und wir warten darauf, dass andere für uns die Verteidigungslasten tragen.“
Merkels Rede wird in den Medien als das gefeiert, was sie ist: Ein weiterer Meilenstein in der Rückkehr des deutschen Militarismus, seit Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang 2014 offiziell die außenpolitische Wende verkündet hatten.
Das Handelsblatt titelte am Donnerstag in großen Lettern „Deutschland rüstet auf“ und nannte die Ankündigung Merkels eine „Zeitenwende“. In den vergangenen 25 Jahren hätten „Bundesregierungen unterschiedlicher Couleur dankbar die Friedensdividende eingestrichen“ und der Anteil der Wehrausgaben am BIP sei von 3,4 Prozent Mitte der 1980er-Jahre auf knapp 1,2 Prozent gesunken. Nun signalisiere Merkel „dass sie bereit ist nachzulegen“.
Das Blatt deutet an, was die Bundesregierung unter „nachlegen“ versteht. Um die Bundeswehr wie angekündigt um 7000 Soldaten aufzustocken und die Armee „mit Panzern oder Hubschraubern auszustatten“ müsse „der Anteil am BIP in absehbarer Zeit auf 1,4 bis 1,5 Prozent steigen“ zitiert das Handelsblatt den Wehrbeauftragten des Bundestags, Hans Peter Bartels (SPD). Dann rechnet sie vor: „Nach heutigem Stand würde das Mehrausgaben von etwa neun Milliarden Euro im Jahr bedeuten“.
Um die massive Aufrüstung zu rechtfertigen, bemüht das Sprachrohr der deutschen Wirtschaft das offizielle Mantra der Bundesregierung von einer „aus den Fugen geratenen Welt“, die Deutschland zum Handeln zwinge. Die „Zeitenwende“ komme „nicht von ungefähr“. Ukraine-Konflikt und Terrorismus hätten Berlin alarmiert, zugleich stiegen „die Erwartungen der Verbündeten“ und vor allem forderten „die Abschreckungspläne der Nato gegenüber Russland die Bundeswehr“.
Tatsächlich weiß das Handelsblatt genau, dass es bei der Aufrüstung um die Erschließung von Rohstoffen und neuer Absatzmärkte für den exporthungrigen deutschen Kapitalismus geht. Anfang 2013 erklärte die Zeitung in einem Leitartikel unter der Überschrift „Expedition Rohstoffe: Deutschlands neuer Kurs“, dass die „bisherigen politischen Mittel zur Rohstoffsicherung an ihre Grenzen stoßen“ und Berlin sich darauf vorbereiten müsse, wieder Kriege um Rohstoffe zu führen.
Merkels Ankündigung, sich den Militärausgaben der USA „annähern“ zu wollen, um das „eigene Gebiet zu sichern“, unterstreicht, dass die deutschen Eliten wieder dazu übergehen, ihre wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen notfalls auch gegen die Verbündeten der Nachkriegszeit durchzusetzen.
Jüngst warnte der Spiegel in einem ausführlichen Artikel zum Brexit-Referendum, dass der Zerfall der EU auch zum Auseinanderbrechen des Bündnis mit den USA führen könnte. Als „große Mittelmacht des Kontinents“ wäre Deutschland dann „endgültig gezwungen, die Führungsrolle zu übernehmen“, so die Autoren.
In einem aktuellen Artikel in Foreign Affairs mit dem Titel „Deutschlands neue globale Rolle“ geht Außenminister Steinmeier auf Distanz zu den USA und unterstreicht die neuen deutschen Großmachtansprüche. Ganz unverblümt erklärt er Deutschland zur „bedeutenden europäischen Macht“, die gezwungen sei, „die Grundsätze, die ein halbes Jahrhundert lang ihre Außenpolitik angeleitet haben, neu zu definieren”.
Hinter dem Rücken der Bevölkerung läuft die dafür notwendige Aufrüstung bereits auf Hochtouren. Das Handelsblatt berichtet, dass die gleichen deutschen Rüstungsriesen, die in den 1930er Jahren Hitlers Wehrmacht aufgerüstet haben, gegenwärtig neue Panzer für die Bundeswehr vorbereiten. „An einem geheimen Ort“ hätte „Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) und Rheinmetall ein Depot eingerichtet, wo sie gebrauchte Kampfpanzer aus Österreich und Schweden sammeln“. Insgesamt habe die deutsche Industrie bereits mehr als 100 Leopard 2-Kampfpanzer zusammengekauft. „Gut gepflegt und geölt“ sollen sie nun für jeweils fünf Millionen Euro „auf den Rüststand des 21. Jahrhunderts gebracht werden“ und „ein zweites Leben bei der Bundeswehr bekommen“.
Die Panzeraufrüstung ist dabei nur ein Vorhaben unter vielen. So informiert etwa der aktuelle Rüstungsbericht der Bundesregierung „über 20 Projekte mit einem Finanzvolumen von mehr als 60 Milliarden Euro.“ Gelistet werden neben unterschiedlichen Panzer-Modellen, der Unterstützungshubschrauber „Tiger“, das Transportflugzeug A400M, das Kampfflugzeug „Eurofighter“, Lenkflugkörper vom Typ „Iris-T“ und „Meteor“, Kriegsschiffe (darunter Fregatten Korvetten und das Mehrzweckkampfschiff 180) und ein taktisches Luftverteidigungssystem.
Dass Merkel ihre Aufrüstungsrede ausgerechnet 75 Jahre nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion hielt, zeigt auf erschreckende Weise an welche Tradition die deutschen Eliten wieder anknüpfen.