Der erste Tag des G7-Gipfels in Japan war von zwei der wichtigsten Themen der globalen Politik und Wirtschaft bestimmt: den Vorbereitungen der USA auf einen Krieg gegen China, und den zunehmenden Spannungen zwischen den Großmächten angesichts der anhaltenden Stagnation der Weltwirtschaft.
Zum Abschluss des ersten Tages erklärte ein japanischer Regierungsvertreter der Presse, Premierminister Shinzo Abe hätte die anderen Großmächte dazu angehalten, sich bei den Konflikten im Süd- und Ostchinesischen Meer an die Seite der USA zu stellen. Die Regierungschefs von Großbritannien, Frankreich, Italien und Kanada waren sich demnach über die Notwendigkeit einig, „dass die G7 ein starkes Signal aussenden muss.“
Im Vorfeld des Gipfels erklärte Abe in einer Kolumne des Wall Street Journal, die Wahrung der „Freiheit der Seefahrt“ – der zynische Vorwand, mit dem das US-Militär sein Vordringen in von China beanspruchte Gewässer und Luftraum rechtfertigt – sei „eine Grundlage für Wirtschaftswachstum und Stabilität“, allerdings „erkennen das bedauerlicherweise nicht alle Staaten an.“
Auf dem G7-Gipfel werden die Grundlagen für eine dramatische Eskalation der Spannungen geschaffen. Die chinesische Regierung hat bereits eine empörte Erklärung veröffentlicht, laut der die Streitigkeiten in der Region nichts mit den G7-Staaten zu tun haben. Weiter hieß es, Peking lehne es „nachdrücklich ab“, dass „einzelne Staaten die Streitigkeiten im Südchinesischen Meer aufbauschen.“
Obwohl die G7 versucht, eine ausdrücklich gegen China gerichtete Erklärung zu veröffentlichen, herrscht unter den Mitgliedern Uneinigkeit über das Vorgehen gegen Peking. Vor allem Großbritannien vertritt andere Positionen. Anfang 2015 hatten die USA versucht, die anderen großen Wirtschaftsmächte daran zu hindern, sich an der von China unterstützten Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) zu beteiligen. Washingtons Pläne scheiterten jedoch, als Großbritannien aus der Reihe trat und ankündigte, es werde selbst Gründungsmitglied der AIIB. Die anderen europäischen Mächte schlossen sich diesem Schritt schnell an. Die Obama-Regierung reagierte darauf mit einer scharfen Rüge an Großbritannien wegen dessen „ständiger Anpassung“ an China.
Großbritannien hatte sich von seiner Unterstützung für die Bank wirtschaftliche Vorteile versprochen. Das außenpolitische Establishment des Landes warnte jedoch, der Schritt könnte die strategische Beziehung mit den USA gefährden.
Die City of London, das Zentrum der britischen Finanzbranche, will ins Zentrum von Chinas weltweiten finanziellen Aktivitäten vorstoßen. Diese Woche kündigte das chinesische Finanzministerium die Ausgabe von Staatsanleihen im Wert von drei Milliarden Renminbi (458 Millionen US-Dollar) auf dem Londoner Offshore-Devisenmarkt an. Die Financial Times schrieb, die britische Regierung habe sich im Rahmen ihrer „allgemeinen Förderung stärkerer wirtschaftlicher Beziehungen zu China [...] aggressiv“ für das Devisengeschäft eingesetzt.
Im Vorfeld des Gipfels wurde in den Medien spekuliert, Premierminister David Cameron würde von den USA und Japan wegen Großbritanniens Rolle als Chinas „bester Partner im Westen“ unter Druck gesetzt werden. Großbritanniens Haltung würde die Forderungen der USA und Japans nach stärkerem diplomatischen und militärischen Druck gegen Peking unterlaufen.
Das Treffen enthüllte zudem tiefe Spaltungen über die Frage nach Maßnahmen zur Beendigung der Stagnation der Weltwirtschaft. Um vor allem in Europa Unterstützung für weitere Konjunkturmaßnahmen zu gewinnen, präsentierte Abe eine Reihe von Diagrammen, auf denen die derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen mit denen vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers und dem Beginn der globalen Finanzkrise 2008 verglichen wurden.
Um die Gefahren einer neuen Krise auf den Finanzmärkten zu verdeutlichen, konzentrierten sich Abes Diagramme auf die sinkenden Rohstoffpreise und das deutlich niedrigere Wachstum der Schwellenmärkte. Die westliche Presse tat seine Argumente als „unplausibel“ ab und deutete an, er wolle damit seine Entscheidung rechtfertigen, die japanische Mehrwertsteuer im nächsten Jahr nicht wie angekündigt von acht auf zehn Prozent zu erhöhen. Zuvor hatte Abe erklärt, er würde dies nur als Reaktion auf ein schweres Erdbeben oder eine schwere Pleite im internationalen Bankensystem von der Größenordnung von Lehman Brothers tun.
Ein Sprecher der britischen Regierung erklärte, Premierminister Cameron teile Abes Ansichten nicht und habe sich „positiv über die Weltwirtschaft geäußert.“ Auch Deutschland lehnte Konkunkturmaßnahmen ab.
Die Entwicklungen, auf die Abe hinwies, werden jedoch immer offensichtlicher. Die Stagnation in Europa hält an; im April sanken die Preise laut Statistiken um 0,2 Prozent. Damit hält die Deflation bereits seit zwei Monaten an. In den USA sind die Unternehmensgewinne seit drei Quartalen gesunken. Ein Bericht der US-Denkfabrik Conference Board zeigt, dass die Produktivität in den USA zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren sinken wird.
Die Schwellenmärkte und warenexportierende Länder stehen erneut unter Druck. Es wird befürchtet, dass eine Erholung ihrer Währungen und Kapitalmärkte im März und April durch die Aussicht beendet wurde, dass die amerikanische Federal Reserve im Juni ihre Zinssätze erhöhen könnte. Die Erhöhung um 0,25 Prozent im vergangenen Dezember gilt allgemein als ein Grund für die Unruhe auf den Finanz- und Warenmärkten in den ersten beiden Monaten des Jahres.
Der verschärfte Kampf zwischen den Großmächten um Märkte und Gewinne hat zu schärferen Konflikten geführt. Im Vorfeld des Gipfeltreffens kritisierten die USA die Äußerungen der japanischen Regierung, sie könne einschreiten, um den Wert des Yen zu senken. Die EU warnte ihrerseits, sie könnte Maßnahmen gegen den angeblichen Dumpingverkauf von chinesischem Stahl ergreifen.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kündigte mögliche protektionistische Maßnahmen an: „Wenn jemand den Markt verzerrt, darf Europa nicht wehrlos bleiben.“ Ein Entwurf der G7-Erklärung erwähnte China zwar nicht, äußerte aber Bedenken über das Überangebot an Stahl. Juncker erklärte, die Überkapazitäten Chinas bei Stahl lägen fast doppelt so hoch wie die Stahlproduktion der gesamten EU und hätten seit 2008 zum Verlust von tausenden Arbeitsplätzen in der Stahlindustrie beigetragen.
Diese Frage ist Teil von Chinas Bestrebungen, von der Welthandelsorganisation den Status einer Marktwirtschaft zu erlangen. Die USA sind offenbar entschlossen, dies zu verhindern. Doch das Thema hat auch zu Spaltungen geführt; ein Sprecher der britischen Regierung erklärte, das Thema Stahl sollte nicht mit der Frage von Chinas Status vermischt werden.
Als die G7 vor mehr als 30 Jahren gegründet wurde, behaupteten die herrschenden Eliten, sie würde für Stabilität sorgen und eine koordinierte Herangehensweise an die Weltwirtschaft ermöglichen. Dieses Vorhaben ist gründlich gescheitert. Stattdessen vertreten alle Mitgliedsstaaten ihre eigenen nationalen und strategischen Interessen.
Obama sieht den Gipfel als Gelegenheit, den Druck auf China zu verschärfen. Cameron will bei der G7 um Unterstützung für seinen Widerstand gegen den Austritt seines Landes aus der EU werben. Abe will die Unterstützung der G7 gegen China erlangen und gleichzeitig sein eigenes nationalistisches Profil schärfen, indem er Obama von seiner „Wut“ und den „tiefen Ressentiments“ in Japan nach der Ermordung einer Frau durch einen Angestellten des US-Militärs auf Okinawa erzählt.
Es ist noch lange nicht klar, für welche Seite sich die Großmächte jeweils entscheiden werden. Eins ist jedoch sicher: die internationalen Beziehungen ähneln immer mehr denen in den 1930er Jahren. Damals führte die Große Depression zu einer weltweiten Welle von Nationalismus und Protektionismus, die letzten Endes zum Zweiten Weltkrieg führte.
Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende drängt die zunehmende globale Rezession und die wachsenden Spaltungen unter den Verbündeten der USA Washington zu immer rücksichtsloseren Maßnahmen. Es steht nicht nur mit China im Konflikt, gegen das es im Namen der „Freiheit der Seefahrt“ eine ganze Reihe von militärischen Provokation organisiert, sondern auch gegen Russland, dessen Atomarsenal auf Augenhöhe mit dem der USA liegt.
Diese Entwicklungen erhöhen die gravierende Gefahr eines globalen, möglicherweise mit Atomwaffen geführten Krieges, der die Existenz der gesamten Menschheit bedroht.