Streikwelle gegen soziale Angriffe in Frankreich und Belgien weitet sich aus

Die Streiks und Besetzungen in Frankreich gegen das reaktionäre Arbeitsmarktgesetz, das Anfang des Monats von der Regierung der Sozialistischen Partei (PS) durchgesetzt wurde, gehen trotz der Angriffe auf die Streikenden durch die Bereitschaftspolizei weiter. Gleichzeitig brechen Proteste und Streiks gegen die Sparpolitik im benachbarten Belgien aus. Am Dienstag gingen 60.000 Arbeiter in Brüssel auf die Straße, um gegen die Sparmaßnahmen der konservativen Regierung von Premierminister Charles Michel zu protestieren.

Die Demonstration in Brüssel richtete sich gegen geplante Kürzungen der Sozialhilfe, gegen Haushaltskürzungen bei öffentlichen Dienstleistungen und im Bildungssystem sowie gegen eine Arbeitsmarktreform. Sie soll den Unternehmern erlauben, die 45-Stunden-Woche einzuführen und Überstunden ohne Bezahlung anzuordnen.

Vor den Demonstrationen am Dienstag hat die Regierung von Premierminister Charles Michel die drakonischen Sicherheitsmaßnahmen verschärft, die nach den Terroranschlägen in Brüssel vom 22. März eingeführt worden waren. Mittlerweile ist deutlich geworden, dass die belgische Regierung die Sicherheitsmaßnahmen benutzt, um die Opposition der Arbeiterklasse im eigenen Land zu unterdrücken. Die Regierung hatte Warnungen ausländischer Geheimdienste in Bezug auf die Identität und die Pläne der Attentäter vom 22. März ignoriert. Die Bereitschaftspolizei setzte Wasserwerfer und Tränengas gegen die Demonstrationen vom Dienstag ein und verletzte mehrere Menschen. Berichten zufolge wurden zehn Teilnehmer verhaftet.

Die wachsende Bewegung gegen die Sparpolitik in Belgien kommt mit einer sprunghaft ansteigenden Zahl von Streiks in Frankreich zusammen. Das reaktionäre Arbeitsmarktgesetz der PS-Regierung erlaubt den Unternehmen, mit den Gewerkschaften eine Verlängerung der Arbeitswoche auf bis zu 46 Stunden auszuhandeln und die Löhne zu senken. Es lockert außerdem die Bedingungen, unter denen Arbeiter entlassen werden können. Das Gesetz, das von der überwiegenden Mehrheit der Arbeiter und Jugendlichen abgelehnt wird, wird weithin als unrechtmäßiger Angriff auf die sozialen Rechte der Arbeiter angesehen, die in jahrzehntelangen Kämpfen errungen wurden.

In Frankreich streiken die Arbeiter in Ölraffinerien und Häfen sowie in der zivilen Luftfahrt, bei der Bahn, im Energie- und Transportbereich und am Bau. Auch gestern fanden landesweit Proteste statt, nachdem Tausende von Menschen am 19. Mai an Demonstrationen teilgenommen hatten.

Ein einwöchiger Streik in der Ölindustrie lähmt die französische Wirtschaft, und überall im Land wird der Treibstoff knapp. Meldungen zufolge haben dreißig Prozent von Frankreichs 12.000 Tankstellen kaum oder gar kein Benzin.

Die PS-Regierung hat darauf reagiert, indem sie heuchlerisch die streikenden Arbeiter verurteilt. Premierminister Manuel Valls erklärte: „Die Demokratie wird von einer Minderheit in Geiselhaft genommen.“

Das ist eine unverschämte und provokative Lüge. Die PS-Regierung ist diejenige, die sich wie eine Diktatur verhält. Sie peitscht trotz einer überwältigenden Opposition in der Bevölkerung ein reaktionäres Gesetz ohne parlamentarische Abstimmung durch. Dafür benutzt sie die Befugnisse des Ausnahmezustands aus dem antidemokratischen Paragrafen 49.3 der französischen Verfassung.

Eine große Mehrheit der Bevölkerung macht Präsident François Hollande und Premierminister Manuel Valls für die sozialen Spannungen und die durch den Streik verursachten Störungen in der Industrie verantwortlich. Eine Befragung durch Elabe, die am Mittwoch veröffentlicht wurde, kam zu dem Ergebnis, dass 70 Prozent der Bevölkerung dafür sind, dass nicht die Streikenden, sondern die PS einlenken soll und das Arbeitsmarktgesetz zurückziehen müsse.

Die Streiks schwächen die PS-Regierung und lösen eine tiefe Krise aus. Forderungen nach einer Rücknahme des Gesetzes kommen inzwischen sogar aus den Reihen der PS selbst. Bruno Le Roux, Fraktionsvorsitzender der PS in der Nationalversammlung, rief die Regierung dazu auf, das Arbeitsmarktgesetz zu überarbeiten. Er griff insbesondere Artikel 2 heraus, der den Gewerkschaften erlaubt, Verträge zu unterschreiben und in Kraft zu setzen, die die Vorschriften des Arbeitsgesetzbuchs und die Flächentarifverträge verletzen.

Valls sprach sich im Parlament gegen diesen Vorschlag aus und erklärte, es werde „weder eine Rücknahme des Gesetzes noch ein Infragestellen des Artikel 2 geben, zumal er das Herzstück der Philosophie des Gesetzes ist.“

Stattdessen ist die PS-Regierung entschlossen, polizeistaatliche Unterdrückungsmaßnahmen einzusetzen, um die Streiks und Blockaden der Ölarbeiter zu zerschlagen.

Am Dienstag hatte die Bereitschaftspolizei Arbeiter angegriffen, die die Ölraffinerie in Fos-sur-Mer in der Nähe von Marseille blockierten. Vorgestern griff die Polizei dann ein, um den Zugang zu einem wichtigen Treibstofflager in Douchy-les-Mines nahe Valenciennes in Nordfrankreich wiederherzustellen. Das Lager wurde seit dem 19. Mai von Mitgliedern des Allgemeinen Gewerkschaftsverbands (CGT) und der Gewerkschaft Solidaires blockiert.

Der Angriff am Dienstag begann gegen 5:00 Uhr morgens. 20 Polizeifahrzeuge wurden zur Raffinerie beordert, und die Bereitschaftspolizei setzte Wasserwerfer ein, um 80 Arbeiter zu vertreiben, die den Eingang blockierten.

Trotz der Unterdrückung durch die Polizei weiten sich die Streiks in den Ölraffinerien in ganz Frankreich aus. Alle acht Raffinerien des Landes sind von den Streiks betroffen. Die Total-Raffinerie in Feyzin nahe Lyon und das Total-Werk in der Normandie haben die Produktion eingestellt. Die Anlage von Grandpuits in der Nähe von Paris wird bald zum vollständigen Erliegen kommen, und Donges, in der Nähe von Nantes, wird mehrere Abteilungen schließen, während La Mède of Fos-sur-Mer und Lavéra in der Region Marseille mit verringerter Kapazität arbeiten. Dutzende von insgesamt 78 Öllagern in Frankreich werden ebenfalls blockiert.

Weil der Treibstoffmangel größer wird, hat die Regierung damit begonnen, Teile ihrer strategischen Treibstoffreserven freizugeben. Francis Duseux, Präsident des französischen Ölverbandes UFIP (Union Française des Industries Petrolières), erklärte dem Radiosender RMC: „Seit zwei Tagen, seit wir Probleme mit der Raffinierung und den Blockaden der Öldepots haben, haben wir gemeinsam mit den Behörden begonnen, die Reservevorräte zu benutzen.“

Die herrschenden Kreise, die von den Protesten in Angst und Schrecken versetzt wurden, rufen die Regierung dazu auf, das in der Verfassung garantierte Recht auf Streik mit Füßen zu treten und die Beschäftigen zurück an die Arbeit zu zwingen. Die rechten oppositionellen Republikaner (LR) forderten von der PS-Regierung, die Ölarbeiter mit rechtlichen Mitteln zurück an die Arbeit zu zwingen. Der Abgeordnete Eric Ciotti erklärte: „Wir müssen es ihnen befehlen, so wie es [der konservative Präsident] Nicolas Sarkozy 2010 getan hat. Das ist im nationalen Interesse. Wir können das Land nicht von einer kleinen Minderheit blockieren lassen.“

In der Zwischenzeit brechen auch in anderen französischen Industriezweigen Streiks gegen das Arbeitsmarktgesetz aus. Der CGT-Energieverband hat zu Streiks bei den staatlichen französischen Elektrizitätswerken EDF aufgerufen und plant Geländeblockaden, um die Stromerzeugung zu unterbrechen. Das würde im ganzen Land zu Stromausfällen führen. Vorgestern stimmten die Arbeiter in den 19 Atomkraftwerken Frankreichs dafür, ab Donnerstag in den Streik zu treten, darunter auch in Nogent-sur-Seine südöstlich von Paris und in Gravelines im Norden des Landes.

Die Gewerkschaften der französischen Staatsbahn (SNCF) haben für vorgestern und gestern zu Streiks aufgerufen. Die CGT veröffentlichte einen Aufruf zu Streikmaßnahmen ab dem 31. Mai, der jeden Tag erneuert werden kann. Beim Pariser Nahverkehr (RATP) wurde ab dem 2. Juni eine unbefristete Streikaktion gegen das Arbeitsmarktgesetz der PS, die schlechten Arbeitsbedingungen und Löhne ausgerufen.

Das Flughafenpersonal – darunter Fluglotsen, Verwaltungsangestellte, Ingenieure und Techniker – ist seit gestern im Streik, was auf mehreren Flughäfen zur Streichung von Flügen geführt hat. Vom 2. bis zum 5. Juni ist ein landesweiter Streik der Fluglotsen und der Beschäftigten der Zivilluftfahrt geplant, um gegen das Arbeitsmarktgesetz und den Rückgang der Beschäftigtenzahl zu protestieren.

Seeleute und Hafenarbeiter nehmen den Kampf ebenfalls auf. Die Hafenarbeiter von Marseille und Le Havre, wo 40 Prozent der französischen Importe umgeschlagen werden, haben dafür gestimmt, bis heute zu streiken, um gegen die Polizeiaktion von Dienstag in der Ölraffinerie von Fos-sur-Mer zu protestieren.

Seit Montag weigern sich die Dockarbeiter von Marseille, Güter abzuladen, darunter rohe und raffinierte Erdölprodukte, die für die Raffinerien bestimmt sind. Etwa 29 Schiffe mit Rohöl lagen am Mittwoch noch fest, weil die CGT in den öffentlichen Hafenanlagen von Marseille wie auch in Fluxel – einem Privatunternehmen, das zwei Erdölterminals betreibt – eine Arbeitsniederlegung bis heute ausgerufen hat.

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