In einem Interview in der New York Times vom Donnerstag äußerte sich US-Präsident Obama „frustriert“ über die hartnäckige Überzeugung der amerikanischen Bevölkerung, ihre wirtschaftliche Lage habe sich unter seiner Präsidentschaft nicht verbessert.
Obama erklärte, seine Regierung habe die Finanzkrise von 2008 „besser“ in den Griff bekommen „als irgendeine andere große Wirtschaftsnation der Erde in der modernen Geschichte“, was zu einer Wirtschaftserholung geführt habe, „die alle anderen Industriestaaten hinter sich gelassen hat“. Trotzdem würden seine Leistungen von der amerikanischen Bevölkerung, nach den Worten des Reporters Ross Sorkin, „erheblich unterschätzt“. Das „frustriere“ den Präsidenten.
Obama spricht hier über ein Thema, über das er sich schon im März mit den Worten geäußert hatte: „Amerika ist im Moment verdammt großartig.“ Gleichzeitig gab er sich verächtlich über „die andere Wahrnehmung einiger Politiker da draußen, Amerika befinde sich in einer Depression“.
Laut Obama besteht das Problem im „Versagen der Kommunikation“. Er erklärte gegenüber Sorkin: „Wir haben das schon am Anfang so schnell hingekriegt, dass wir keine Ehrenrunden laufen konnten. Wir konnten nicht alles erklären, was wir getan haben. Ich meine, an einem Tag haben wir die Banken gerettet, am nächsten die Autoindustrie und noch einen Tag später haben wir versucht, Einfluss auf den Immobilienmarkt zu nehmen.“
Obama führt die Haltung der US-Bevölkerung auf die Schwarzmalerei der Republikanischen Partei zurück. Laut einer Umfrage glauben 64 Prozent, dass die Wirtschaft sich noch in der Rezession befindet. „Wenn es eine Partei gibt, in diesem Fall die Republikaner, die jeglichen Fortschritt leugnet und ihren Anhängern ständig einbläut, dass alles ganz furchtbar ist, dann fangen die Menschen an, das aufzusaugen. Und die Anhängerschaft der Republikaner ist groß, ca. 40 Prozent der Bevölkerung.“
Obama trifft diese Aussagen vor dem Hintergrund eines Wahlkampfs, der von der großen Wut in der Bevölkerung über die soziale Ungleichheit und die Kriminalität der Wall Street gekennzeichnet ist. Diese Stimmung hat seinen Niederschlag in der breiten Unterstützung für die Kampagne des „Sozialisten“ Bernie Sanders gefunden und – in verzerrter Form – auch in der Unterstützung für den faschistoiden republikanischen Bewerber Donald Trump.
Obamas Äußerungen sind ein Ausdruck der Arroganz der amerikanischen Finanzelite, deren Vertreter Obama ist. Sie blickt auf die große Mehrheit der Bevölkerung als ignorante Tölpel herab, die glücklich wären, wenn sie nur erkennen würden, wie gut sie es haben.
Jede ernsthafte Beschäftigung mit der wirtschaftlichen Realität der Arbeiter in den USA zeigt jedoch, dass die Wut der Bevölkerung vollständig gerechtfertigt ist.
Zwischen 2005 und 2015 entfiel der Nettozuwachs an Arbeitsplätzen auf Menschen, die in „alternativen Arbeitsmodellen“, als Selbstständige oder als Zeitarbeiter arbeiteten. Im Jahr 2013 verfügte ein durchschnittlicher amerikanischer Haushalt über 40 Prozent weniger Vermögen als im Jahr 2007. Das Jahreseinkommen eines amerikanischen Durchschnittshaushalt fiel in den sechs Jahren von 2007 bis 2013 um 12 Prozent bzw. 6.400 Dollar.
Die Selbstmord- und die Sterblichkeitsrate steigen steil an und die Lebenserwartung sinkt für einen erheblichen Teil der Bevölkerung. Drogenprobleme nehmen stark zu und der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen dem obersten und dem untersten Prozent der Bevölkerung beträgt mittlerweile fast 15 Jahre.
Insofern Obama die Existenz dieser sozialen Realitäten überhaupt anerkennt, stellt er sie als unausweichliches Nebenprodukt der „umfassenden Veränderungen der globalen Wirtschaft“ dar, die gegen die angeblich egalitäre Wirtschaftspolitik seiner Regierung arbeiten. Sorkin fasst Obamas Ansichten mit der Bemerkung zusammen: „Wir verlieren die Arbeitsplätze nicht nur an die Konkurrenz im Ausland, wir verlieren sie auch an die Technologie.“ Mit anderen Worten, die Automatisierung und die Globalisierung, nicht das Weiße Haus, sind verantwortlich für die zunehmende wirtschaftliche Notlage, die breite Teile der amerikanischen Bevölkerung zu spüren bekommen.
Allerdings macht jede nüchterne Bewertung der Politik, die Obama in diesem Interview beschreibt, deutlich, dass das Anwachsen der sozialen Ungleichheit und die Verarmung der Arbeiter unter seiner Regierung, das bewusste und vorhersehbare Ergebnis seines Wirtschaftsprogramms ist.
Die Obama-Regierung trägt die Verantwortung für die umfassende Umstrukturierung der sozialen Beziehungen in den USA nach der Finanzkrise von 2008. Sie vernichtete gut bezahlte Jobs, sie schuf Anreize für Firmen, die Gesundheitsversorgung auszuhöhlen, und führte einen Frontalangriff auf die Renten der Arbeiter, während sie gleichzeitig der Finanzelite so gut wie unbegrenzte Summen zur Verfügung stellte.
Selbst vor seinem Amtsantritt erwies sich Obama schon als lautstarker Verteidiger der sozialen Vorrechte der Finanzoligarchie. In seinem Interview mit der Times erinnert er an seine Rolle als Präsidentschaftskandidat, als er die Demokratische Partei dazu brachte, den Plan der Bush-Regierung von 2008 zur Rettung der Banken zu unterstützen. Den Banken wurden damals Billionen Dollar geliehen, zum großen Teil ohne Zinsen, während nichts unternommen wurde, um die Verantwortlichen für den Finanzcrash zur Verantwortung zu ziehen.
Während große Teile der Republikanischen Partei sich gegen die Bankenrettung der Bush-Regierung wandten und einige Demokraten dazu tendierten, zumindest rhetorisch Opposition zu heucheln, erklärte der Präsidentschaftskandidat Obama, „er sei überzeugt, alles außer einer umfassenden Bankenrettung würde zu einer wirtschaftlichen Katastrophe führen. Deshalb sollten die Demokraten den Plan von [Finanzminister] Paulson unterstützen. Und das taten sie auch.“
Nachdem Obama sein Amt angetreten hatte, strich das Weiße Haus die Löhne und Sozialleistungen für die Arbeiter zusammen. Die viel gepriesene Rettung der Autokonzerne von 2009 war verknüpft mit einer drastischen Kürzung von Löhnen und Sozialleistungen der Autoarbeiter – was den Autobauern wieder zu Rekordprofiten verhalf.
Diese Politik sollte genau das bewerkstelligen, was sie dann auch schaffte: sie trieb die Börse, wie Obama sich im Interview brüstete, „von 6.000 auf 16.000 bis 17.000 Punkte“ hoch. Das trug dazu bei, dass sich der Reichtum der 400 reichsten Amerikaner von 1,27 Billionen Dollar im Jahr 2009 auf 2,34 Billionen Dollar im Jahr 2015 fast verdoppelte.
Obwohl sie gelegentlich das Anwachsen der sozialen Ungleichheit und die wirtschaftliche Not großer Teile der US-Bevölkerung anprangern, zeichnen sich die Wahlkampagnen der Demokratischen Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton und Bernie Sanders durch die völlige Abwesenheit jeglicher Kritik an Obamas Wirtschaftspolitik aus. Vielmehr loben sie diese durchweg.
Vor allem Clinton stellt sich als führende demokratische Bewerberin bewusst in die Tradition Obamas. Schon dies unterstreicht, dass sie als Präsidentin die sozialen Bedürfnisse der amerikanischen Bevölkerung genauso mit Füßen treten würde wie Obama.
Letztlich ist die Demokratische Partei genauso wie die Republikaner ein Werkzeug der Wall Street. Sie kann nicht reformiert werden und ist immun gegenüber dem Druck der Öffentlichkeit. In den Präsidentschaftswahlen 2016 gibt es nur eine Partei, die die Interessen der arbeitenden Bevölkerung vertritt: die Socialist Equality Party mit ihren Präsidentschaftskandidaten Jerry White und Niles Niemuth.