Das auffälligste Merkmal des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes 2016 ist das nahezu völlige Fehlen von Diskussionen über das Thema, das für die Bevölkerung der USA und der ganzen Welt besonders wichtig ist und drohend über allen anderen aufragt: der eskalierende militärische Konflikt, der die Welt in einen neuen Weltkrieg ziehen könnte.
Die Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner und der Demokraten führen kaum nennenswerte Diskussionen darüber. Dennoch vergeht kaum ein Tag ohne neue Provokationen, die zu einer militärischen Konfrontation zwischen den USA und den europäischen Mächten auf der einen Seite und Russland und China auf der anderen Seite führen könnten.
Der gestrige Tag bildete dabei keine Ausnahme. Der stellvertretende Verteidigungsminister Robert Work kündigte an, die Obama-Regierung werde keine chinesische Luftverteidigungs-Identifikationszone (ADIZ) im Südchinesischen Meer anerkennen. China könnte als Reaktion auf das ausstehende Urteil eines internationalen Gerichts bezüglich der Territorialstreitigkeiten in der Region eine solche ausrufen.
Anfang März schrieb der Kolumnist David Ignatius in der Washington Post über einen möglichen künftigen Konflikt wegen einer ADIZ, die USA „steuern auf einen gefährlichen Showdown mit China zu.“ Ignatius zitierte den ehemaligen Staatssekretär des Außenministeriums für Asien Kurt Campbell mit den Worten: „Es ist nicht gerade Pearl Harbor, aber wenn nicht beide Seiten vorsichtig sind, könnten es der 'August 1914' werden.
„Das Wall Street Journal berichtete am Mittwoch zudem, das Pentagon habe Pläne zur „dauerhaften Stationierung amerikanischer Soldaten, Panzer und anderer gepanzerter Fahrzeuge an der Ostgrenze der Nato ausgearbeitet… Es wäre die erste derartige Stationierung seit dem Ende des Kalten Krieges.“
Work hatte letzten Monat erklärt, ein Test mit Interkontinentalraketen solle zeigen, „dass wir bereit sind, unser Land mit Atomwaffen zu verteidigen.“ Dem Wall Street Journal erklärte er, durch die zusätzlichen Truppen wird „das Material einer ganzen Division bereitstehen, um [gegen Russland] zu kämpfen, falls etwas passiert.“
Für die Medien und die Kandidaten der Demokratischen und der Republikanischen Partei ist das alles ein großes Tabuthema. In der amerikanischen Politik ist es ein alteingesessener Brauch, große Militäroperationen erst nach den Präsidentschaftswahlen zu beginnen. Auch die Obama-Regierung versucht, einen offenen Konflikt mit Russland oder China eine Zeit lang aufzuschieben. Dies soll verhindern, dass der Krieg und die Kriegspläne der herrschenden Klasse zu einem Diskussionsthema unter breiten Schichten der Bevölkerung werden.
Vor allem seit Beginn des „Krieges gegen den Terror“ und nach den Massenprotesten gegen den bevorstehenden Krieg im Irak 2003 hat die amerikanische herrschende Klasse systematisch versucht, jede Antikriegsstimmung aus dem politischen Prozess zu verbannen. Bei der Zwischenwahl 2002 hielten die Demokraten das Thema des drohenden Einmarsches im Irak aus dem Wahlkampf heraus. Zuvor hatte ihre Kongressfraktion Bush eine Blankovollmacht zum Einsatz militärischer Gewalt erteilt.
2004 war der Widerstand gegen den Krieg so stark, dass die Gefahr bestand, er könnte den Wahlzyklus überwältigen. Das war das Jahr, in dem Gouverneur Howard Dean aus Vermont große Unterstützung gewinnen konnte, weil er sich offen gegen den Irakkrieg aussprach. Er entwickelte sich dadurch zu einem aussichtsreichen Demokratischen Präsidentschaftskandidaten. Sein Wahlkampf scheiterte an einer sorgfältig koordinierten Kampagne der eigenen Parteiführung und der Medien, die ihn als „unwählbar“ darstellten. Statt ihm kandidierte Senator John Kerry, der für den Irakkrieg gestimmt hatte. Die „Antikriegs“-Demokraten stellten sich hinter ihn, und das Thema Krieg wurde aus dem Wahlkampf ausgeklammert. Letzten Endes wurde George W. Bush für eine zweite Amtszeit gewählt.
Zwei Jahre später führte der Widerstand gegen den Irakkrieg zu einer krachenden Niederlage der Republikaner bei der Zwischenwahl. Obwohl die Demokraten versucht hatten, die Wahl nicht zu einem Referendum über den Krieg zu machen, konnten sie zum ersten Mal seit 1994 in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit erringen. Die Demokraten lehnten jeden Versuch ab, einen Kurswechsel zu erzwingen oder Anklagen gegen Funktionäre der Bush-Regierung zu erheben. Sie finanzierten alle Gesetzesvorlagen der Bush-Regierung zum Einsatz des Militärs, darunter auch der Truppenverstärkung im Irak 2007.
Die Unterstützung der kleinbürgerlichen Organisationen, die die Antikriegsproteste 2003 angeführt hatten, war von entscheidender Bedeutung bei dem Vorhaben, die Antikriegsstimmung zugunsten der Demokratischen Partei auszunutzen. Diese Kampagne fand ihren Höhepunkt im Wahlkampf von Senator Barack Obama aus Illinois im Jahr 2008. Obama wurde als der „Kandidat des Wandels“ dargestellt, der acht Jahre Krieg und soziale Reaktion unter Bush rückgängig machen würde. Bei den Vorwahlen bestand Obamas politischer Trumpf darin, dass er gegen den Irakkrieg gestimmt hatte, während seine stärkste Gegnerin, Hillary Clinton, im Senat dafür gestimmt hatte.
In Wahrheit ermöglichte es die Obama-Regierung den kleinbürgerlichen Organisationen aus dem Umfeld der Demokratischen Partei jedoch vor allem, sich offen und vollständig zum Imperialismus zu bekennen. Und obwohl Obama seit mehr als sieben Jahren „Oberbefehlshaber“ ist, gehen die Kriege im Irak und in Afghanistan weiter. Die Obama-Regierung hat in Libyen einen Krieg zum Sturz der Regierung geführt und in Syrien einen Bürgerkrieg geschürt, in dem sie islamistische Fundamentalisten-Milizen als Stellvertreter aufgebaut hat. Sie hat Drohnenangriffe in Pakistan, Somalia und dem Jemen durchgeführt, den Angriff Israels auf den Gazastreifen sowie den brutalen Luftkrieg Saudi-Arabiens gegen den Jemen unterstützt und ist für die Militarisierung des Südchinesischen Meeres und Osteuropas verantwortlich.
Und alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Operationen des US-Militärs in einem Jahr, oder schon früher, noch umfangreicher sein werden. Trotz der drohenden Gefahr eines globalen Konflikts, bei dem Atomwaffen eingesetzt würden, klammern die Medien und die Kandidaten die derzeitigen Militäroperationen aus dem Wahlkampf aus. Wenn über Krieg überhaupt diskutiert wird, dann vom Standpunkt einer allgemeinen Einigkeit zwischen Republikanern und Demokraten, dass „der IS zerstört“ werden und man Chinas und Russlands „Aggression“ entgegentreten müsse.
Im Wahlkampf der Demokratischen Partei hat sich die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton zur bevorzugten Kandidatin des Militärs und der Geheimdienste entwickelt. Sie trägt persönliche Verantwortung für den Krieg in Libyen und die von der CIA unterstützte Operation zur Destabilisierung Syriens. Clinton rühmt sich auf ihrer Wahlkampfwebseite, China für sein „aggressives Vorgehen“ in Asien angegriffen zu habe. Weiter heißt es: „Hillary wird Russlands Aggressionen in Europa und der Welt zurückdrängen, eindämmen und abschrecken. Sie wird den Preis, den Putin für sein Handeln zahlen muss, in die Höhe treiben.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Bernie Sanders hat, abgesehen von Kritik an Clinton wegen ihrer Zustimmung zum Irakkrieg 2003, fast kein Wort über Krieg oder Außenpolitik verloren. Auf seiner Wahlkampfwebseite findet sich das Wahlkampfthema „Krieg und Frieden“ unter Punkt 25 von 28. Den Irakkrieg bezeichnet er als „den größten außenpolitischen Fehlgriff der modernen Geschichte Amerikas.“ Der Einmarsch im Irak war laut Sanders also kein Verbrechen, sondern ein strategischer Fehler vom Standpunkt der Interessen der herrschenden Klasse.
Er erklärt: „Als Präsident und Oberbefehlshaber werde ich diese Nation, ihre Bevölkerung und Amerikas wichtigste strategische Interessen verteidigen. Doch ich werde es mit Verantwortungsbewusstsein tun.“ Er erklärt stolz, er habe 1999 für den Krieg auf dem Balkan gestimmt, und 2001 für den Krieg in Afghanistan. Er hat die Drohnenangriffe der Obama-Regierung unterstützt, Russland verurteilt, und beharrt darauf, dass die USA auch weiterhin das größte Militär der Welt haben müssten.
Trotz aller wortreichen Kritik an der „Klasse der Milliardäre“ und ihrem Einfluss auf die amerikanische Politik deutet Sanders durch nichts an, dass genau diese „Klasse der Milliardäre“ auch die Außenpolitik diktiert. Ebenso wenig schlägt er Kürzungen an dem riesigen Militäretat vor. Auch Sanders würde „Amerikas wichtigste strategische Interessen“ verteidigen. Hierbei handelt es sich um Codewörter für die Politik der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzelite, die Welt und ihre wichtigsten Rohstoffe, billigen Arbeitskräfte und Handelsrouten zu kontrollieren. Nichts könnte die Falschheit von Sanders' „Sozialismus“ besser entlarven.
Unter den Arbeitern und Jugendlichen Amerikas herrscht weiterhin eine starke und weit verbreitete Antikriegsstimmung. Große Teile der Wählerschaft haben ihr ganzes politisch bewusstes Leben unter dem Eindruck ständiger Kriegsführung verbracht. In der Masse der Bevölkerung besteht kein Rückhalt für einen Krieg gegen China oder Russland, ebenso wenig für Maßnahmen, die eine weitere Zerstörung demokratischer Rechte bedeuten würden, oder für die Einführung der Wehrpflicht. Solche Maßnahmen wären die unvermeidliche Folge eines derartigen Krieges.
Allerdings bleibt eine enorme Gefahr. Aufgrund des Schweigekomplotts der Medien und des politischen Establishments ist dem Großteil der Bevölkerung kaum bewusst, was derzeit stattfindet und was für die Zeit nach der Wahl geplant wird. Es ist überlebenswichtig, dass die Arbeiterklasse von den Kriegsplänen der herrschenden Klasse erfährt und die politischen Grundlagen für eine neue Antikriegsbewegung auf Massenbasis schafft.
Der Kampf gegen imperialistischen Krieg erfordert den Aufbau einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalistischen und sozialistischen Programms. Die Arbeiter dürfen sich nicht mehr länger im pro-imperialistischen Korsett der bürgerlichen Politik und der Demokratischen Partei gefangen halten lassen. Die Arbeiterklasse muss mit ihrem Programm und ihrer Perspektive eingreifen. Sie muss den Kampf gegen Krieg mit dem Kampf gegen Ungleichheit, Diktatur und das kapitalistische System verbinden.