Geheimdienstberichte werfen neue Fragen zu den Anschlägen von Paris und Brüssel auf

Aus europäischen Geheimdienstberichten über die Aktivitäten des Islamischen Staats geht hervor, dass die Terroristen im Krieg gegen Syrien von Teilen der Nato-Geheimdienste unterstützt wurden. Es wird immer deutlicher, dass diese Unterstützung bei den Anschlägen in Brüssel und im letzten Jahr in Paris eine wichtige Rolle spielte.

Die Nato-Funktionäre versuchten, den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad mithilfe von IS-Milizen und Terroranschlägen zu stürzen und dabei ihre Spuren zu verwischen. Gleichzeitig ignorierten sie die wachsenden Anzeichen dafür, dass der IS ein großes Terrornetzwerk in Europa aufbaute. Dieses leichtsinnige Vorgehen hat zu beträchtlichen Konflikten innerhalb der Geheimdienste geführt, die jedoch vor der Bevölkerung verheimlicht wurden.

Am 22. März konnten die El Bakraoui-Brüder, die von den staatlichen Behörden als IS-Terroristen identifiziert wurden, Anschläge vorbereiten und ausführen, obwohl die belgischen Behörden im Voraus den Zeitpunkt und die Ziele der Anschläge kannten. Jetzt, da die Nato-Mächte über einen Kurswechsel vom IS zu prorussischen Kräften in Syrien debattieren, beginnen sich die internen Kämpfe in den Geheimdiensten offen zu zeigen. Die New York Times berichtete darüber am Dienstag in einem Artikel mit dem Titel „Wie der IS unter Europas verschlafenen Augen die Maschinerie des Terrors aufbaute.“

Der Artikel basiert auf internen Dokumenten und Zeugenaussagen amerikanischer und französischer Geheimdienstler. Darin berichten sie, wie sie IS-Mitglieder, due aus Syrien nach Europa zurückkamen überwachten und verhafteten, als diese Terroranschläge vorbereiteten. Der Bericht enthält umfangreiche Schilderungen der Reisepläne, Posts in sozialen Netzwerken und der politischen Ansichten mehrerer europäischer IS-Rekruten, die Anschläge in Europa vorbereiteten. Daraus wird deutlich, dass der IS tief von den Nato-Geheimdiensten durchdrungen ist und umfassend überwacht wird. Daher ist es bemerkenswert, dass der IS mehrfach schwere Anschläge in Europa verüben konnte.

Die Times schreibt: „Die Behörden behaupten jetzt, die Anzeichen für diese konzentrierte Terrormaschinerie in Europa seien bereits 2014 sichtbar gewesen. Dennoch taten die lokalen Behörden jeden Terrorplan als isolierte oder willkürliche Tat ab. Die Beziehung zum Islamischen Staat wurde entweder übersehen oder heruntergespielt.“

Tatsächlich zeigten sich Teile des Geheimdienstapparats schon kurz nach Beginn des Krieges in Syrien 2011 besorgt, dass die islamistischen Milizen, die sie gegen Assad mobilisierten, nicht nur in Syrien Terroranschläge verüben könnten, sondern auch in Europa.

Die Times zitiert den amerikanischen General a.D. Michael T. Flynn, der von 2012 bis 2014 die Defense Intelligence Agency geleitet hatte. Flynn war eine wichtige Quelle für den Bericht von Seymour Hersh, der im Januar in der London Review of Books erschienen war. Hersh beschrieb darin detailliert die Kontakte des US-Militärgeheimdienstes mit russischen und syrischen Regierungsvertretern, von denen die DIA hoffte, sie in einem Krieg gegen den IS einsetzen zu können.

Flynn erklärt gegenüber der Times: „Das alles ist nicht plötzlich in den letzten sechs Monaten entstanden. Sie haben schon immer Anschläge außerhalb ihres Gebiets in Erwägung gezogen, seit die Gruppe 2012 nach Syrien kam.“

Zu diesen Anzeichen gehörte die Schießerei im jüdischen Museum in Brüssel am 24. Mai 2014. Der Täter war Mehdi Nemmouche, ein IS-Kämpfer aus dem französischen Roubaix. Die Times schreibt: „Obwohl die Polizei bei ihm ein Video gefunden hat, in dem er die Verantwortung für den Anschlag beanspruchte und neben einer Flagge mit den Worten ‚Islamischer Staat im Irak und Syrien‘ stand, wies die belgische stellvertretende Generalstaatsanwälitn, Ine Van Wymersch eine Verbindung zurück. ‚Er handelte wahrscheinlich allein’, sagte sie damals zu Reportern.“

Tatsächlich zeigte eine Überprüfung von Nemmouches Telefondaten durch die Geheimdienste, dass er in engem Kontakt mit Abdelhamid Abaaoud stand, dem öffentlichen Aushängeschild für Rekrutierungsversuche des IS in den sozialen Netzwerken und Anführer der IS-Anschläge von Paris am 13. November.

Die Times schreibt: „Nemmouches Telefondaten aus den Monaten nach dem Anschlag auf das jüdische Museum zeigen, dass er ein vierundzwanzigminütiges Telefongespräch mit Abaaoud führte. Dies geht aus einem 55-seitigen Bericht hervor, den die Antiterroreinheit der französischen Polizei nach den Anschlägen in Paris verfasst hat.“

Der Artikel beschreibt detailliert die Bewegungen des IS-Mitglieds Reda Hame, eines 29-jährigen Computertechnikers aus Paris, der 2014 nach Syrien gereist war. Nach anfänglichem Widerwillen hatte er sich anscheinend freiwillig gemeldet, zurückzukehren und Terroranschläge in Europa auszuführen. Trotz seiner Versuche, seine Unterhaltungen mit Abaaoud zu verbergen und zu verschlüsseln wurde Hame im August letzten Jahres verhaftet, bevor er Anschläge verüben konnte.

Er ist scheinbar einer von einundzwanzig derartigen IS-Mitgliedern, die verhaftet wurden, bevor sie ihre Anschläge ausführen konnten. Nach seiner Verhaftung erklärte Hame gegenüber französischen Geheimdienstlern: „Das da ist eine Fabrik. Sie tun alles in ihrer Macht stehende, um Frankreich oder Europa zu schaden.“

Teile der Geheimdienste waren sich bewusst, dass viele Informationen darauf hindeuteten, dass der IS Terroranschläge in Europa vorbereitete. „Alle Signale waren vorhanden. Wer aufgepasst hat, für den wurden diese Signale ab Mitte 2014 ohrenbetärubend,“ fügt Michael S. Smith II, ein Antiterroranalyst des Privatunternehmens Kronos Advisory, hinzu.

Die zentrale Frage, die sich aus der Schilderung der Times ergibt, die sie aber nicht einmal stellt, lautet: warum haben die Geheimdienste die „ohrenbetäubenden“ Signale, dass der IS Anschläge in Europa vorbereitet, nicht beachtet? Daraus ergibt sich wiederum die Frage, wie sehr die Entscheidung der staatlichen Behörden, die Berichte herunterzuspielen, dem IS die Anschläge auf Charlie Hebdo im Januar 2015, in Paris im November und jetzt in Brüssel erleichtert haben.

Entscheidend ist, dass die herrschenden Klassen Europas und der USA in den ersten Jahren des Krieges einen Stellvertreterkrieg der islamischen Terrorgruppen zum Sturz Assads weitgehend unterstützten. In Europa wurden Regelungen etabliert, die es tausenden von islamistischen Kämpfern ermöglichten, ungehindert in den Nahen Osten zu reisen und für den Krieg gegen Assad zu trainieren.

Die ersten Berichte, dass Nato-Stellvertretertruppen hunderte von Bombenanschlägen verübt hatten, darunter ein Bericht der Arabischen Liga von Anfang 2012, wurden von den westlichen Medien abgetan und verurteilt. In der herrschenden Klasse und in reaktionären Schichten des begüterten Kleinbürgertums herrschte großer Rückhalt für einen imperialistischen Krieg gegen Syrien mittels terroristischer Methoden. Kleinbürgerliche pseudolinke Gruppen wie die International Socialist Organization in den USA, die Neue Antikapitalistische Partei in Frankreich und die deutsche Linkspartei propagierten den Krieg in Syrien begeistert.

Die New York Times wurde von der Kriegsbegeisterung gepackt, führende Journalisten schrieben umfangreiche positive Berichte über Terroranschläge in Syrien. C.J. Chivers beschrieb im August 2012 in seiner Videoreportage „Die Löwen von Tawhid“ seinen Aufenthalt bei der islamistischen Miliz Löwen von Tawhid, die nahe der syrischen Stadt Aleppo Autobombenanschläge und Morde verübte.

Nachdem Kritik aufkam, das Video zeige die Löwen von Tawhid bei einem Kriegsverbrechen – sie benutzten einen Gefangenen als unfreiwilligen Selbstmordattentäter – bezeichnete Chivers diese Kritiker auf seinem Blog The Gun als Assad-Anhänger: „Wo man in dieser Frage steht, hängt vermutlich davon ab, wer man ist. Man unterstützt es, wenn man die Rebellen und ihre Sache unterstützt. Als Mitglied einer syrischen Hubschrauberbesatzung, oder wenn man diese Fluggeräte und ihre Besatzungen braucht, um Verwundete auszufliegen oder Munition geliefert zu bekommen, wird man es nicht mögen.“

Solange in herrschenden Kreisen diese Stimmen und Ansichten vorherrschten, ignorierten die Geheimdienste die zunehmenden Beweise, dass der IS und ähnliche mit Al Qaida verbündete Gruppen internationale Terrornetzwerke aufbauten. Dies ist ein weiterer Beweis, dass das Hauptziel des sogenannten „Kriegs gegen den Terror“ nicht der Kampf gegen Terrorismus ist, sondern Regimewechsel und die Vorherrschaft der imperialistischen Mächte über den Nahen Osten. Der Bericht der Times macht deutlich, dass sich die Kriege und die Arbeitsteilung zwischen den Geheimdiensten und den islamistischen Kämpfern zur größten terroristischen Bedrohung in Europa entwickelt haben.

Allerdings bleiben einige Fragen offen, wie es möglich war, dass die Anschläge auf Charlie Hebdo, vom 13. November und in Brüssel geschehen konnten. In allen Fällen waren die Täter hochrangige IS- oder Al Qaida-Kämpfer und den Geheimdiensten bekannt. Die Kouachi-Brüder standen unter staatlicher Überwachung und kommunizierten direkt mit der obersten Führung von Al Qaida auf der arabischen Halbinsel. Abaaoud war international und öffentlich als führendes IS-Mitglied bekannt. Und die El Bakraoui-Brüder in Brüssel waren Straftäter und den Geheimdiensten als Terroristen bekannt.

Angesichts der Tatsache, dass die Geheimdienste in der Lage waren, unbekanntere Personen wie Reda Hame zu identifizieren und aufzuhalten, ist es unerklärbar, wie führende islamistische Kämpfer ungehindert durch Europa reisen und massive Terroranschläge verüben konnten.

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