Am Montag kritisierte Chinas Finanzminister Lo Jiwei die Arbeitsgesetze des Landes. Das ist ein Warnsignal für scharfe Angriffe der Regierung auf Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse.
In Fernsehberichten am Rande des Nationalen Volkskongresses (NVK) in Beijing beklagte sich Lou über die Arbeitsgesetze, weil sie die Beschäftigten zu sehr begünstigten. „Wenn ein Beschäftigter nicht hart genug arbeitet, dann fällt es dem Unternehmen schwer, etwas gegen ihn zu unternehmen, beispielsweise ihn zu entlassen“, erklärte er.
Lous Bemerkungen könnten ebensogut von irgendeinem Vorstand eines großen Unternehmens irgendwo anders auf der Welt stammen. Immer wieder verlangen sie mehr „Flexibilität der Arbeit“, vor allem um Arbeiter leichter heuern und feuern zu können. Auch Lou kleidete seine Argumente in die übliche vorgetäuschte Besorgnis über die Arbeitnehmer.
„Ursprünglich war der Zweck der Gesetze, Arbeiter zu schützen, aber letztendlich beeinträchtigen sie die Interessen von einigen Arbeitern, denn sie könnten zu raschem Anstieg von Löhnen führen,“ erklärte Lou und meinte, dass die steigenden Kosten die Unternehmen dazu veranlassen könnten, ihre Geschäfte ins Ausland zu verlagern. „Und wer ist schließlich davon betroffen? Es sind die Arbeiter, die das ausbaden müssen.“
Laut dem Nationalen Büro für Statistik hat sich das Lohnniveau in China im letzten Jahrzehnt verdoppelt. Das führte dazu, dass vor allem die Herstellung von Billigprodukten in Länder mit noch niedrigeren Löhnen wie Vietnam oder Bangladesch verlagert wurde.
Die Antwort Lous und der von der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) gestellten Regierung ist die gleiche wie die der kapitalistischen Regierungen weltweit: die „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ müsse durch eine endlose Spirale niedrigerer Löhne verbessert und die Produktion durch Verschlechterung der Arbeitsbedingungen gesteigert werden.
„In den letzten Jahren ist das Einkommen der Arbeiter schneller gestiegen als die Produktivität. Das ist nicht nachhaltig“, erklärte Lou.
Die Bemerkungen des Finanzministers werfen ein scharfes Licht auf den Klassencharakter der KPCh. Sie vertritt die Interessen der superreichen Elite, die sich in den letzten drei Jahrzehnten der kapitalistischen Restauration bereichert hat.
Die offizielle chinesische Nachrichtenagentur Xinhua nutzte die Erklärung von Lou dann auch, um zu demonstrieren, dass der Nationale Volkskongress keine künstlich inszenierte Veranstaltung sei. Vielmehr sei die Rede Lous ein Beispiel für den „spontan geäußerten Dissens“ und die offene Debatte unter den Delegierten.
Der Bericht stellte fest, dass nicht allein Lou die Arbeitsschutzgesetze kritisierte. Auch andere NVK-Delegierte, allesamt Geschäftsleute, stimmten mit ein.
Zeng Xiaohe, der Geschäftsführer der Anhui Tianfang Tea Group, erklärte, das Gesetz „schwächt die Position der Unternehmer im Vergleich zu den Angestellten und entspricht nicht ihren Bedürfnissen, z. B. ist nicht angemessen geregelt, was die Zeitarbeit oder stundenweise Beschäftigung von Arbeitern angeht.“
Der Unternehmer Gao Yafe beklagte sich: „Ein Arbeitgeber, der einen Arbeiter entlassen möchte, muss etliche Auflagen erfüllen, aber Arbeitnehmer, die kündigen wollen, haben keine derartigen Verpflichtungen.“
Zhang Yansen, ein anderer Geschäftsmann und Mitglied des Nationalkomitees der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes sagte, der Geist des Gesetzes sei es die Arbeitnehmer zu schützen, aber es gehe zu weit und müsse geändert werden.
Diese Anzeichen von „Dissens“ und „Debatten“ wurden alle vom Standpunkt führender Unternehmer geäußert, die aufs Engste mit den höchsten Rängen des Parteiapparats der KPCh verbunden sind. Zu den Delegierten des Kongresses gehören viele der reichsten Milliardäre und jede Menge Geschäftsleute.
Eine Unternehmerin und NKV-Delegierte aus Schanghai, Fan Yun, nutzte die Kongresseröffnung, um auf die Regulierung des Finanzmarkts einzudreschen, die den Einbruch der Aktienkurse im letzten Jahr verursacht habe. Sie erklärte: „Die Entwicklung des Aktienmarkts der letzten zehn Jahre seit 2007 war ein Tal der Tränen für chinesische Investoren.“
Unter den Bedingungen eines scharfen Rückgangs der Wirtschaft verlangen diese Schichten eine zunehmende Liberalisierung der Marktwirtschaft und die Umstrukturierung, die im letzten Fünf-Jahres-Plan und im Arbeitsbericht von Premierminister Li Keqiang am letzten Samstag konzipiert wurde.
Trotz aller Beteuerungen von Finanzminister Lou, dass er sich über die „Folgen für die Arbeiter“ Sorgen mache, plant die chinesische Regierung verheerende Maßnahmen für das Leben von Millionen Arbeitern. In der Schwerindustrie und im Bergbau sind Millionen Entlassungen geplant. In seinem Bericht kündigte Premierminister Li an, die Regierung habe vor, riesige Überkapazitäten abzubauen und die staatseigenen „Zombie“-Betriebe, die allein durch Staatssubventionen am Leben erhalten werden, zusammenzulegen, umzustrukturieren oder zu schließen.
Vor dem Kongress verkündete Arbeitsminister Yin Weimin seine Pläne zur Vernichtung von 1,8 Millionen Arbeitsplätzen in der Kohle- und Stahlindustrie. In der Glas- und. Aluminiumherstellung, im Schiffbau und anderen Schlüsselindustrien stehen ebenfalls erhebliche Schrumpfungsprozesse an, bei denen es um bis zu sechs Millionen Arbeitsplätze geht.
Am Dienstag gab Zhang Qingwei, der Gouverneur der nördlichen Provinz Hebei bekannt, dass dort 240 der 400 Stahlbetriebe bis 2020 geschlossen würden. Weiter sagte er, die Provinzregierung wolle die Kapazität der Zementproduktion um zwei Drittel reduzieren und auch bei Glas und Kohle scharfe Kürzungen durchführen. Zhang schätzt, dass innerhalb der beiden nächsten Jahre mehr als eine Million Arbeiter entlassen werden.
Diese Maßnahmen werden die Arbeiterklasse schwer treffen, die schon in den von der Depression betroffenen Gebieten zu leiden hat. Premierminister Li geht für die nächsten fünf Jahre von einem jährlichen Wachstum von 6,5 Prozent aus, aber in den großen Industriegebieten Chinas stagniert die Wirtschaft oder befindet sich in der Rezession. Das ist vor allem in den sogenannten Rostlauben-Provinzen im Nordosten des Landes wie Hebei und Liaoning der Fall.
Ein Artikel im Wall Street Journal von der letzten Woche mit dem Titel „Chinas Wirtschaft der zwei Geschwindigkeiten“ zeichnete ein düsteres Bild. „Chinas Kriechspur ist verstopft von staatseigenen Industriebetrieben, die mit der Bauindustrie verknüpft sind – Stahl, Zement, Kohle und Baumaterialien – alle leiden an massiven Überkapazitäten. Viele halten sich mit Bankkrediten über Wasser, die immer wieder verlängert werden, oder durch überflüssige öffentliche Aufträge. Es sind Zombies in einer Phantomindustrie.“
Der Artikel führt aus, dass Liaoning nach der weltweiten Wirtschaftskrise von 2008 durch die gewaltigen Infrastrukturausgaben und billige Kredite boomen konnte, die eine spekulative Immobilienblase auslösten. Die Stimme des amerikanischen Finanzkapitals ließ keinen Zweifel daran, dass „Chinas Finanzsystem irgendwann explodieren wird, wenn weiterhin überflüssige Investitionen getätigt werden, um Industriestädte am Leben zu halten.“
Finanzminister Lou stimmt dem zweifellos zu und mit ihm die gesamte Bürokratie der KPC. Das ist der Grund, weshalb er unmissverständlich Änderungen der Arbeitsgesetze verlangt, die die Lawine der geplanten Arbeitsplatzvernichtung auslösen sollen. Wenn sich das Regime bis jetzt damit zurückgehalten hat, dann nur, weil es fürchtet, dass dadurch überall soziale Unruhen ausbrechen. Die Regierung hielt es daher für besser, zuerst den Ausbau des Polizeistaats voranzutreiben.
Die soziale Katastrophe, die den chinesischen Arbeitern droht, ist nicht zu trennen von dem, womit die Arbeiterklasse weltweit konfrontiert ist. In jedem Land laden die Regierungen den Arbeitern die Last der immer schlimmer werdenden globalen Krise auf und bestehen darauf, dass Löhne, Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätze geopfert werden müssen, um die Unternehmen „international wettbewerbsfähig“ zu machen.